Martinas Woche 17 – 2020: „Das bisschen Haushalt…“ macht sich nicht allein

Martina Michels, Konstanze Kriese

Sonderausschuss Regionalpolitik – EU-Regierungsgipfel – Kultur und Medien in Zeiten von Corona – Israel – Corona Apps: eine Position

Als ob sie alle Zeit der Welt hat, so handelt derzeit unsere „EU-Lieblingsinstitution“, der Europäische Rat, das Spitzentreffen der Regierungsvertreter*innen der Mitgliedsländer. Während sich die Lockdown-Maßnahmen in den Alltag von Familien, Studentinnen, Schülern, Vorschulkindern, Menschen ohne Papiere oder auf der Flucht, von Menschen mit Pflegebedarf und natürlich von Pflegekräften fressen, während viele feststecken in ungewöhnlichen Arbeitsweisen oder massiven Einkommensverlusten, murmeln mal eben unsere Regierungsvertreter den Ball zurück zur Kommission und warten nun bis zum 6. Mai 2020 auf einen Vorschlag für die weiteren Rettungspakete in Corona-Zeiten. So in etwa könnte man das Ergebnis des Regierungsgipfels vom vergangenen Donnerstag beschreiben und es ist nur allzu verständlich, wenn man hier unruhig wird und dieses Handeln mindestens enttäuschend findet. Zugleich ist es jedoch auch gefährlich. Es ist Wasser auf die Mühlen von EU-Skeptikern, insbesondere jenen, die europäische Lösungen internationaler und globaler Herausforderungen sowieso ablehnen und es produziert Frust bei Wählerinnen und Wählern, die zurecht EU-kritisch sind und deren Vertrauen in eine kompetente EU kaum gestärkt wird.  


Regierungsgipfel: Corona-Bonds oder Schuldenspirale?

Um es vorweg zusammenzufassen: Der EU-Regierungsgipfel schrammte am Donnerstag, dem 23. April 2020, erneut an Corona-Bonds vorbei und spielte den Ball zurück zur Kommission. Genau genommen ist es zum Haare raufen. Selbst international renommierte Wirtschaftshistoriker, wie beispielsweise Adam Tooze, dessen Auffassung wir zum Militär bestimmt nicht folgen, warnt vor dem Verlust Europäischer Wiederaufbaupotenzen im globalen Maßstab, wenn keine Euro-Bonds, ausgegeben von der Europäischen Zentralbank, endlich das solidarische Mittel der Wahl werden, um die derzeitige, außerordentliche Krise zu schultern. 

Schon im Vorfeld des Gipfels am Donnerstag, dem 23. April 2020, packt unser Fraktionsvorsitzender,  Martin Schirdewan, die Alternativen der Europäischen Krisenbewältigung in die Überschrift seiner Pressemeldung „Corona-Bonds oder Schuldenspirale“ und hält fest: „Der derzeitige Vorschlag des sogenannten recovery fund soll am Donnerstag im Rat besprochen werden. Er sieht vor, dass sich die Kommission, besichert mit dem EU-Budget, Geld über die Kapitalmärkte besorgen und dieses dann als Kredite an Mitgliedstaaten verteilen kann. Mit diesem Vorhaben werden jedoch keine ausreichenden Mittel bereitgestellt werden können und noch dazu werden den Mitgliedstaaten damit unnötigerweise neue Schulden aufgebürdet.“ 

Foto: Konstanze Kriese

Und dann kam es, wie es nicht unbedingt hätte kommen müssen: „Merkel stellt sich weiter stur und riskiert so die Zukunft der EU. Selbst die Warnungen von EZB-Präsidentin Lagarde vor einem Absturz der europäischen Wirtschaft macht den Regierungsspitzen kein Feuer unterm Hintern. Die Bundesregierung will alte Werkzeuge, die schon in der Finanzkrise die Staatsschulden explodieren ließen. Eine neue Schulden- oder Eurokrise kann niemand gebrauchen. Aus dieser Krise gehen alle EU-Staaten als Gewinner heraus, wenn alle gemeinsam kämpfen und investieren. Sonst wird es nur Verlierer geben.“, kommentiert Martina am Freitag die mauen Gipfelergebnisse, die ihr dann noch einmal in einer Videokonferenz des Europaausschusses des Deutschen Bundestages als Unterrichtung der Bundesregierung nacherzählt wurden. Da war dann das Zauberwort: Wir brauchen jetzt eine Bedarfsanalyse und am 6. Mai 2020 legt dann die Kommission etwas vor. Ganz ehrlich, dieses Lavieren ist erschütternd und für Abgeordnete aus Deutschland ganz besonders. Selbst aus der CDU heraus melden sich von Lammert bis Röttgen Politiker zu Wort, die Corona-Bonds, ausgegeben von der Europäischen Zentralbank, für das Rettungsinstrument der Stunde halten, so wie es Italien und zuvor auch Spanien und Frankreich gefordert hatten. Doch stattdessen setzt „Die Bundesregierung“ darauf „zwar jetzt den Mehrjährigen Finanzrahmen auf(zu)stocken, um so die Krise zu bekämpfen. Aber über die Höhe gab es weder eine Einigung noch eine Vorstellung. Stattdessen wird die Verantwortung zurück auf die Kommission geschoben, die jetzt einen neuen Vorschlag machen soll. Die Bürger*innen müssen weiter warten. Der Kommission schweben wohl zwei Prozent des BNE der EU-Staaten für den Haushalt vor. Angesichts dieser Krise reicht das nicht. Doch die Regierungen konnten sich bis vor Kurzem nicht einmal auf einen halb so großen Haushalt einigen. Wir haben schon vor der Krise einen Haushalt in Höhe von drei Prozent gefordert.“, ergänzte Martina ihre Kritik an den Gipfelergebnissen.

