EU-Kohäsionspolitik: Europaparlament debattierte Rückblick und Zukunftsauftrag

Martina Michels im EP-Plenum in Strasbourg | Foto: EUROPARL

Alle Mitgliedstaaten sind Nettogewinner der Kohäsionspolitik, aber Strukturfonds dürfen nicht beliebig als Notfallkasse dienen, erst recht nicht für Rüstungsproduktion und Grenzzäune

Martina Michels, Nora Schüttpelz

In der Kohäsionspolitik gibt es keine Nettozahler vs. Nettoempfänger, sondern alle Mitgliedstaaten sind Nettogewinner – mit dieser klaren Botschaft und mit Blick wendet sich das Europaparlament zum Ende der Legislaturperiode an die Kommission und den Rat mit Blick auf die anstehenden Debatten über die Zukunft der EU-Regional- und Förderpolitik.  

In ihrem 34-seitigen Bericht, der mit 433 Ja-Stimmen, 36 Nein-Stimmen und 51 Enthaltungen angenommen wurde, legen die Europaabgeordneten die Erfolge der EU-Kohäsionsfonds im Zeitraum 2014–2020 dar, sowie die Erkenntnisse aus dem Umsetzungsprozess und Empfehlungen und Prioritäten für die Kohäsionspolitik der nächsten Generation.

Die EU-Kohäsionspolitik hat im Förderzeitraum 2014-2020 dazu beigetragen, neue Arbeitsplätze für 6,8 Millionen Menschen zu schaffen, 2,2 Millionen Unternehmen zu unterstützen, die Energieeffizienz in 550.000 Haushalten zu verbessern und die Zahl der Menschen, die von einer besseren Wasserversorgung profitieren, auf 8,3 Millionen zu erhöhen, was 29 Millionen Menschen entspricht Durch Investitionen in den Katastrophenschutz wurde die Anfälligkeit für Überschwemmungen deutlich reduziert, andere Förderlinien ermöglichten die Markteinführung von 37.000 neuen Produkten.

Zugleich wurde die EU-Kohäsionsfonds im Zeitraum mehrfach zur Finanzierung von Maßnahmen und Initiativen zur Bekämpfung aufeinanderfolgender Krisen wie der COVID-19-Pandemie, den Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine, der Energie- und Inflationskrise verwendet. Die positiven Auswirkungen trugen zur Unterstützung von KMU bei und Unternehmen, zu Klima und digitalem Wandel, Forschung und Innovation sowie Beschäftigung und sozialer Eingliederung bei und halfen, weiteres Auseinanderdriften der Regionen zu verhindern.

Der REGI-Ausschuss, dem Martina Michels als Koordinatorin für die Linksfraktion THE LEFT angehört, betont in seinem Text, dass die Kohäsionspolitik das wichtigste Investitionsinstrument der EU für alle Regionen bleiben sollte, um Ungleichheiten zu verringern und die wirtschaftliche, soziale und territoriale Entwicklung sicherzustellen. Dazu müsse das Kohäsionsbudget erhöht, das Prinzip der geteilten Verwaltung gestärkt und weitere Vereinfachungen angestrebt werden. Dazu gehört auch die frühzeitige Fertigstellung der inhaltlichen Strategien von EU-Seite, damit 2027 Verzögerungen bei der Umsetzung diesmal vermieden werden. Vorschläge, alle Strukturfonds in einen einzigen zusammenzulegen, erhielten von einer Mitte-Links Mehrheit unter den Regionalpolitiker*innen eine klare Absage. Ebensowenig akzeptierten sie eine Abkehr von den vereinbarten Klimazielen und Gender-Aspekten. Einigkeit besteht darüber, dass der Grundsatz „der Kohäsion keinen Schaden zuzufügen“ stärker verankert werden muss, das bedeutet, dass politischen Maßnahmen in anderen Fachbereichen nicht regionale Ungleichheiten hervorrufen dürfen. Auch in Zukunft sollen die am meisten bedürftigen Regionen und solche mit geographischen oder demographischen Nachteilen besonders gefördert werden. Außerdem sollen Städte und der ländliche Raum gezielter unterstützt und verbunden werden. Grenzregionen sollen nicht nur, aber auch mit Blick auf künftige EU-Beitritte stärkere Aufmerksamkeit erfahren. Auch insgesamt müssten wahrscheinliche Auswirkungen der Erweiterung auf die Kohäsionspolitik vor Beginn des neuen Programmplanungszeitraums analysiert und bewertete werden.

Für EU-Erweiterung und auch den Wiederaufbau der Ukraine müssen zwingend zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Die Strukturfonds in ihrem heutigen Umfang und Form, können diese Herausforderungen unmöglich stemmen. Auch insgesamt, das wurde in der Plenardebatte in dieser Woche mehrfach wiederholt, soll Kohäsionspolitik flexibel sein und auch an der einen oder anderen Stelle in Krisensituationen einspringen können. Was allerdings nicht funktionieren kann, ist die ständige Umwidmung der Gelder für Notfallmaßnahmen. Das läuft der Zielstellung und der Notwendigkeit langfristiger strategischer Investitionen für regionale Entwicklung und Angleichung der Lebensverhältnisse diametral entgegen. Es gibt so viele Herausforderungen, die weiterhin auf der Hand liegen: der grüne, digitale und industrielle Wandel und nachhaltige Mobilität, Energieeffizienz und Katastrophenresistenz, Unterstützung vom industriellen Wandel betroffener Regionen, soziale Ausgrenzung bekämpfen und die Integration benachteiligter Gemeinschaften wie der Roma unterstützen, Rechtsstaatlichkeit voranbringen und Verwaltungskapazitäten stärken.

Aus linker Sicht schließlich, macht es uns große Sorgen, dass auch Kohäsionsmittel immer deutlicher in Richtung Verteidigungsindustrie, militärische Mobilität und Grenzsicherung verschoben werden sollen. Martina Michels betonte daher in ihrer Plenarrede: „Die Rüstungsproduktion mit EU-Strukturfonds anzukurbeln, das mag den einen oder anderen Arbeitsplatz schaffen. Doch Rüstungsproduktion leistet nichts für die ökologische Transformation und bringt langfristig keine Sicherheit.  Wenn uns bei der Lösung internationaler Konflikte nur noch militärische Aufrüstung, militärische Mobilität und Grenzsicherung einfällt und kein Sicherheitskonzept, dass über das Militärische hinausgeht, werden wir die ökologischen und sozialen Krisen europa- und weltweit verschärfen. Komplett zivil genutzte EU-Strukturmittel sind nicht nur das Gebot der Stunde, sondern auch der Kompass für ihre nachhaltige Wirkung.“

Nächste Schritte

Dieser Initiativbericht ist als Bilanz und Zukunftsempfehlung des Regionalausschusses für die kommende Legislaturperiode zu werten, in der die Strategie und Gesetze zur Förderperiode nach 2027 festgelegt werden. Die EU-Kommission wird noch vor der Sommerpause ihren 9. Kohäsionsbericht vorlegen, in dem sie ihrerseits den Stand des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts bewertet, den Beitrag der Strukturfonds sowie mögliche Optionen für deren Weiterentwicklung. Bereits 2023 hatte die Kommission eine hochrangige Expertengruppe zur Zukunft der Kohäsionspolitik einberufen, die Anfang dieses Jahrs ihren Bericht vorlegte und ihn am kommenden Mittwoch im Europaparlament vorstellen wird. Die REGI-Sitzung am Mittwoch, 20. März 2024, kann ab 10h00 hier live verfolgt werden.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.