Es rumort im Europäischen Parlament

TTIP-Abstimmung und Debatte im Europäischen Parlament verschoben

Heute morgen (10.6.2015), Punkt 8 Uhr, sollten sich die Abgeordneten im Plenum des Europäischen Parlaments einfinden, um über eine Verschiebung der Debatte über den Bericht zu den laufenden TTIP-Verhandlungen zu entscheiden. In der Nacht zuvor wurden sie hektisch darüber informiert, daß Konservative und Sozialdemokraten eine Vertagung der Abstimmung samt der Debatte beantragt hatten. Präsident Schulz hatte daraufhin entschieden, den Bericht an den Ausschuß zurück zu überweisen und die Abstimmung von der Tagesordnung zu nehmen, obwohl diese am Montag vom Plenum beschlossen war. In der Debatte sollte über die Positionen des Parlaments zu den Verhandlungen der EU- Kommission zu TTIP diskutiert werden. Die Angst vor einer Blamage aus den eigenen Reihen war für Schulz und Co. wohl doch zu groß, denn schon lange rumort es gerade in den sozialdemokratischen Reihen u.a. über die ausgegebene Zustimmung zu den geplanten Schiedsgerichten.

Über den Vorschlag der Absetzung der Debatte entlud sich nun im Plenum eine Welle von Protesten, vor allem von den Linken und Grünen. Tumultartige Szenen spielten sich ab. Die Öffentlichkeit hatte mit Spannung die Positionierung des Parlaments zu TTIP erwartet.

Denkbar knapp fiel dann das Abstimmungsergebnis aus: 183 für und 181 gegen die Verschiebung der Debatte.
Parlamentspräsident Schulz hatte eine formale Lücke für sein Vorgehen gefunden, die sonst völlig unbeachtet bleibt und im Plenumsgeschehen für gewöhnlich ignoriert wird. Laut Geschäftsordnung lassen sich Abstimmungen über Berichte in die Ausschüsse zurück verweisen, wenn sie mit mehr als 50 Änderungsanträgen begleitet werden. Doch dies geschieht häufig und wird ansonsten doch eher als Ausdruck einer vitalen demokratischen Debatte anerkannt und verstanden. Nicht so bei einem Votum zu TTIP. Schulz zog eine formale Geschäftsordnungsnotbremse, manche Medien sprachen gar von Manipulation. 

Nach diesem Tag hätte das Parlament erstmalig Stellung bezogen gegenüber der EU- Kommission und Rat, vielen Regierungen in Europa und der USA und Verhandlungslinien beschließen können. Die Öffentlichkeit hätte endlich gewußt wo Differenzen liegen. Vor allem die die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP, die bisher über 2 Millionen Unterschriften gesammelt hat, fordert eine deutliche Positionierung des Parlaments. 

Warum also eine derart nervöse Reaktion auf einen Zwischenbericht zu den TTIP-Verhandlungen? Wer fürchtet sich vor klaren Ansagen, zur undemokratischen Privatisierung der Investor-Staatsschiedsverfahren (bekannt unter der Abkürzung ISDS),  zur geplanten offenen Mitarbeit großer Konzerne bei parlamentarischen Gesetzesvorhaben (dafür steht das Kürzel: Regulatorische Kooperation) , zu vielen gesellschaftspolitisch fragwürdigen Bestimmungen, vom Arbeits- und Verbraucherschutz, der Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Gesundheitsdiensten, bis hin zur Kultur, den audio-visuellen Medien und dem Urheber- und Datenschutz?
Es sind vor allem Wirtschaftsbosse und ihre politischen Interessenvertreter bei den Konservativen und Wirtschaftsliberalen. Es sind diejenigen, die Markt- und Profitinteressen über gesamtgesellschaftliches Interesse stellen.

Mit der heutigen Vertagungsentscheidung hat sich das Europäische Parlament bis auf die Knochen blamiert. Vorerst bleibt es also beim ungehinderten Agieren der Verhändler hinter verschlossenen Türen. Die Enttäuschung bei den Anti -TTIP -Bewegungen ist dementsprechend groß.

Für uns bleibt es dabei : Wir bleiben dran und lassen nicht locker.

NEIN zu TTIP, jetzt erst recht!

„Empörung über verschobene TTIP-Debatte“ in der Tagesschau

Bilder: © Louise Schmidt