REGI NEWS – Juli 2021

Martina Michels, Nora Schüttpelz

Der REGI NEWSletter Juli 2021 berichtet aus der letzten REGI-Ausschusssitzung vor der Sommerpause, gibt Hinweise zu Berliner Initiativen zur EU-Zukunftskonferenz und Fördermöglichkeiten.

Martina Michels | Foto: Nora Schüttpelz

Die Woche im REGI

Die letzte Ausschusssitzungswoche vor den Sommerferien brachte für die EU-Regionalpolitiker*innen folgende Themen:
 

– Aussprache mit der Slowenischen Ratspräsidentschaft.

Im REGI-Ausschuss stellte der slowenische Minister für Entwicklung und Europäische Kohäsionspolitik, Herr Zvonko Černač, die Prioritäten des Präsidentschaftsprogramms im Bereich der Regionalpolitik vor. Im nächsten halben Jahr geht es unter anderem um die Umsetzung des Aufbauplans NextGenerationEU, Diskussionen rund um das Fit-for-55-Paket zu den neuen EU-Klimazielen und um den digitalen Wandel. Das vollständige Programm findet sich hier, der Abschnitt zur Kohäsionspolitik auf Seite 22f. Eine Übersicht über die Prioritäten, die in den verschiedenen Fachausschüssen des Europaparlaments vorgestellt wurde, findet sich hier.

Besonderes Augenmerk legt unser Ausschuss auf die Beobachtung der Umsetzung der Strukturfonds (v. a. EFRE, ESF, Interreg) und der Sonderfonds (React-EU, JTF, Brexit reserve). Die Abgeordneten betonten einmal mehr und auch gezielt in Richtung der slowenischen Regierung, dass alle Querschnitts-Prinzipien wie Klimaschutz, Partnerschaft zwischen den Verwaltungsebenen, und ganz besonders auch die Rechtsstaatlichkeit von Anfang an einzuhalten sind und von unseren Abgeordneten genauestens beobachtet werden. Es gelte durchaus, keine weitere Zeit zu verlieren, neue Programme zu beginnen und Förderzusagen zu erteilen, jedoch nicht zulasten der gemeinsam vereinbarten Grundprinzipien.

Eine wichtiges Thema, auch während der Corona-Krise, ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Regionen. Wo enge Kooperation bestand, konnte sie auch in den vergangenen Monaten wirksam werden – sei es bei Gesundheitsversorgung in Krankenhäusern, sei es bei Unterstützung von Berufspendlern oder anderen Versorgungsleistungen. Umso mehr irritiert, dass das Vorhaben, grenzüberschreitenden Kooperationen eine einzige gemeinsame gesetzliche Grundlage zu erlauben, von den Regierungen der Mitgliedstaaten auf Eis gelegt wurde. Der slowenische Ratsvertreter bestätigte, dieses Vorhaben nicht wieder auf die Tagesordnung zu setzten, trotz dringenden Appells der MdEP und des Ausschuss der Regionen, diese Initiative endlich wieder aufzugreifen. Die Aussprache ist hier anzusehen.

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Einstimmig wurde das Verhandlungsergebnis zum

– Fonds zur Bewältigung unmittelbarer Brexit-Folgen

– Brexit Adjustment Fonds/BAR (wir berichteten) angenommen. Die vom Brexit negativ betroffenen Regionen und Unternehmen können so noch vor Ende dieses Jahres einen Teil aus diesem 5 Milliarden Hilfsfonds erhalten. Von Anfang an waren sich die Europaabgeordneten einig, dass dieser Hilfsfonds rasch in Kraft treten muss und es konnte in Rekordzeit von sechs Monaten ein Ergebnis erzielt werden, obgleich die Mittelverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zunächst ein großer Streitpunkt zu werden drohte. Dass Regionen und Kommunen in Anlehnung an das Partnerschaftsprinzip in die Auswahl und Umsetzung der Hilfsmaßnahmen einbezogen werden, kann als zentraler Erfolg des Parlaments in den Verhandlungen gewertet werden. Wichtig war uns außerdem, dass die Reserve nur für Sektoren eingesetzt werden kann, die vom Brexit nachweislich negativ betroffen sind. Der Finanzsektor, wo er vom Brexit profitiert, ist ausdrücklich von der Finanzierung aus der Reserve ausgenommen. Mitgliedstaaten, die mehr als 10 Mio. Euro aufgrund ihrer Abhängigkeit von Fischerei im UK-Gewässern zugeteilt bekommen, müssen einen Teil davon verbindlich für Fischerei-bezogene Hilfen ausgeben und dabei auf Nachhaltigkeit achten. Bei der Auswahl der Unterstützungsmaßnahmen ist große Flexibilität gegeben: Private und öffentliche, wirtschaftliche, kulturelle, Bildungs- und Arbeitsmarktbezogene Maßnahmen für Betriebe, Selbständige, Verwaltungen und Organisationen können Mittel erhalten, um ihre Aktivität aufrechterhalten oder umstellen zu können.

