Informationsgesellschaft ist mehr als ein florierender digitaler Binnenmarkt

Foto von Konstanze Kriese: Street-Art neben einer Schule, Brussels-Ixelles

Martina Michels zum UN-Welttag der Telekommunikation und Informationsgesellschaft

Martina Michels, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung im Europaparlament (CULT), erklärt anlässlich des Welttages der Telekommunikation und Informationsgesellschaft:

„Wesentliche Forderungen des Weltinformationsgipfels, die in der Tunis-Agenda zusammengefasst sind, sind unerledigt. Der digitale Graben, der zwischen Nord und Süd, Metropolen-, Insel- und Transfergesellschaften verläuft, besteht weiterhin. Wissen zu erwerben, Beratung und Information in existentiellen und beruflichen Belangen einzuholen und weiter zu geben, die Möglichkeiten, schrankenlos zu kommunizieren und kulturelle Erfahrungen auszutauschen, sind bis heute vielen Menschen versperrt. Dabei sind technologische Möglichkeiten für eine gerechte und preiswerte Teilhabe in einem modernen Wissensmanagement, einer offenen Informationsgesellschaft längst ausgreift und bei entsprechendem politischen Willen für jede und jeden verfügbar.

Die reichen Staaten des Nordens sollten beim sicheren und weltweiten Netzausbau vorangehen und dabei auch besonders den Aufbau öffentlicher Netze und Wissensspeicher, moderner Bibliotheken und Kommunikationsmöglichkeiten für alle vorantreiben. Stattdessen beeinflussen und gefährden politisch Strategien großer Telekommunikationsunternehmen, der Informationsindustrie im Doppelpack mit einer repressiven Innenpolitik das demokratische Prinzip der Netzneutralität. Gleichfalls stemmen sich ein Teil dieser Interessengruppen gegen mutige Schritte für ein modernes Urheberrecht und andere halten den persönlichen Datenschutz für ein Handelshemmnis.

Dieser Einfluss ist vor dem Hintergrund, dass die wesentlichen technologischen Entwicklungen der modernen Informationsgesellschaft – vom ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) bis zu GPS, wenn auch zumeist unter militärischen Vorzeichen – aus großzügigen staatlichen Investitionen entstanden sind, nicht begründbar und politisch endlich strikt abzuwehren, wie die Ökonomin, Mariana Mazzucato, eindrucksvoll darstellt.

In der Tunis-Agenda wurde in der Debatte aller Interessenvertreter*innen festgehalten, dass alle Ansätze einer modernen Informationsgesellschaft den Menschen in den Mittelpunkt stellen müssen (vgl. Art. 6 UN-Resolution 60/252).

Doch selbst mit den Vorstößen der EU-Kommission, die den Ausbau des digitalen Binnenmarktes (DSM) zu einem ihrer strategischen Schwerpunkte erklärt hat, in dem u.a. eine notwendige Harmonisierung des Urheberrechts in einer globalen Informationsgesellschaft geplant ist, wird die einseitige Orientierung auf Unternehmensgewinne, Wachstum und Wettbewerb fortgesetzt und dies zudem ziemlich erfolglos, denn es ist noch immer einfacher einen Artikel online in Honkong zu bestellen, als im europäischen Nachbarland. Das ist nicht nur schlicht absurd, sondern verweist hinter dem Netz auf die soziale Ungerechtigkeit und das ökologische Desaster in der derzeitigen Weltwirtschaft, in der neben den Löhnen und der Umweltverschmutzung in Asien auch die Transportkosten viel zu niedrig sind.

Die reichen Weltregionen sollten generell vorangehen, wenn es darum geht, eine gerechte Wirtschaft und eine moderne Informationsgesellschaft zu gestalten, indem sie endlich nachdrücklich:

  • den globalen Einfluss auf die ICANN-Organisation in den USA nachhaltiger installieren, um eine vernetzte öffentliche Aufsicht über das Internet durch alle Gesellschaften zu verwirklichen;
  • indem Schritte zur Überwindung der innergesellschaftlichen und globalen digitalen Gräben nicht mehr alleinig aus der Perspektive von Unternehmensentwicklung konzipiert werden;
  • indem Datensicherheit und Datenschutz in kommerziellen und öffentlichen Belangen ernst genommen werden und damit Bürger*innen wieder als Produzent*innen statt nur als Konsument*innen verhandelt werden;
  • Medienkompetenz endlich auch durch Internetkompetenz ergänzen, indem die demokratischen Bildungsprozesse umfassend einer modernen Informationsgesellschaft angepasst werden.
  • Netz- und Mediengesetzgebungen müssen Qualitätsjournalismus, Online-Verlegerschaft fördern, statt sie gegen tradierte Formen der Kommunikation auszuspielen. Die Förderung kleiner Unternehmen, die besonders Medienpluralismus und kulturelle Vielfalt sichern, ist dabei kein Nebengleis, sondern essentielles Prinzip.
  • Regelungen für die Sicherung des kulturellen Gedächtnis‘ unserer Gesellschaften, für den Aufbau von öffentlich zugänglichen Informations- und Wissensspeichern und mehr öffentlicher Raum für kollaboriertes Arbeiten sind bisher unzureichend und zügig auszubauen.
  • Angesichts von Entwicklungen im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken, in denen sich Hass und Gewaltverherrlichung, Sexismus, Diskriminierung und Verfolgung ausbreiten können, sind Regelwerke der Kommunikation, die ausschließlich an menschenrechtlichen Grundwerten, Meinungs- und Kunstfreiheit orientiert sind, durch Anbieter*innen, gemeinsam mit den Netznutzer*innen durchzusetzen.

Herrschende Politik sollte endlich aus den Gräben der Subventionsideologie steigen, wenn es um die öffentlichen Infrastrukturen des Netzes geht und Förderungen in eine moderne Informationsgesellschaft als Investition begreifen. Ein alleiniger Fokus auf den Europäischen digitalen Binnenmarkt verkürzt das Problem, statt es wirklich anzupacken.“