Martinas Woche 50 – 2019

Der Brexit und andere Bremsen

Wahl in UK – Zukunft der EU – Klimaneutral bis 2050? – Creative Europe – EU schleift Recht auf Asyl – EL tagt in Malaga

In der vergangenen Woche haben die Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien den Brexit der Tories gewählt. In Brüssel trat das Parlament zu einer Sondersitzung zusammen, um über den Green Deal, den die EU-Kommission vorlegt, zu sprechen. Die Klimapolitik stand zugleich auf dem regulären Regierungsgipfel am 12./13.12.19 in Brüssel und Polen verweigerte seine Stimme für ein klimaneutrales Europa 2050. Die Ratlosigkeit im Großen spiegelte sich auch im „Kleinen“. Martina Michels berichtet über die Aussetzung des Trilogs zum Programm Creative Europe. Abgeordnete fuhren an die Grenze zwischen Bosnien und Kroatien, um sich über die Lage auf der Balkanroute zu informieren. In Malaga traf sich vom Freitag bis Sonntag die Partei der Europäischen Linken, wählte einen neuen Vorstand und versuchte mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner linker Politik auszuloten.

Großbritannien hat den Brexit der Tories gewählt

„Wähler*innen, die für Veränderung, für ein Ende der Sparmaßnahmen, für soziale und steuerliche Gerechtigkeit gestimmt haben, müssen nun eine Regierung ertragen, die sich für soziale Ungleichheit, Deregulierung, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit einsetzt.“, kommentiert unser Fraktions-Co-Vorsitzender Martin Schirdewan. Der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU ist damit für Ende Januar besiegelt. Das Karfreitagsabkommen, das den Frieden an der Nordirischen Grenze sichern soll, steht auf dem Spiel,  Schottland strebt womöglich ein zweites Referendum an. Viele Unklarheiten bewegen Unionsbürger*innen, die in UK arbeiten, jedoch aus anderen Mitgliedsländern kommen und auch umgekehrt schauen 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens, die auf dem Festland arbeiten in eine unsichere Zukunft.

Labours Abschneiden in der Unterhauswahl schmerzt. Die Kommentare überschlagen sich, woran es lag und absurderweise schieben es die einen auf einen zu EU-freundlichen Kurs, die anderen auf einen sichtbaren eigenen Brexitkurs. Doch weil wohl einige Wählerinnen und Wähler nicht ganz schlau wurden aus Labours strategischen Profil und nicht mehr genau wussten, wie sie ihr interessantes Manifesto durchsetzen wollen und können, verweigerten sie der einzig echten Herausforderung der Tories die Stimme. Das ist nicht allein ein Problem für Labour, es ist ein Problem der Europäischen Sozialdemokratie, wie auch der Europäischen Linken, wie sie echt strategische Dilemmata anpackt und einen wahrhaftigen Dialog mit Wählerinnen und Wählern aufrecht erhält.

In einer umfassenden Spiegel-Kolumne von Henrik Müller wird aufgezeigt, wo Johnsons Versprechen so alle ihre Widerhaken haben, wie die Handelsbeziehungen demnächst gestaltet werden müssten und was dabei alles schief gehen kann.    