Ebenfalls angenommen wurde ein Initiativbericht zu einer

– „Stärkung der Partnerschaft mit den Gebieten in äußerster Randlage der Union“.

Bei diesen Gebieten handelt es sich um Französisch-Guayana, Guadeloupe, Réunion, Mayotte, Martinique und Saint-Martin (Frankreich), die Azoren und Madeira (Portugal) und die Kanarische Inseln (Spanien). Sie verteilen sich auf zwei Ozeane, den Atlantik und den Indischen Ozean, und haben über 4,8 Millionen Einwohner. Die Regionen in äußerster Randlage bereichern die EU durch ein großes Meeresgebiet, große Artenvielfalt und eine vielseitige Wirtschaft. Sie liefern landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Bananen, Rum, Rohrzucker sowie exotische Früchte und Gemüse für die europäischen Verbraucher. Außerdem sind die Regionen in äußerster Randlage von Bedeutung für die Beziehungen der EU zu benachbarten Drittstaaten. Besorgniserregend ist, dass genau diese Gebiete aufgrund ihrer Insellage stärker von Meeresverschmutzung betroffen sind als jedes andere kontinentale Gebiet Europas. Beides, Insellage und Klimabetroffenheit beeinträchtigt ihre Entwicklung in ökologischer, wirtschaftlicher und damit ganz klar auch sozialer Hinsicht. Deshalb fordert der Bericht eine gezielte EU-Strategie für diese Gegenden und besondere Maßnahmen zu ihrer Unterstützung. Der Bericht wird voraussichtlich im September dem Plenum vorgelegt und vorab hier veröffentlicht werden. Bis zum 4. November ist die Beteiligung an einer öffentliche Konsultation der EU-Kommission für eine solche Strategie möglich.

Auf den Weg gebracht hat der REGI-Ausschuss einen Initiativebericht über die

– „Rolle der Kohäsionspolitik bei der Förderung eines innovativen und intelligenten Wandels und der regionalen IKT-Konnektivität“. 

In den kommenden Jahren wird sich auch die Kohäsionspolitik auf die soziale und nachhaltige wirtschaftliche Erholung der Covid-19-Krise konzentrieren. Die Digitalisierung ist eine der wichtigsten Säulen des EU-Wiederaufbauplans. Während der Pandemie wurde die Bedeutung digitaler Lösungen noch sichtbarer. Auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die meist auf lokaler oder regionaler Ebene tätig sind und Schwierigkeiten haben, mit digitalen Giganten wie Amazon und Deliveroo zu konkurrieren. Da die Kohäsionspolitik die größte Quelle der EU-Förderung für KMU ist, könnte es sinnvoll sein, eine Strategie für gezielte Investitionen aus diesem Förderbereich in Digitalisierung auszuarbeiten, um hochwertige Arbeitsplätze zu erhalten bzw. zu schaffen.

Die Idee, so einen Bericht zu machen, passt natürlich einerseits zur Ausrichtung der Strukturfonds, insbesondre des EFRE, wo die Politikziele „Smarter Europe“ und Connected Europe“ festgeschrieben sind. Zugleich ist in der Corona-Krise deutlich geworden, dass moderne und digital versierte Unternehmen die Krise leichter überstehen als andere. Aber, so Martina Michels: „Das setzt natürlich das Vorhandensein guter und bezahlbarer digitaler Infrastruktur voraus genauso wie digitale Fähigkeiten der Beschäftigten und der Kund*innen. Oft und vielerorts muss Politik da bei der Grundversorgung und der Bildung anfangen. Auch im reichen Deutschland saßen im vergangenen Schuljahr ein Viertel aller Kinder im „home schooling“ ohne richtigen Computer oder Smartphone in beengten Wohnsituationen allein mit überforderten Eltern. Die sozialen und digitalen Gaps, die es schon zuvor in vielen Bildungssystemen der Mitgliedsstaaten gab, rissen immer weiter auf. 42 Prozent der Europäer haben keine rundlegenden digitalen Fähigkeiten, wobei es erhebliche Unterschiede innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten gibt und ältere Menschen durchaus besonders stark betroffen sind von digitaler Ausgrenzung (man danke an das Desaster bei der Buchung von Impfungen in Deutschland). Die Abhängigkeit der Nutzung digitaler Bildungsangebote ist klar abhängig vom sozioökonomischen Status, dem Alter, dem Geschlecht, dem Einkommen, dem Bildungsniveau, der Beschäftigungssituation, dem Wohnort, dem Engagement der Arbeitgeber.