Gefragter Regionalausschuss im dauerhaften Sondersitzungsmodus

Martina Michels, Dimitris Papadimoulis (GUE/NGL), Elisa Ferreira (Kommissarin für Zusammenhalt und Reformen, Valdis Dombrovskis, Exekutivvizepräsidenten der Kommission für eine „Wirtschaft im Dienste der Menschen“ | Foto: Europäisches Parlament

„Es ist absehbar, dass die Krise die sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Ungleichgewichte vertiefen und die Erholung von der Krise nicht leicht werden wird. Plant die Kommission, den MFR-Vorschlag entsprechend zugunsten der Kohäsionspolitik, der ländlichen Entwicklung, der Digitalisierungsstrategien, der Unterstützungsmaßnahmen in sozialen Bereichen auszubauen? Wie will die Kommission die Mitgliedstaaten von diesen Notwendigkeiten überzeugen, die bisher stark in nationalen Egoismen verharren?“, fragte Martina Michels in einer außerordentlichen Sitzung per Videokonferenz, die schon am vergangenen Montag stattfand.

Diskutiert wurde mit dem Exekutivvizepräsidenten der Kommission Valdis Dombrovskis und der zuständigen Kommissarin Elisa Ferreira. Und dabei geht es ums Ganze, um die Rolle der Kohäsionspolitik im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), geplant ab dem 1.1.2021 bis 2027, und um einen darin integrierten Wiederaufbau nach der Covid19-Krise. All dies berührt auch die Grundfragen, ob der EU-Haushalt wesentlich erhöht wird. Die Kommission diskutiert hier um eine 2-%-Erhöhung, orientiert an den Beiträgen aus den nationalen Volkswirtschaften. Und viele aus dem Regionalausschuss als auch viele Linke, Grüne, Sozialdemokraten fordern gleich 3 %. Denn: Wir erwarten überall wirtschaftliche Talfahrten durch die Stilllegung vieler Wirtschaftszweige während der Eindämmung der Corona-Krise. Doch dann können wir gleich davon ausgehen, dass das Bruttoinlandsprodukt der Länder ohnehin sinken wird und damit wissen wir schon jetzt, dass eine Erhöhung auf 3 % vielleicht am Ende gar kein üppigeres Volumen des EU-Haushaltes ergibt, so wie wir ihn aus Vor-Corona-Zeiten kannten. Der gesamte Bericht mit Videoauszug aus dem Ausschuss ist hier zu finden.

Israel: Schwierige Regierungsbildung und Holocaust-Gedenktag

Klagemauer, Jerusalem | Foto: Konstanze Kriese

Israel überrascht derzeit nicht nur mit seltsamen Regierungsbildungen und interessanten Protestformen gegen Netanyahus machtpolitische Winkelzüge. „Nach drei Parlamentswahlen innerhalb eines Jahres und monatelangen vergeblichen Koalitionsverhandlungen steht Israel nun vor einer Regierungsbildung. Doch der Preis ist möglicherweise hoch. Benny Gantz‘ politisches Bündnis „Blau-Weiß“ war der einzig ernstzunehmende Herausforderer des rechten Premiers Benjamin Netanjahu. Das gemeinsame Ziel, ihn als Premierminister abzulösen, war der einigende Konsens gewesen und das zentrale wirksame Wahlversprechen…“, beschreibt Martina in einer ersten Stellungnahme die Ausgangslage der Regierungsbildung, die nun in einer Art Notstandsregierung völlig über den Haufen geworfen wird.

PICTOGRAMM: LINKE BERLIN

Das Land erinnert, unabhängig der aktuellen politischen Wirren, an den Holocaust-Gedenktag, der in diesem Jahr unter dem Motto „Rettung durch Juden während des Holocaust: Solidarität in einer zerfallenden Welt“ stand. Hier ist ein Video der Eröffnung des Holocaust-Gedenktages, eine Aufzeichnung aus der Gedenkstätte Yad Vashem, zu sehen. Während der Gedenkstunde in der Knesset, dem israelischen Parlament, sprach auch ein Vertreter der Gemeinsamen Liste, der Partei mehrheitlicher arabischer Israelis, MK Mansour Abbas: „Ich stehe hier und drücke meine Solidarität mit dem jüdischen Volk hier und in der Welt aus, das von den Nazis zum Zweck der Massenvernichtung und des Völkermords ausgewählt wurde  und sage hier: niemals.“, so retweeted vom Parteivorsitzenden Ayman Odeh, mit dem Martina schon mehrfach zusammentraf.