Von der Leyens EU I: Sondersitzung für eine klimaneutrale EU bis 2050

An diesem Mittwoch gab es in Brüssel kein sogenanntes Mini-, sondern ein Sonderplenum. Dies wurde anberaumt und genutzt, um den Green Deal der Kommissionspräsidentin im Parlament zur Debatte zu stellen, der zugleich auf dem Ratsgipfel ein Tag später vorgelegt wurde. Warum dies keine Zeit bis zur letzten Plenartagung im Dezember hatte, wissen allein die Kommunikationsstrateg*innen der Kommission. Und etwas verwirrend sind nun überdies die Ratsentscheidungen selbst, denn Polen hat nicht zugestimmt und nun können wir alle rätseln, ob es mutige Schritte in der Klimapolitik geben wird oder nicht. Cornelia Ernst wundert sich daher, warum uns Ursula von der Leyen nun die Zusammenkunft des Rates als Erfolg verkaufen will. Die Kommissionspräsidentin sprach sogar von einem „Man-in-the-Moon-Moment“, wie die FAZ zu berichten weiß.  Der Tagesspiegel berichtet hier um einiges irdischer unter der Überschrift: Wie Polen den Green Deal gefährdet. Da stehen sich die EU-Institutionen mal wieder selbst auf den Füßen, während das Parlament den Klimanotstand Ende November ausrief, Ursula von der Leyen Erfolge verkünden will, blockt ein Mitgliedsstaat.

Was sonst noch am Rande der großen Klimapolitik passierte

Brüssel Grand Place, Adventszeit 2019 | Foto: Konstanze Kriese

Friday for Future und viele andere Umweltaktivist*innen haben – wie man nach unklaren Ausgang des Ratsgipfels in der vergangenen Woche deutlich sieht – wirklich noch viel zu tun. Währenddessen blamiert sich die Deutsche Bahn nicht nur mit der Verletzung des Datenschutzes gegenüber Greta Thunberg, indem sie einfach Reisedaten von ihr veröffentlicht,  so gut sie kann. Nachdem die Klimaaktivistin ein Foto in einem ICE veröffentlichte, dass sie im Gang eines Zugs sitzend ohne Sitzplatz zeigt, konterte die DB damit, dass die bekannte Passagierin sehr wohl einen Sitzplatz gehabt hätte. Doch die Bahn hatte sich gründlich getäuscht, denn dies stimmte nur zur Hälfte, so dass sie eine entsprechend wilde Debatte auf twitter auslöst.  „Thank you for …“

Und weil wir gerade beim Schimpfen über die Deutsche Bahn sind, obwohl wir doch deren Existenz so grundsätzlich begrüßen und mit vielen leidvollen Erfahrungen selbst nutzen, bieten wir an dieser Stelle noch die Liebe-zur-Bahn-Kolumne von Sascha Lobo an, die das Dilemma dieses Ladens so richtig auseinandernimmt und dabei noch eine Ode auf die tapferen Beschäftigten anstimmt, die das alles, zusammen mit den Fahrgästen tagtäglich ertragen müssen.
 

Von der Leyens EU II: Konferenz über die Zukunft Europas geplant

Man kann Ursula von der Leyen aus dem Verteidigungsministerium kriegen, aber nicht das Verteidigungsministerium aus Ursula von der Leyen | Foto: Oliver Hansen (GUE/NGL)

Grundsätzlich nötig, vom Parlament gefordert, vom Rat unterstützt, hat die neue EU-Kommission unter Leitung von Von der Leyen Großes vor. Doch scheint hier – mit der eigenen Kommissions-Agenda im Mittelpunkt, fader Wein in neue Schläuche gegossen zu werden.

„Diese Strategische Agenda … scheint einem Baukasten der neoliberalen Wettbewerbslogik entnommen zu sein. Statt eine radikale Wende der Politik … zu vollziehen, soll an den bislang vertretenen Politiken festgehalten … werden. Das kann nicht die notwendige gemeinschaftliche Antwort auf die Herausforderungen sein, vor denen die Europäische Union und alle ihre Mitgliedstaaten stehen.“,  fasst Helmut Scholz den von der EU-Kommission angekündigten Zukunftsdialog zusammen. Statt dessen empfiehlt er, als Vertreter unserer Fraktion in der Planungsgruppe: „Alles ist auf den Prüfstand zu stellen – vor allem, warum so oft auf die brennenden Fragen eines sozialen und zukunftsfähigen Europa kaum noch gemeinschaftliche Antworten gegeben werden.“ (Helmut Scholz)

Helmut Scholz auf dem Kongress in Malaga | Foto: Frank Puskarev

Die Tagung des Europäischen Rates am 12./13.12.2019 beschäftigte sich ebenfalls erstmalig ausführlicher mit der Zukunftskonferenz. In einem längeren Kommentar innerhalb der FREITAG Community von Jürgen Klute wird nochmals eine Anhörung zum Zukunftsdialog im AFCO, dem Parlamentsausschuss, indem die Verfassheit der EU behandelt wird, zusammengefasst. In dieser Anhörung wurde deutlich die Forderung nach einem erneuten Verfassungskonvent in den Mittelpunkt gestellt.