Kurzum: Wenn wir die Rolle der Kohäsionspolitik bei der Digitalisierung der KMU und der Regionen insgesamt betrachten, dürfen die sozialen Aspekte, der Bildungsbereich, die Versorgungssituation gerade in ländlichen Gebieten und letztlich auch die öffentliche Verwaltung nicht außer Acht gelassen werden.“

Über

– „Eine langfristige Vision für die ländlichen Gebiete der EU – Für stärkere, vernetzte, resiliente und florierende ländliche Gebiete bis 2040″

debattierten der REGI-Abgeordneten schließlich mit Elisa Ferreira, Kommissarin für Kohäsion und Reformen. Wenn man alle Gemeinden und Landkreise Europas mit wenigen Einwohnern oder einer geringen Bevölkerungsdichte einrechnet, sind sie das Zuhause von 137 Millionen Menschen, die fast 30 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, und erstrecken sich über 80 % des Hoheitsgebiets der EU. Die Kommission hat am 30. Juni 2021 eine langfristige Vision für diese ländlichen Gebiete der EU vorgelegt. Darin hebt sie sowohl die Herausforderungen und Probleme hervor, vor denen die ländlichen Gebiete stehen, als auch einige vielversprechende Chancen, die sich ihnen bieten.

Es wird ein Pakt für den ländlichen Raum mit allen Regierungs- und Verwaltungsebenen und Interessenträgern entwickelt, mit dem die in dieser Mitteilung vorgeschlagenen gemeinsamen Ziele der Vision unterstützt werden. Außerdem wird ein Aktionsplan für den ländlichen Raum aufgelegt. Ländliche Gebiete und Gemeinschaften sollen im Zentrum der Digitalisierungsbemühungen stehen. Die EU-Mittel aus dem ELER, dem EFRE, dem ESF+, der Fazilität „Connecting Europe“ und der RRF sowie nationale und private Mittel sollten zusammen dafür eingesetzt werden, um in Infrastruktur, Technologie und Menschen zu investieren. Eine neue innerhalb der Kommission eingerichtete EU-Beobachtungsstelle für den ländlichen Raum soll die Erhebung und Analyse von Daten über ländliche Gebiete weiter verbessern.

In der Debatte betonte Martina Michels: „Die Entwicklung einer Strategie für den ländlichen Raum mit allen seinen Besonderheiten und Herausforderungen – ob nun struktureller Art oder der Corona-Krise zu verdenken – ist vollstens zu begrüßen. Es ist auch sehr gut, dass sich hier mehrere Generaldirektionen der Kommission gemeinsam engagieren wollen. Der ländliche Raum ist sehr viel mehr als Landwirtschaft. Ich habe daher auch nie verstanden. warum der Fonds für die ländliche Entwicklung (ELER) plötzlich nicht mehr zur Kohäsionspolitik gezählt werden soll. Darf man diese Strategie als Versuch verstehen, die Regionalpolitik und ländliche Entwicklung wieder oder sogar enger und besser zusammenzudenken?“

