Martinas Woche 39 – 2018

Neapel – Brüssel – Berlin: Studientage – Regionalpolitik – Erdogan, die Medienfreiheit, der Islam und der EU-Türkei-Deal

Studienreise der Fraktion nach Neapel

Von Dienstag bis Donnerstag trafen sich Angeordnete in Neapel zu Studientagen, in einer lauten, quirligen Stadt, die einiges mehr zu bieten hat als die überwältigenden touristischen Highlights, der Vesuv und Pompei. Obwohl gerade diesmal der Tagungsort absolut spektakulär war, eine als öffentlicher Veranstaltungsort genutzte Kirche, ging es sofort nach der ersten Pause am ersten Tag in den Osten der Stadt. Die soziale Konflikte „begrüßten“ uns schon bei der Anfahrt. Und sofort waren wir mitten in Jugendprojekten und mit Lehrerinnen und Lehrern, die gleich auf der Strasse unterrichten, weil man da noch die Schüler am ehesten trifft, als auch mit Theater- und Filmemacherinnen und Sozialarbeitern im Gespräch. Es steckte viel Mut und Engagement in den Projekten, aber auch die Gewissheit, dass EU-Förderungen dort jederzeit willkommen und sinnvoll sind. Unser italienischer Kollege, Curzio Maltese, der in Neapel zu Hause ist, wurde daher für seinen Einsatz als „ihr“ Europaabgeordneter gelobt, obwohl er, alles mit seinem Team bestens organisiert, selbst erkrankt war und nicht da sein konnte.

So hatte Martina gleich zum Auftakt in einem Panel über EU-Bildungs-, Kultur- und Jugendpolitik Rede und Antwort zu stehen, wie der Stand der Dinge ist. Sie musste einerseits berichten, dass ein oft recht dürftiger Bildungsbegriff durch die Kommissionspapiere und Berichte geistert, andererseits um jedes Förderprogramm im Kulturausschuss erbittert gekämpft wird. Da ziehen alle Parteien an einem Strang. Trotzdem ist das Bohren der berühmten dicken Bretter dabei eher das Alltagsgeschäft. Deshalb ist man schon einmal froh, wenn man auch sieht, dass etwas in den Regionen ankommt und zwar genau an den richtigen Stellen. Martina saß auf dem Podium zusammen mit Santa Parello von den Street Teachers „Maestri di strada“, Costanza Boccardi vom Teatro Uniti und wurde von ihrem niederländischen Kollegen Dennis De Jong moderiert.  

Die Studientage selbst behandelten dann viele weitere strategische Themen, die uns auch bei den Europawahlen wieder beschäftigen werden, von der Abschottung bis zur Aufrüstung und was wir Linken dagegen vorschlagen, doch der Kreis zum ersten Vormittag schloss sich, als dann der Bürgermeister Neapels, Luigi de Magistris, zu Gast war und beeindruckend erläuterte, wie man in einer der ärmsten Regionen des Landes Politik macht, für die Menschen und gegen Savini, für und mit Flüchtlingen, mit Kulturleuten, den Alten und den Jungen, die Neapel prägen und es sozialer wollen.

Und dann wollen wir nicht vergessen: Unsere Fraktion kann gemeinsam mit Neapolitanerinnen und Neapolitanern noch ganz ohne DJ Özi – und das  auch mehrfach am Abend – Bella Ciao singen und zwar in mehreren Sprachen und mit originalem Text. Unterstützt wurden wir dabei von der: Gruppo operaio E-Zezi, wofür wir bis Scampia rausfuhren.  Ja, und Bandiero Rossa haben wir natürlich auch gesungen!

Kommissionsvorschläge zur Regionalpolitik nach 2021 im Parlament heftig umstritten

Sharepic: Nora Schüttpelz

Im Ausschuss für regionale Entwicklung wird derzeit die EU-Förderpolitik ab 2021 im Detail diskutiert. Grundlegendes Unverständnis äußern Europaabgeordnete unterschiedlicher Fraktionen unter anderem wegen der geplanten Kürzungen, die sich nach Vorstellungen der EU-Kommission um 10% im Vergleich zum derzeitigen Haushaltsrahmen belaufen sollen.  Auch Details der Finanzierungsmodalitäten stoßen auf Widerstand, zum Beispiel wird der Fonds für Strategische Investitionen, umgewandelt in InvestEU als beispielhaft für die Förderpolitik gesetzt, dabei hat eher eine gravierende Trendwende eingeleitet, bei der Förderpolitik einer abenteuerlichen Privatisierung unterliegt und andererseits die eigentliche Aufgabe des Ausgleichs massiv verfehlt, kleine Projekte und Projekte in strukturarmen Regionen bei diesen Förderungen de facto ausgeschlossen sind. Weitergehende Erläuterungen zum Stand der Debatte sind hier zu finden.