Creative Europe: Verhandlungen ausgesetzt

Der 3. Trilog zu Creative Europe startet, 12.12.2019 | Foto: Konstanze Kriese

Am Donnerstag spät Abends wurden die sogenannten Trilog-Verhandlungen zum EU-Kultur- und Medienförderprogramm Creative Europe 2021 – 2027 auf Betreiben der Parlamentsvertreter*innen ausgesetzt. Sie waren, durchaus gemeinsam mit dem sehr konstruktiven Verhandlungsteam der Finnischen Ratspräsidentschaft und der EU-Kommission, die als dritte Partei mit am Tisch sitzt, in vielen Punkten weit gekommen. Das Parlament war dabei flexibel und hat viele Lösungsvorschläge unterbreitet. Doch nun war eine rote Linie erreicht, über die das Parlament erklärte, nicht zu gehen. Es geht darum, wie dem Parlament die Mitbestimmung verbindlich gesichert wird, wenn sich in den sieben Jahren Laufzeit des Programms Grundlegendes ändern sollte. Martina Michels fasste den Konflikt in dieser Pressemeldung zusammen und arbeitete dabei auch heraus, dass dieser springende Punkt weit über das Programm Creative Europe hinausweist.

Tut endlich was! – Delegation der GUENGL reiste nach Bihać 

Unterkünfte in Auflösung an der Kroatischen Grenze, 13.12.2019 | Alexandra Mehdi via FaceBook

Özlem Demirel und Cornelia Ernst waren seit Mitte der vergangenen Woche an der bosnisch-kroatischen Grenze, um den Umgang mit Menschen auf der Flucht, die Situation der Hilfestrukturen und der Politik vor Ort zu hinterfragen. Kurz vor der Reise wurden alle offiziellen Gespräche mit Vertreter*innen der Politik in Kroatien abgesagt. Vor Ort waren die Misshandlungen der Asylsuchenden nicht zu übersehen. Die Gespräche mit den verbliebenen NGOs komplettierten das erschütternde Lagebild.

Während sich die Türkei mit Libyen einen widerrechtlichen Einfluss im Mittelmeer teilen, schaut die EU weg und arbeitet weiter mit dem Terrorpaten und den Warlords zusammen. Sie liefert Waffen in Krisengebiete, statt endlich eine sichtbare Wende zu einer humanen Flüchtlingspolitik zu nehmen.  Allein die, von der Mehrheit der Parlamentsfraktionen von Konservativen bis Linken, beschlossene Revision der Dublin-Verordnung, sitzt der Rat nun seit mittlerweile 2 Jahren aus. Der politische Stillstand kostet jeden Tag Menschenleben, zeitigt seelische Verwüstungen und zerbrochene Hilfestrukturen. 
 

Europäische Linke tagt in Malaga

Gregeor Gysi, der scheidende EL-Vorsitzende in Malaga | Foto: Frank Puskarev

Am Wochenende traf sich die Partei der Europäischen Linken in Malaga. Viele Abgeordnete unserer Fraktion, darunter Martin Schirdewan und Helmut Scholz, machten sich ebenfalls zu diesem Treffen auf. „Ihre Positionen kritisch überprüfen“ heißt ein erstes Interview mit dem neuen Vorsitzenden der Europäschen Linken, Heinz Bierbaum. Uwe Sattler schrieb einen weiteren kritischen Kommentar zu Signalen aus Malaga. 

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.