Corona-Apps: Fussfessel oder wirksame Hilfe?

Deckenrondell in der Galerie Ravenstein, Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Cornelia Ernst, Konstanze Kriese, Martina Michels, Lorenz Krämer

Position zu Anforderungen an Corona-Apps (wird fortlaufend ergänzt)

Im Zuge der Bemühungen, die Covid-19-Pandemie einzudämmen, wird seit einigen Wochen allseits der Einsatz von sogenannten „Corona-Apps” diskutiert. Dabei geht es in Europa hauptsächlich um Smartphone-Apps, die durch contact oder proximity tracing, also das Zurückverfolgen von Kontakten, ermöglichen sollen, dass Infektionsketten gezielt unterbrochen werden können. Die folgenden Punkte sollen einen Überblick geben, welche Anforderungen DIE LINKE im EP an den Einsatz solcher Apps stellt.

Mit Apps, die praktisch wie eine elektronische Fußfessel eingesetzt werden, damit die Polizei überwachen kann, ob Ausgangsbeschränkungen o.Ä. eingehalten werden, setzen wir uns an dieser Stelle nicht weiter auseinander. Wir sehen diese als repressive Überwachungsinstrumente, die in einer demokratischen Gesellschaft nicht zu rechtfertigen sind.

Datenschutz und Privatsphäre in den Mittelpunkt stellen

Apps, die aufzeichnen, wer sich wie lange in der Nähe von wem aufgehalten hat, und ob diese Personen sich tatsächlich oder möglicherweise mit Covid-19 angesteckt haben, bergen ein enormes Missbrauchspotenzial. Aus diesen Daten könnten sich Bewegungsprofile und Soziogramme erstellen lassen, die den innersten Kern unserer Privatsphäre berühren. Auch könnten die Daten für unrechtmäßige Benachteiligung und Diskriminierung missbraucht werden.

Daher ist es Grundvoraussetzung, dass alle Prinzipien des Datenschutzes eingehalten werden. Zweckgebundenheit, Datensparsamkeit und privacy by design sind rechtliche Anforderungen aus der DSGVO, auf keinen Fall unterlaufen werden dürfen. Der Europäische Datenschutzausschuss unterstreicht, dass solch weitreichende Datenverarbeitung nicht durch die einfache Zustimmung der user gedeckt sein kann und stattdessen einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedarf.

Vertrauen

Corona-Apps müssen Vertraulichkeit garantieren, nicht Vertrauen einfordern. Wir wollen nicht, dass die Menschen in Europa darauf vertrauen müssen, dass ihre Daten und ihre Privatsphäre in solchen Apps sicher sind. Stattdessen fordern wir, dass moderne Verfahren, inklusive Anonymisierung und Kryptografie zum Einsatz kommen, um dem Missbrauch der Daten schon auf technischer Ebene vorzubeugen. Wir bevorzugen dezentrale Ansätze gegenüber zentralisierten Ansätzen, weil eben kein Vertrauen in einen zentralen Akteur notwendig sein sollte. Das Engagement von Firmen für Überwachungstechnologie lehnen wir ab.

Transparenz

Wir wollen keine Katze im Sack. Der Quellcode der Apps sowie der back-ends muss frei verfügbar sein. Wissenschaftlern und Zivilgesellschaft wollen überprüfen können, ob die Software frei von Sicherheitslücken und Backdoors ist, und sie wollen auch die Algorithmen beurteilen können und prüfen, ob diese erreichen können was sie versprechen.

Freiwilligkeit

Darüber hinaus ist es klar, dass der Erfolg solcher Apps davon abhängt, dass sie möglichst flächendeckend zum Einsatz kommen. Die benötigte gesellschaftliche Akzeptanz kann nach unserer Ansicht nur erreicht werden, wenn die oben genannten Forderungen erfüllt werden. Zugleich glauben wir, dass es möglich ist, diese Akzeptanz zu schaffen, so dass die überwältigende Mehrheit der Menschen in Europa eine solche App installieren würde. Eine Verpflichtung zum Einsatz solch einer App lehnen wir daher ab.

Die Frage nach der Freiwilligkeit einer Corona-App geht über die Frage nach der datenschutzrechtlichen Zustimmung hinaus. Vielmehr geht es darum, ob der Staat uns verpflichten kann, einen Teil unserer Privatsphäre im Interesse der öffentlichen Gesundheit aufzugeben.

Wir glauben, dass dies weder notwendig noch gerechtfertigt ist.

Soziale Aspekte

Noch komplizierter wird die Frage der Freiwilligkeit im praktischen Gebrauch, wenn deren Nutzung an Teilhabemöglichkeiten geknüpft werden sollte und damit de facto, Freiwilligkeit und sozial gleicher Zugang – z. B. zu behördlichen Gebäuden, Bibliotheken, Ämter o. ä. – nicht mehr gegeben wäre.

Solch eine „geteilte“ Freiwilligkeit wäre sozial nicht hinnehmbar. Einmal besitzen und benutzen nicht alle Menschen ein Smartphone. Dies betrifft nicht nur kleine Kinder oder ältere Menschen. Die Voraussetzung des Lösungsansatzes zur Verfolgung von Infektionsketten bleibt jedoch ein Smartphone. Auch im besten Falle einer Corona-App-Entwicklung, die auf der Beachtung diverser Prinzipien beruht, ist die erwünschte hohe Nutzungsverbreitung an dieser Stelle auf tönernen Füßen.  

Hintergrund und weiterführende Informationen:

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.