Martinas Woche 39 – 2022

Twitter Screenshot von Konstanze Kriese

„Wenn wir gemeinsam singen…“ – Solidarität mit den Protesten im Iran

Martina Michels, Konstanze Kriese

Proteste im Iran – Wahlen in Italien – Europäisches Jugendparlament – Berliner und Europäische Linke – Putins Rede und die Folgen

Die Frauen im Iran singen in ihren sagenhaft mutigen Protesten „Bella Ciao“, das Lied des italienischen Widerstandes, einst gegen Repressionen gegen Landarbeiterinnen, später als Song des Widerstandes gegen die Faschisten, und Italien wählte gestern diese gefährlichen Wiedergänger an die Macht. Man fragt sich jetzt schon, wie Manfred Weber, der Fraktionschef der EVP, diese unheilige Allianz aus Fratelli d’Italia mit der wohl zukünftigen Ministerpräsidentin Georgia Meloni und der Lega, sowie Forza Italia, eine Partei, die Mitglied in seiner Fraktion ist, beurteilt, zumal uns sein Fraktionskollege Berlusconi gerade erklärt hat, wie bedrängt Putin zum Mittel des Krieges greifen musste. Mit der einstigen faschistischen Splitterpartei, den Brüdern/Geschwistern Italiens, die jedoch außenpolitisch weit weg von Berlusconi ist, rückt auch Salvini wieder ins Rampenlicht. Ein dunkler Tag für Italien, für ein weltoffenes Europa, für die Seenotrettung und die Demokratie, die vor so vielen Aufgaben steht, zuerst vor einer sozial-gerechten Energiewende, die auch ein Teil einer nachhaltigen Friedenspolitik sein wird. Insofern war es beeindruckend, wie Friday for Future am Freitag europaweit sichtbar war und mit konkreten Forderungen in vielen Ländern einen nachhaltigen Ausweg aus einer komplexen Krise einforderte.

Wahlen in Italien: Niederlage und Herausforderung für die Europäische Linke

IItalien Wahl 2022 | Screenshot DAS ERSTE

Es war ein Erdrutsch mit Ansage. Und, wie viele Bobachter*innen einschätzen: Die Wahlen in Italien sind kein Sieg von Rechtsaußen, sondern eine schwere Niederlage einer demokratischen Linken in Italien. Das Ganze „Rechtsruck“ zu nennen, ist eigentlich schon eine Verharmlosung der Situation. Zum Hintergrund der politischen Parteienlandschaft hatte EurActiv in der vergangenen Woche dieses Dossier geliefert, dass sehr eindrucksvoll zeigt, dass Europapolitik durchaus im Mittelpunkt nationaler Wahlen verhandelt wird und das Linke hier einen enormen Nachholbedarf haben.

Nach den Wahlergebnissen in Schweden und Italien sollten Linke in Europa aufwachen, ein geeintes Angebot für eine friedliche, sozial-ökologische Transformation und ein weltoffenes Europa unterbreiten, das Menschen begeistert und konkret in Kommunen ansetzt, die sich schon lange zum Beispiel bei Wohnungsfragen und der Migrationspolitik in europäischen solidarischen Netzwerken verständigen. Auch auf Länderebene gibt es gerade viel Beachtenswertes, wie in Spanien und Portugal, wenn man die Regelungen in der Energiepreiskrise verfolgt, und dies haben Linke in Regierungen und auf den Straßen, in Kommunen und Initiativen mitgestemmt.  

Doch wir können uns die Situation und strategische Zugkraft linker Parteien in Europa nicht schönreden. Da geht es nicht allein um Vertretungslücken, da geht es um Analysen und Konzepte, um das „Runterbrechen“ in konkrete politische Angebote und sichtbare Aktion.

Solidarität jetzt: Kurdische Frauen erschüttern den Iran #Zhina_Amini #Masha_Amini

„Es gibt dieses schöne Lied, von dem es heißt, dass es gerade auf den Straßen des Iran von den Protestierenden gesungen wird. ‚Wenn wir gemeinsam singen und marschieren, Hand in Hand“, so geht es, ‚dann schütteln wir das Unrecht ab. Wir bauen eine Welt aus Gleichheit und Schwesterlichkeit. Eine fröhliche, eine bessere Welt.‘“, hier im ZEIT-Artikel oder im Tweet von Niema Movassat hier zu hören.

Seit Tagen – unter Einschränkung des Internets – und mit schwerstem Staatsterror gegen die Demonstrant*innen, immer mehr Getöteten, protestieren im Iran vor allem viele junge Frauen gegen die Repressionen des Regimes Raisis. das seit 2021 an der Macht ist.  In vielem ist Raisi eine Fortsetzung seiner Vorgänger, was Frauenunterdrückung, Verfolgung von kritischen Journalist*innen und einer sogenannten Islamisierung der Gesellschaft an Universitäten und in den Staatsgeschäften betrifft. Cornelia Ernst, die auch zugleich Vorsitzende der Delegation EU-Iran ist, fasste für uns die politischen Forderungen zusammen, die jetzt von der internationalen Gemeinschaft in allen Formen zum Ausdruck gebracht werden müssen. Zuerst kann auch jedes Land mit einer sofortigen Anerkennung des politischen Asyls iranischer Bürgerinnen und Bürger beginnen, statt sie in individuellen Kämpfen gegen Abschiebung allein zu lassen. Zur Lage im Iran sei auch die ARD-Doku „Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“ empfohlen, die derzeit in der ARTE-Mediathek angesehen werden kann (zumindest in Deutschland).

