Vom Tiger zum Bettvorleger: Digitaler Binnenmakt (DSM)

Foto (Screenshot, KK.): Geoblockinganzeige für youtube Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland

Parlament diskutiert halbherzige Kommissionsvorschläge zum Digitalen Binnenmarkt (DSM) und zur Reform der Audio-Visuellen Medienrichtlinie (AVMD)

Gestern hat der Kommissar für den Digitalen Binnenmarkt und Vizekommissionspräsident, Andrus Ansip, Beschlüsse für die Reform der Audio-Visuellen Mediendienste (AVMD) und  für einen vereinfachten Online-Handel im Rahmen der DSM-Strategie vorgestellt.

2014 trat die Kommission an, um mutig die Harmonisierung von 28 Urheberrechtsrechtsrahmen anzupacken, den grenzüberschreitenden Online-Handel zu vereinfachen oder das Geoblocking tendenziell aufheben zu wollen.

Die Kommission kann die Brille der Großunternehmen einfach nicht ablegen und vernachlässigt daher schon im Ansatz eine digitale Binnenmarktstrategie, die sich an politischen Grundlagen einer digitalen Demokratie orientiert. Seien es die Neuregelungen zur Telekommunikation oder zum Cloudcomputing, mit jedem neuen Kommissionsvorschlag stehen immer wieder Grundprinzipien zur Disposition. wie Netzneutralität und Datenschutz, und es verschwinden Lösungen für einstige Versprechen durch den Alarm der Industrielobbyisten oder großen Zeitungsverleger, wie zum Beispiel eine weitgehende Überwindung des Geoblockings oder wir stehen immer wieder im Widerstreit gegen auferstehende Untote, wie das Leistungsschutzrecht.

NetzaktivistInnen, der Verbraucherschutz und vor allem auch viele Institutionen, die das Netz öffentlich und für alle nutzen wollen, wie öffentliche Bildungseinrichtungen, Bibliotheken, Kulturinstitutionen, Mediatheken und Archive usw. verteidigen dann im Halbjahrestakt die schrittweise durchlöcherte Netzneutralität, den Datenschutz, das recht zu Kopieren und vieles mehr, was in einer vernetzten Welt eigentlich selbstverständich sein sollte.

Und auf angemessene Reformschritte für ein modernes Urheberrecht in der digitalen Welt, indem NutzerInnengewohnheiten und -rechte ausgelotet werden und gute Einkommen der Kreativen nicht nur als leeres Argument vor sich hergetragen werden, werden wir wohl vergeblich warten. Da lauert immer wieder das heilige Territorialprinzip, ohne je aufklären zu wollen, ob es für Film- und andere Contentproduzenten nicht doch eine andere, europäisierte Form gäbe, die deren Umsätze sichert und bei der Nutzerinnen udn Nutzer dann letztendlich nicht das nachsehen haben und zu NesthockerInnen in einem vernetzten und mobilen Europa verdammt werden.

Was sind die konkreten Vorschläge?

Kurz gefasst, ließ sich Vieles schon aus den Mediendebatten der vergangenen Tage entnehmen und ein Großteil stand diesmal im Zeichen der Reform der Audio-Visuellen Medien. Neben einer Stärkung der nationalen Regulierungstellen, mehr Schutz für Kinder und gegen Hass im Netz, sowie flexiblerer Werbung, was immer das im einzelnen bedeutet, ob Trennung von Content und Werbung oder klare Kennzeichnung, wie es der CULT-Ausschuss jüngst vorschlug, kamen die jetzt heißt diskutierten Vorschläge, dass Netflix und Co mehr für europöische Inhalte tun sollen und nun 20 % europäischer Filme und Serien in ihr Angebot aufnehmen und sie prominent bewerben.

Dazu hat Martina gestern gegenüber epd-Medien erläutert: „Die großen Streamingsdienste erfüllen die 20%-Quote vermutlich längst, abgesehen von der prominenten Werbung. Andererseits lässt sich die Förderung für cineastische Vielfalt aus Europa wohl kaum auf diesem antiquierten Weg des wirtschaftlichen Protektionismus herbeiregulieren. Da hilft auch nicht das wacklige Argument, dass damit etwas für die kulturelle Vielfalt getan werden würde. Ich weiß, dass die Filmfirmen das nicht gern hören, weil sie derzeit vom Territorialprinzip gut leben, doch ich bin dafür, dass eine offene Debatte zu Europäischen Lizenzen endlich so geführt wird, dass kleine Filmunternehmen nicht krachen gehen, sondern mit einer nötigen und sinnvollen europäischen Harmonisierung auch überleben. Die Reformierung der AVMD hätte die Aufhebung der linearen und nichtlinearen Dienste endlich zeitgemäß in Angriff nehmen sollen. 

