Die Überlebenden sind nicht mehr lange für uns da

Martina Michels besucht Yad Vashem, 2017 | GUENGL

Martina Michels, Mitglied der parlamentarischen Delegation EU-Israel, erinnert an die November-Progrome vom 9./10. November 1938, morgen vor 80 Jahren:

„Die Albträume des Massenmordes an Jüdinnen und Juden in Deutschland und europaweit verfolgen nicht nur die Überlebenden, sondern auch ihre Kinder und Enkel. In Yad Vashem gibt es neben den großen Ausstellungsräumen ein karges, kleines Schulungszentrum, das das industriell gestützte Menschheitsverbrechen, den Holocaust, nicht durch Fakten und Fotografien, durch Eisenbahnschwellen und Folterinstrumente assoziiert, sondern durch einen Menschen, der ungerührt und unscheinbar, die schleppende Aufarbeitung bis in die frühen 60er Jahre ins Fassungslose wendet. Adolf Eichmann ist dort im Prozess zu hören, der als Leiter des ‚Judenreferats IV B 4‘ im ‚Reichssicherheitshauptamt‘ für die Deportation von über fünf Millionen Juden in die Konzentrationslager verantwortlich war und trotzdem nach dem Krieg über zehn Jahre unbehelligt in Argentinien leben konnte. „Die Führerschicht, zu der ich nicht gehörte, hat die Befehle gegeben, sie hat, meines Erachtens, mit Recht Strafe verdient für die Gräuel,“ sprach Eichmann dort vor laufender Kamera.

2018 erklärt Gauland, Fraktionschef der AfD im Bundestag, bei einem Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative im thüringischen Seebach: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“

Yad Vashem, 2017 | GUENGL

Noch immer kommen neue Tatsachen ans Licht, die zeigen, dass selbst der Beginn, die Gewalt des Novemberprogroms 1938 der Beginn des offenen Terrors gegen die jüdische Bevölkerung war, den niemand übersehen konnte. Relativierungen und Schlussstrichdebatten nach 80 Jahren sollten uns wachrütteln, Gauland & Co. keine Geschichtsdeutungen durchgegen zu lassen. Der Kampf gegen Antisemitismus bleibt Tagesaufgabe.

“Die Abstraktion ist des Gedächtnisses innigster Feind … Wir selbst müssen uns immer wieder mahnend erinnern, dass der Holocaust nicht ‘6 Millionen‘ bedeutet. Er war Einer, und Einer, und Einer, und … ”, schrieb Judith Miller in „One, by One, by One Facing the Holocaust“ 1990.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.