Weiterhin fragte Martina nach sinnvollen Synergien mit anderen Strategieansätzen wie der Initiative Neues Europäisches Bauhaus. Sie warnte außerdem, die dringend erforderliche Anbindung des ländlichen Raums an schnelles Internet weder erneut zu verschlafen, noch als Allheilmittel zu sehen: „Nur mit schnellerem Internet gibt es nicht mehr Ärzte und Kliniken auf dem Land und auch nicht bessere Ausstattung. Nur mit schnellerem Internet sind weder die Schulen noch die Lehrer*innen und Schüler*innen schon mit diesem Internet verbunden, haben das entsprechende Equipment und Fähigkeiten. Das können wir jetzt durch die Verwaltungen. die Bauernhöfe, Bibliotheken, und auch die Mobilitätsangebote durchdeklinieren. Was ich sagen will: Infrastruktur ist extrem wichtig. Aber genauso wichtig ist, dass sie finanziell zugänglich ist, dass dazu personelle Ausstattung und die Bildung und konkrete Einbeziehung der Leute gehört. Ich sehe in dem Strategieentwurf wirklich gute Gedanken auch dazu. Das muss sich letztlich aber in konkreter Politik in Zusammenarbeit der verschiedenen politischen Ebenen niederschlagen.“ Martina forderte außerdem, auch mit Blick auf die Kommunen im ländlichen Raum eine substanzielle Überarbeitung der Kriterien über die öffentliche Verschuldung. Durch Beobachtung, wissenschaftliche Studien und in zahllosen politischen Debatten ist hinreichend belegt, dass die kommunalen und regionalen Haushalte massiv unter Ausgabensteigerungen und Einnahmeausfällen aufgrund der Corona-Krise leiden und weiter leiden werden: „Ich kann nur noch ein weiteres Mal appellieren, den Stabilitäts- und Wachstumspakt grundlegend vom Kopf auf die Füße zustellen, die makroökonomischen Konditionalitäten abzuschaffen, die öffentlichen Dienstleistungen massiv und als europäische Werte zu stärken“. 

Das Video zur Aussprache gibt es hier.

Überschwemmungen in Deutschland und Belgien

In unserem Gastland Belgien und im Westen Deutschlands waren in dieser Woche Bilder von schlimmen Überschwemmungen nach heftigen Regenfällen zu sehen, zahlreiche Tote sind zu beklagen. Belgien rief den 20. Juli als nationalen Trauertag aus. Solidarität zeigte sich im unermüdlichen Einsatz von Hilfskräften und vielen Freiwilligen, die einfach mit anpackten. Mehrere Nachbarstaaten haben dankenswerter Weise Hilfe im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens angeboten, um bei den Rettungseinsätzen vor Ort und der Bewältigung der schweren Überschwemmungen zu helfen, (https://bit.ly/2U8Xdea). Die Europäische Union hat zudem einen Hilfsfonds, den Solidaritätsfonds der Europäischen Union (EUSF). EU-Hilfsgelder daraus können die Mitgliedstaaten nach Naturkatastrophen (Stürmen, extreme Wetter, Waldbränden, Erdbeben oder eben Überschwemmungen, aktuell auch bestimmte Corona-Notfallsituationen) beantragen und in Anspruch nehmen: https://ec.europa.eu/regional_policy/de/funding/solidarity-fund/ . Der REGI-Ausschuss hat sich umgehend an die Kommission gewandt und rasche Unterstützung der betroffenen Regionen eingefordert.

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Info-Video: der EU-Solidaritätsfonds (englisch) mit Untertiteln auf Deutsch hier : https://multimedia.europarl.europa.eu/de/the-eu-solidarity-fund_B01-ESN-171128_ev

Ein Großer Bürger:innendialog zur Zukunft Europas

findet im Berliner Abgeordnetenhaus im Dezember statt, mit kleineren vorausgeschalteten Dialogformaten sowie eine angemessene Einbindung bzw. Unterstützung der Bezirke zur Organisation eigener Dialogformate. Mehr dazu auf einer Sonderseite des Berliner Senats https://www.berlin.de/sen/europa/aktuelles/zukunft-der-eu/ einschließlich Berliner Europakalender.

Fördertipp

Die (Re-)Präsentation und Sichtbarkeit von  Migrant*innen und Migranten und Flüchtlingen in den Medien ist in den Mainstream-Medien in ganz Europa sehr marginal. Die EU-Kommission hat daher eine Aufforderung zur Entwicklung von Pilotprojketen veröffentlicht, die darauf abzielen, die Sichtbarkeit dieser Gruppen in den Medien zu verbessern. Sie sollen dabei unterstützt werden, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen einzusetzen, um ihre Darstellung in den Medien selbst mitzugestalten.

Bewerben können sich – bis zum 10. August 2021 – gemeinnützige Organisationen, Behörden (national, regional, lokal), Universitäten und Bildungseinrichtungen, Stiftungen und internationale Organisationen, Medienunternehmen, Forschungs-/Technologie- und Kunstzentren. Mehr Informationen zu dieser Ausschreibung hier

https://www.eu-foerdermittel.eu/media-representation-and-inclusion-for-refugees-and-migrants-pilot-project-call-for-proposal/ auf unserer Fördermittelwebsite www.eu-foerdermittel.eu .

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.