Natürlich hat Europa hat mit seiner Vielsprachigkeit eine kulturelle Besonderheit, die auf einem Binnenmarkt mit Schwierigkeiten durchschlägt. Doch hier wäre eine großzügige Filmförderung bis hin zur Untertitelung der bessere Weg statt an dieser Stelle auf die Wirkung der Peanuts, die über MEEDIA und andere Programme verausgabt werden, allein zu vertrauen.

Quotierungen regeln keine Qualität kultureller Vielfalt und werden m. E. uns nicht mehr  interessante europäische Filme und Serien bescheren, die die USA nun einmal auch zu bieten hat, aber auch die BBC und viele Filmemacher.“

Neben (und auch in) dem großen Paket für die Audio-Visuelle Medienrichtlinie (AVMD) hat sich Kommission nun endlich dem Problem und der Herausforderung – Plattformen – angebommen und will nun nach dem Prinzip: „Vergleichbare Vorschriften für vergleichbare Inhalte“ regulieren und zugleich deregulieren, wenn es um die Überarbeitung des EU-Telekommunikationsrechtes geht. Da lohnt das genaue Hinschauen allemal, denn immer wieder lauert der Dolchstoß für die Netzneutralität, obwohl zum Beispiel die Niederlande es vorgemacht haben und Zero-Ratung einfach verboten hat.

Bis heute sind für Online-Dienste viele Haftungs- und Datenschutzregeltn offen, die für traditionelle Dienste schon lange gelten. Und einmal mehr trägt die Kommission dann ihren großen Anspruch vor sich her, den Verbraucherschutz zu verbessern, aber irgendwie auch offene Märkte für eine datengestützte Wirtschaft zu schaffen.

Dass da die Kommission überdies an einem Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Hassreden im Internet arbeitet, ist sicherlich nur ein Element, was die Debatten in den kommenden Wochen bewegen wird.

Und sicher, für kleine und mitterlere Unternehmen sind noch immer viele Fragen offen.

Eine Übersicht der Kommissionsvorschläge mit vielen Links zu den Dokumenten ist hier zu finden. In den kommenden Wochen werden auch wir die Vorschläge im einzelen kommentieren.

Wir werden in den kommenden Wochen zu den einzelnen Vorschlägen konkret Stellung nehmen.

Was hat das Parlament anschließend diskutiert?

Fast vergeht einem die Lust, die weitgehend öde Debatte widerzuspiegeln, die ein beinahe komplettes Zeugnis politischen Desinteresses gegenüber der digtalen Gesellschaft und dem tatsächlichen Regelungsbedarf für einen digitalen Binnemarkt darstellte. Deshalb werden hier hier nur an drei Redebeispielen, die wesentlichen blinden Flecken zusammengefasst.

Michel Reimon, Grüner aus Östereich, brachte die Grundkritik am Denk- und Regelungsansatz der Kommission auf den Punkt, indem er die fehlenden Prinzipien, wie Netzneutralität, Datenschutz anmahnte und klar darauf verwies, dass Lösungen für eine digitalen Binnenmarkt, letztlich vernünftige Lösungen für eine digitale Gesellschaft voraussetzen. Vielleicht lag es daran, dass er auch Martinas Kollege im Kulturausschuss ist und dort mit ihr viele Positionen teilt, jedenfalls war es nötig und entscheidend, dass Reimon nach den vielen Schwafeleien über Paketzustelldienste, Onlineinkäufe und die Kommission ist irgendwie auf dem ricthigen Weg – auch wenn der Regelungsbedarf nicht von der Hand zu weisen ist – nochmal hervorhob, dass es bei der Digitalisierung zuerst um unser aller demokratische Möglichkeiten und eine andersartige Öffentlichkeit geht, die wir für alle sichern müssen.

Nur aus dieser Perspektive haben alle politischen Vorschläge für den Europäischen Digitalen Binnenmarkt nachhaltigen Bestand, wenn wir nicht auf eine Gesellschaft zusteuern wollen, in der die elektonische Durchleuchtung und geistige Orwellisierung das Sagen haben sollen, indem große Unternehmen und Machteliten mit schnelleren Netzen und eklusiver Information und Kommunikation ausgestattet sind und der Rest der Welt nicht mehr Bürgerin und Bürger, sondern ausschließlich Käuferin und Käufer sind, die ihr Vertrauen in den Gang der undurchachubaren Dinge behalten sollen.