Schweriner Filmkunstfest: EU-Förderungen und Kultur während der Corona-Krise

Graffito, Kino Ixelles in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Gern werben wir für das 30. Schweriner Filmkunstfest, das in diesem Jahr vom 5. bis 10. Mai vollständig online stattfinden wird. Unter https://filmkunstfest.de/ sind für 4,99 EUR alte und neue, kurze und lange Filme für Jung und Alt zu sehen – unter anderem aus dem Filmland Mecklenburg-Vorpommern, aus dem Gastland Finnland und aus dem Focus Baltic Sea. Und weil Ihr schon immer mal ganz konkret wissen wolltet, ob und vor allem wie die EU auch Kultur und Kunst unterstützt: Im Filmkunstfest stecken neben den Fördermitteln des Landes Mecklenburg-Vorpommern auch Gelder aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) drin. Und damit lernen wir ganz nebenbei: Es muss nicht immer „Kultur“ auf dem europäischen Fördertopf stehen und trotzdem lässt sich mit vielen Regionalförderfonds auch europäischer Kulturaustausch fördern.

EU-Kultur- und Medienpolitik während der Corona-Krise

Leere Bank am Brüsseler Flageyplatz | Foto: Konstanze Kriese

An dieser Stelle werden wir etwas allgemeiner, denn auch der Kulturausschuss hat mit der Situation der Kulturschaffenden in den Mitgliedsländern zu tun. Die Abgeordneten des Ausschusses erleben derzeit das Drama eines Sektors, der zuerst schloss und wohl zuletzt wieder in das öffentliche Leben zurückkehren wird, ohne je ganz verschwunden zu sein, wie zum Beispiel die Tänzer*innen der Pariser Oper in einer Videokonferenz zeigen. Derartig ungewöhnliche und schöne Auftritte sind zugleich eine deutliche Mahnung, sowohl die Einkommen von Künstlerinnen und Künstlern zu sichern, als auch die Infrastruktur der Kultureinrichtungen, der vielen kleinen privaten Theater, Bands, die wenigen Möglichkeiten der freischaffenden Autoren, Malerinnen, DJs, Fotografinnen zu sehen, die derzeit die Kulturszene hat, um mit ihrem Publikum zu kommunizieren. Neben einem Notfallfonds für die Medienbranche schlagen die Mitglieder des Kulturausschusses diverse Instrumente vor, die die laufenden Programme betreffen und zugleich so gehandhabt werden sollen, dass sie tatsächlich Krisenhilfe sein können.

Martina arbeitet derzeit als Schattenberichterstatterin an einer Stellungnahme zur Lage der Medienfreiheit, die später im LIBE-Ausschuss in einem Bericht einfließt. In der kommenden Woche beginnt die Zusammenarbeit an diesem Bericht auf Basis der derzeitig eingereichten Änderungsanträge und der Kulturausschuss trifft sich am 4. Mai 202 dann zu einer Sondersitzung.

Corona-Apps – Fluch oder Segen? 

Deckenrondell in der Galerie Ravenstein, Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

„Im Zuge der Bemühungen, die Covid-19-Pandemie einzudämmen, wird seit einigen Wochen allseits der Einsatz von sogenannten ‚Corona-Apps‘ diskutiert. Dabei geht es in Europa hauptsächlich um Smartphone-Apps, die durch contact oder proximity tracing, also das Zurückverfolgen von Kontakten, ermöglichen sollen, dass Infektionsketten gezielt unterbrochen werden können.“ Martina hat mit ihrer Kollegin Cornelia Ernst einmal diverse Anforderungen formuliert und Hintergrundmaterial vom Datenschutz bis zum transparenten Quellcode, von sozialen Aspekten bis zu Organisation der Freiwilligkeit zusammengestellt. Die dabei entstandene Position werden wir fortlaufend ergänzen.

An dieser Stelle wollen wir auch auf ein Gespräch der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit der Referentin für Netzpolitik, Anne Roth, verweisen, die hier den Stand der derzeitigen Entwicklungen in Deutschland kritisch unter die Lupe nimmt und zugleich einen Tag nach dem Gespräch, also gestern, festhalten konnte, dass sich das Bundesinnenministerium in Deutschland nun doch für eine dezentrale Variante entschieden hat. Erstaunlich, wie wir finden. Auch der zweite Teil des Gesprächs mit Horst Kahrs, der in dem Video (mit ab und an zweifelhafter Tonqualität) zu vielen weiteren Krisenerscheinungen befragt wird, ist sehr erhellend. 

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.