Staatsbesuch Erdogans in Deutschland: Desaster in mehreren Akten

Schon vor dem Staatsbesuch Erdogans in der Türkei, verlange die Türkische Regierung die Auslieferung von 69 Bürgerinnen und Bürgern. Darunter befindet sich der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet, Can Dündar, der als investigativer Journalist Waffengeschäfte der Türkischen Regierung nach Syrien nachwies und dafür verhaftet wurde. Inzwischen lebt er im Exil in Deutschland und betreibt mit dem Sender ÖZGÜRÜZ eine mediale Plattform für unabhängigen Journalismus in und über die Türkei hinaus. Martina Michels forderte von der Bundesregierung dem Schutz der Medienfreiheit Rechnung zu tragen und der Auslieferung keine Folge zu leisten.

Erdogan drohte vor der gemeinsamen Pressekonferenz wegen der Akkreditierung Can Dündars, diese platzen zu lassen, doch es kam alles ganz anders.

Es gab nicht nur in Berlin und Köln Proteste gegen den Staatsbesuch, auch der Staatsbesuch selbst war, durch die Eröffnung der Ditib-Moschee in Köln durch Erdogan einige Fragen auf, die wir hier zusammengestellt und kommentiert haben. Das donnernde Schweigen über den EU-Türkei-Deal, den wir von Beginn an abgelehnt haben, kommentierte immerhin Monitor kurz vorm Staatsbesuch. Das Video der Monitorsendung ist im eingebundenen, umfassenden Kommentar zum Staatsbesuch zu finden.

Berlin: Treffen der Europapolitischen Sprecherinnen und Sprecher

Am Freitag fand das erste Treffen der europapolitischen Sprecher*innen der Landtage und des Bundestages mit den Kolleginnen und Kollegen aus Brüssel und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach der Sommerpause statt.

Nachdem es bereits im März einen ersten Auftakt durch den damaligen Bundesgeschäftsführer der Partei in der Vorbereitung auf die Europawahlen im kommenden Jahr gegeben hatte, kam diesmal sein im Juni gewählter Nachfolger in die Runde, um über den aktuellen Stand zu sprechen. Dabei ging es sowohl um Zeitpläne für Regionalkonferenzen und das Europawahlprogramm als auch um inhaltliche Schwerpunkte, für deren Erarbeitung auch die qualifizierte Beteiligung der Europapolitkerinnen und -politiker der unterschiedlichen Ebenen erwartet wird. Entsprechend gab es in den Beiträgen der darauf folgenden Diskussion konkrete Hinweise, wie in der Verbindung von Europa- und Kommunalwahlen die Distanz zwischen der EU und dem Leben vor Ort verkürzt. Und schließlich geht es um die Frage, wie die konkreten Probleme der Bürgerinnen und Bürger so aufgegriffen werden dass wir als Linke anders zu erkennen als beispielsweise SPD und Grüne sind. Natürlich wird die Vorbereitung auf die Europawahlen, die in weniger als 8 Monaten stattfinden, auch künftig fester Bestandteil unserer Gesprächsrunden sein.

Arbeitskreises Türkei der Rosa Luxemburg Stiftung

Gleich im Anschluß an diese Beratung fand die erste Beratung des Arbeitskreises Türkei der Rosa Luxemburg Stiftung statt, der sich vorgenommen hatte, über die Situation der oppositionellen Kräfte in der Türkei sowie  politische Bündnisse und politische Handlungsmöglichkeiten zu sprechen. Auch wenn das Treffen verkürzt wurde, damit Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Demonstration gegen den gleichzeitig stattfindenden Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan gehen konnten, war es ein gelungener Auftakt für den Arbeitskreis, dessen Dringlichkeit außer Frage steht.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.