Panoramafreiheit

Konstanze Kriese (Mitarbeiterin)

Fachdebatte in einem anderen Licht

Was ist denn das? Wieso kann ich nicht jedes Gebäude fotografieren? Was hat das mit Urheberrechten zu tun? Weshalb und was will die EU da eigentlich einschränken? So oder ähnlich gehen in den letzten Tagen manch Fragen und Kurznachrichten hin und her. Dabei wird eine Debatte kolportiert, die gar nicht so speziell ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Sie trifft am Ende nicht nur die Berufsfotografen, Dokumentarfilmerinnen und -filmer, die nicht ganz ohne Grund von der Gefahr der Privatisierung der Wirklichkeit sprechen. Sie trifft auch den weiteren Umgang mit Bildern in der Wikipedia– und in anderen Plattformen.

Die erste und einfachste Frage: „Panoramafreiheit, was ist denn das?“, ist sehr berechtigt, denn in Deutschland ist zum Beispiel die Frage, wer was fotografieren und infolgedessen als sein eigenes Werk – gegen Geld oder nicht – publizieren darf, sofern es sich um  öffentliche Straßenzüge, Plätze, Gebäude und ähnliches handelt, unkompliziert geregelt. In Deutschland gilt die Panoramafreiheit und niemandes Urheberrechte sind angegriffen oder verletzt, wenn man z. B. die Kuppel des Bundestages fotografiert, obwohl deren Schöpfer, Norman Forster, sich seines Lebens freut und auch keine anderen Schutzfristen für dessen Erben irgendwann greifen. In Frankreich ist das anders. Dort ist das Verbreiten von Fotografien, auf denen öffentliche Gebäude zu sehen sind, auch wenn die Gebäude alt aber z. B. aktuell illuminiert sind, eingeschränkt. Eine übersichtliche umfangreiche Erläuterung der Debatte hat irights.info angeboten.

Die derzeitige Debatte wird von einigem Alarmismus begleitet, wenn es denn heißt, die EU hat vor, in der nächsten Woche die Panoramafreiheit europaweit abzuschaffen. Dem ist nicht so. In der nächsten Woche wird ein Bericht zur Reform des Urheberrechts der Piratin Julia Reda verabschiedet. Sie hatte genaugenommen vorgeschlagen, die Panoramafreiheit, wie oben beschrieben, europaweit herzustellen. Doch die Schlussabstimmung ihres Berichtes im JURI-Ausschuss bescherte genau das Gegenteil, was nicht gleich den ganzen Bericht in seinem Anliegen verdreht.

Insgesamt widmet sich der Initiativbericht von Julia Reda Regelungen, die den europäischen Urheberrechtsflickenteppich harmonisieren könnten, dies vor allem aus der Perspektive von Nutzerinnen und Nutzern des Internets, wozu neben Lernenden und Studierenden, vielen Berufsgruppen und auch öffentliche Bibliotheken und Bildungseinrichtungen gehören. Reda geht es mit ihrem Bericht und der darum geführten Debatte um die demokratische Potenz der neuen Wissens- und Kommunikationsspeicher für alle, aber auch um die Debatte, wie Autorinnen und Künstler, Film- und Musikproduzenten, sowie die in Netzwerken produzierenden Nutzerinnen und Nutzer, ihre Rechte geltend machen können. Es geht um Nutzungsrechte und um Einkünfte und um die Entscheidung, was wer mit Inhalten tun kann. Die dritte und lauteste Gruppe in dieser Debatte sind die Verwertungsgesellschaften, wie GEMA, VG Wort u. a., die – auch wenn sie oft vom Wohl und Wehe der Schöpfer sprechen – ein ganz eigenes Interesse in der modernen komplizierten Urheberrechtsdebatte formulieren. Sie möchten zumeist am liebsten, den Künstlern ein wenig, den Nutzerinnen gar keine Rechte in den neuen Kommunikationsformen im Internet einräumen, denn sie sehen hier einen Teil ihrer Einkünfte schwinden. Dabei gibt es längst, von den creative commons-Lizenzen, über Reformen des Urhebervertragsrechtes bis zu den Kulturflatrate-Debatten andere Überlegungen, wie man die Kommunikation in den modernen Netzen gerechter regelt und, was noch viel entscheidender ist, zugleich den Zugang zu Bildung und Wissen in Zukunft nicht erschwert oder allein abhängig macht, wieviel Nutzerinnen und Nutzer dafür bezahlen können.

Spätestens jetzt ist vielleicht deutlich geworden, dass selbst so eine scheint’s abseitige Debatte, wie die um die Panoramafreiheit, letztlich überhaupt keine Spezialistendebatte ist, denn es geht darum, wie wir morgen lernen, Wissen tauschen und den digitalen Graben auch weltweit überwinden. Und dazu gehört durchaus, wer welches „Bild“ von der Welt produzieren und kommunizieren kann, wer darüber bestimmt, wie wir uns Wirklichkeit unmittelbar aneignen. Und im unmittelbaren Sinne gehört dazu, wie wir mit Fotografien, auf denen öffentlich zugängliche Motive zu sehen sind, umgehen.

Im Lichte dieser Dimension der hitzigen Urheberrechtsdebatten erscheint die absurde Einschränkung der Panoramafreiheit, statt ihrer erhofften europaweiten Durchsetzung, die nun mit einem Änderungsantrag zum Urheberrechtsbericht von Julia Reda nächste Woche per Parlamentsentscheidung durchsetzbar scheint, nicht mehr völlig unerheblich oder nur besondere Berufgruppen betreffend. Sollte es zu dieser abgestimmten Empfehlung an die Kommission kommen, die Panoramafreiheit europaweit einzuschränken, so  stünde dies auch dafür, dass die beiden großen Fraktionen im Parlament, die EVP und die S&D und ein Liberaler entweder nicht verstanden haben, dass sie sich an einer Debatte um offene Zugänge zu Wissen und Kommunikation und einer entsprechenden Harmonisierung des Europäischen Urheberrechts verweigern oder dass sie überhaupt nur noch den großen Rechteverwertern, die ihre Einkünfte sichern wollen, hinterherlaufen, während Schulen, Bibliotheken, Hochschulen und Netznutzerinnen und -nutzern sehen können, wo sie bleiben.

Wir haben es mit einer handfesten Auseinandersetzung um die demokratischen Potenzen unserer Gesellschaft zu tun, zu denen neben allen Debatten rund um das Internet auch unser Umgang mit der, über das Netz hinausgehenden Öffentlichkeit gehören sollte. So gesehen sollten wir alle Hebel in Bewegung setzen, damit die Einschränkung der Panoramafreiheit verhindert wird, denn wie heißt es so schön: Wehret den Anfängen!

Konstanze Kriese (Mitarbeiterin)