Paloma López Bermejo, eine spanische Abgeordnete aus unserer GUENGL Fraktion, mahnte in der Debatte ArbeitsnehmerInnenrechten in der digitalen Wirtschaft an und dass sich die Kommissionsvorschläge zu dieser Fragestellung so gut wie gar nicht verhalten. Nur müssen wir hier in Zukunft konkreter werden, denn dies gilt schließlich in gewisserweise genauso in der Pflege und vielen anderen Dienstleistungsbranchen, die ähnlich den creative industries nicht im Leuchtkegel großer Industriegewerkschaften tätig sind, sondern schon immer in entregelten und mies bezahlten Beschäftigungsformen tätig und wenig organisiert sind. Die Konflikte, die hier anstehen, sind auf der anderen Seite exemplarisch für die Neuorgansiation einer zerklüfteten Arbeitswelt, weshalb die politische Beschäftigung tatsächlich dringend ist, sonst verkommen die creative industries zum ewigen Modell eines neuen sich selbst ausbeutenden Postindustrieproletatriats, oder wie Lothar Bisky es einst nannte, zum Informationsprekariat. Die hohe Eigenmotivation gegenüber den intellektuell oft anspruchvollen, aber schlecht bezahlten Tätigkeiten, die hohe Quote von Selbständigen, Click- und Crowdworkern taucht in den politischen Vorschlägen – auch bei linken Beschätigungspolitiken – oft gar nicht als Problem und Potential auf. Sie stellt aber einen entscheidenden Ansatz für den dringenden Regelungs- und Kommunkationsbedarf mit den Beschäftigten dar.

Petra Kammerevert, von den Sozialdemokraten, Fachpoilitikerin für die Audioviusellen Medien und CULT-Ausschuss-Mitglied, konnte in ihrem Beitrag nochmals auf eines der entscheidenden Probleme hinweisen, welches wir auch immer wieder anmahnen und von denen die linke Fraktion nicht ausgenommen werden kann.

Wir sehen die digitale Binnenmarktstrategie als Problem von Beschäftigten, die nicht eben nur Konsumenten sind und als Problem kleiner und mittlerer Unternehmen. Doch das ist selbst eine reduzierte Perspektive, die sogar das Parlament in der Beschäftigung mit der digitalen Binnenmarktstrategie eingestanden hat, indem es im Ansatz die Reform der Audio-Visuellen Medienrichtlinie (AVMD) exklusiv in den Kulturauschuss legte, auch wenn ansonsten beinahe alles in Industrie-,Verbraucherschutz- und Rechtsuasschüssen verhandelt wird (ITRE; IMCO; JURI).

Ja, es geht bei der Organisation traditioneller (linearer) Medien, wie TV und Rundfunk, und der neuen nichtlinearen Medien, dem Netz, darin den Streamingsdiensten, den sozialen Netzwerken, den Nachrichten auf Online-Portalen usw., um unsere demokratische Kultur, um diskriminierungsfreie Zugänge, um Überwindung des Geoblockings, um Portabilität erworbener Inhalte, um Medien- und Internetkompetenz und einmal mehr ums Urheberrecht.

Und da bleibt dann viel Kritik an den Kommissionsvorschlägen nicht aus, die einmal mehr den öffentlichen Bereich kaum im Fokus hat, obwohl hier ebenso große Medienunternehmen, Bildungs- und Kulturinstitionen und Forschungseinrichtungen am Werke sind, die in einer digitalen Welt agieren, Zugänge und Information sichern müssen und Öffentlichkeit generieren.

Andererseits, und darauf fokussierte Kammerevert besondern, werden nicht mal überholte Unterscheidungen aufgehoben und TV und das Internet noch immer gänzlich separaten Behandlungen unterworfen, obwohl dies praktisch für Nutzerinnen und Nutzer längst ein großes Ganzes geworden ist, indem sie sich kommunikativ, informierend und auch selsbt produzierend bewegen.

Zum Schluss:

Immerhin gibt es jetzt eine Inititiave – Entgeoblocking – gegen Geoblocking, die von der Piraten, Julia Reda, mit initiiert wurde. Hier könnt ihr euch informieren. Da sind schon mal konkrete Chancen, den Bettvorlegern der Kommission tigerhaft Beine zu machen.