„Meet Your MEP“ im Jugendparlament

Nachdem Martina am Montagnachmittag digital am ersten Teil der konstituierenden Sitzung der Internationalen Kommission der Partei DIE LINKE teilnahm, ging es dann ab 17 Uhr ebenfalls per Online-Zuschaltung zu einer Veranstaltung des Europäischen Jungendparlaments in Potsdam. An diesem Azubi- und Schüler*innenforum stellten sich unter dem Titel „Meet your MEPs“ Martina und zwei weitere Kolleg*innen aus dem Europaparlament, Gaby Bischoff (SPD) und Sergey Lagodinsky (Grüne). Es ging recht flott von einem Thema zum anderen, so dass keines wirklich ausführlich beleuchtet werden konnte. Angerissen wurde der Fachkräftemangel, die Digitalpolitik, Energiesicherheit, die Außen- und Verteidigungspolitik und die Demokratisierung der EU, also auch die Frage nach notwendigen Strukturreformen. 80 Teilnehmer*innen hörten drei Abgeordneten weitestgehend zu, kommentierten jedoch mit großem Interesse im Chat. Martina merkte gegen Ende der Veranstaltung kritisch an, dass aus ihrer Sicht ihre Kolleg*innen doch einige europapolitische Vorhaben in ziemlich rosiges Licht tauchten. Sie untermauerte ihre Kritik an der Ankündigungspolitik der Kommission durch die vielen offenen Fragen – vom Profil bis zur Finanzierung –, die zum Beispiel allein mit dem Programm REPowerEU oder der Initiative Neues Europäisches Bauhaus verbunden sind. Letztendlich steht auch die Frage, was von dem ausgerufenen „Europäischen Jahr der Jugend 2022“ oder dem „Europäischen Jahr zur Weiterbildung 2023“ wirklich bei den Bürger*innen ankommt.

„Niemanden Zurücklassen“ – Landesparteitag Berlin mit Europäischen Perspektiven

Martina Michels und Gesine Lötzsch, Landesparteitag Berlin, 24.9.2022 | Foto: Jörg Bochmann

Am Samstag war Martina zu Gast auf dem 8. Landesparteitag der Berliner LINKEN. Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Bundespartei DIE LINKE, natürlich Delegationskollege von Martina in Brüssel und dort auch ihr Co-Fraktionsvorsitzender, bedankte sich für die moderne Sozialpolitik, die in Berlin gemacht wird, z. B. der Auflage eines außerordentlichen Härtefallfonds Berlins, der seinesgleichen sucht und bezeichnete die Entlastungsmaßnahmen der Ampelregierung schlicht als Arbeitsverweigerung. In vielen Beiträgen wurde deutlich, dass z. B. Energiepolitik, aber auch die Regelung des Wohnungsmarktes oder die Sicherung des demokratischen Dialogs in unserem Alltag, z. B. durch kulturelle Teilhabe ohne europäische Dimension nicht zu stemmen sind. Klaus Lederer, Bürgermeister von Berlin und unser Senator für Kultur und Europa schaute deshalb schon mit sicherem Blick auf die Europawahlen 2024, für eine geeinte Linke der nächste strategische Bezugspunkt, um aus einer europaweiten Perspektive zu kommen. Wie wichtig dabei regionale Erfolge linker Politik sind, zeigt die Debatte auf diesem Parteitag, die Jörg Bochmann hier ausführlich zusammengefasst hat.

Frieden in Europa: Zeigt Putins Rede auf Putins Ende?

Screenshot Twitter von Konstanze Kriese

„Mit der Teilmobilmachung sei Kremlchef Wladimir Putin dabei, seine Machtbasis zu zerstören,“ kommentiert Julian Hans von der ‚Süddeutschen Zeitung‘. „Die Stimmung in Russland werde sich verändern, die Wahrheit über den Krieg sich nun schnell verbreiten.“, so dokumentiert der DLF einen Kommentar von Julian Hans aus der SZ von gestern. Manche aktuellen Bilder und Kommentare auf Twitter, zum Beispiel die Autoschlangen an der Grenze nach Georgien, die Berichte von ausverkauften Flugtickets nach Istanbul oder in die Vereinten Arabischen Emirate, nach EU-Mitgliedstaaten, die Touristen-Visa weitgehend ausgesetzt hatte, sind erschreckend. Die Teilmobilmachung, die Putin in der vergangenen Woche verkündete, hat eine riesige Fluchtwelle junger Männer und auch wachsende Proteste in Russland erzeugt. Auch Prominente, wie die Pop-Diva Alla Pugatschowa melden sich verstärkt zu Wort, jetzt da die „Spezialoperation“ ganz offensichtlich das wird, was sie von Beginn an real war und ist: ein Angriffskrieg! Auch schockierende Fakten über die Verteilung der Rekrutierungen unter unterschiedlichen Ethnien in der Russischen Föderation sowie in Lugansk und Donezk drängen jetzt in die Öffentlichkeit. In asiatischen Teilrepubliken bezeichnen manche die Rekrutierungspolitik Moskaus schon als ethnische Säuberungen.   

„Estland, Lettland, Litauen und Polen verweigern Russen derzeit die Einreise. Nur über Finnland können sie auf dem Landweg in die EU gelangen, doch auch die Regierung in Helsinki erwägt Einreisebeschränkungen für russische Staatsbürger … Gleichzeitig betonen Politiker fast aller großen deutschen Parteien, dass russische Deserteure in Deutschland willkommen seien. Auch Kriegsdienstverweigerer, also Menschen, die noch nicht zum Dienst eingezogen sind, sollten Asyl erhalten. So wollen es Vertreter der Regierungsparteien SPD, Grüne, FDP sowie zahlreiche Politiker aus den Reihen der oppositionellen Unionsparteien und der Linken.“schrieb die DW schon vor drei Tagen. Doch genauso müssen sich jetzt die Mitgliedsstaaten in Brüssel verständigen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.