44. Interparlamentarisches Treffen EP- Knesset abgesagt

Neue Publikation „Das andere Israel“ – Hochrangige Konferenz gegen Anti-Semitismus

     Am 22. November sollte eigentlich das 44. interparlamentarische Treffen von Europaparlament und israelischer Knesset stattfinden. Nachdem im November 2018 Israel der Gastgeber gewesen war, hätte es turnusgemäß nun wieder in Brüssel stattgefunden. Leider sagte die Delegation der Knesset kurzfristig ihren Besuch ab – die Regierungskrise nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, dem Vorsitzende der ultra-nationalen Partei Israel Beitenu, wird dabei sicher eine Rolle gespielt haben, auch wenn vorgezogenen Neuwahlen nun doch vom Tisch zu sein scheinen. Geplant waren in Brüssel Diskussionen über die politische, wirtschaftliche und soziale Situation in Israel sowie über sicherheitspolitische Herausforderungen in Israel und Europa.

     Mit den druckfrischen Lesebuch „Das andere Israel –   Stimmen progressiver Kräfte der israelischen Opposition in Politik und Gesellschaft“  hatte Martina Michels auch reichlich Diskussionsmaterial im Gepäck.

Im Jahr des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels, geht es darin um Kämpfe und Solidarität der Linken in Israel, um gesellschaftliche Auseinandersetzungen, ökonomische und soziale Konflikte, um Identität und das Ringen um Demokratie –  die auch, aber bei Weitem nicht nur mit dem scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen Israel und Palästina zu tun haben. Das Heft kann hier heruntergeladen werden oder im Berliner Büro von Martina Michels bestellt werden.

     Der Autorin eines Beitrags in diesem Heft konnten wir kürzlich sehr herzlich gratulieren: Shula Keshet, die feministische Mizrachi-Aktivistin und führende Kraft hinter der Kampagne für das Bleiberecht afrikanischer Geflüchteter in Israel wurde bei den Kommunalwahlen in Tel Aviv-Jaffa Ende Oktober in das Stadtparlament gewählt. Im Mai 2018 hatten wir sie in ihrem Stadtteilbüro in Süd-Tel Aviv getroffen und mit ihr über Widerstand gegen zunehmende Gentrifizierung, Ausländerfeindlichkeit gesprochen und über ihre Vision im verarmten Süden der Stadt gemeinsam mit Alteingesessen und Geflüchteten eine bessere Zukunft aufzubauen.

     Anlässlich einer Hochrangigen Konferenz „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung des jüdischen Lebens in Europa“, die im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft am 21.11. in Wien stattfand, erklärte  EU-Justizkommissarin Vera Jurová

„Juden sollten niemals in Frage stellen müssen, ob die Behörden auf ihrer Seite stehen werden, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Niemand sollte jemals Angst haben, in eine Synagoge zu gehen oder ein Kippah in der EU zu tragen. Die EU-Kommission setzt sich für die Bekämpfung von Antisemitismus in allen seinen Formen ein. […] Um unsere Entschlossenheit zu bestätigen, möchte ich Ihnen heute mitteilen, dass die EU die Entscheidung getroffen hat, der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als ständiger internationaler Partner beizutreten“.

Dutzende Israelische Intellektuelle wandten sich im Kontext dieser Konferenz und speziell im Zusammenhang mit der Arbeitsdefinition zum Begriff Antisemitismus der IHRA an die europäische Öffentlichkeit – unter ihnen Holocaust- und Antisemitismusforscher*innen, Historiker*innen, Soziolog*innen und Israel-Preisträger*innen (höchste Auszeichnung des Staats Israel).

In ihrem einen offenen Brief mit dem Titel „Zu Europa sagen wir: vermischt Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus“ schreiben sie:

Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa: Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglichet, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet.“

Der vollständiger Brief steht unten auf dieser Seite als pdf-Dokument zum Download bereit.

 Der Kampf gegen den Antisemitismus in Europa ist nötiger denn je, vielleicht mehr als jemals seit 1945 und der drauf folgenden Post-Faschismus-Ära. Das sieht man an der zweiten österreichischen Regierung mit FPÖ-Beteiligung, die diesmal von EU-Seite keine unangenehmen Nachfragen zu befürchte hat oder an Viktor Orbans antisemitischen Kampagnen, etwa gegen George Soros, die mitnichten dazu führen, dass der ungarische Ministerpräsident und Chef der national-konservativen Fidesz aus der europäischen Familie der Christdemokraten rausgeschmissen wird.

Das Paradoxe: Der Antisemitismus der Rechten und Rechtspopulisten kann sich in der medialen Diskussion zunehmend hinter einer angeblich pro-israelischen Haltung (u. a. Hinwegsehen über die israelischen Siedlungspolitik, Überlegungen zur Verlegung z. B. der österreichischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem) und Unterstützung der Netanjahu-Regierung verstecken. Ideologisch und in einer Reihe von Interessen – auch beispielsweise in Bereichen der Migrations- und Flüchtlingspolitik – scheinen sie sehr nahe beieinander. Es ist kein Zufall, dass die genannte Konferenz in Wien stattfindet, das die FPÖ mitregiert, und es ist kein Zufall, dass Netanjahu gern die Visegrád-Treffen besucht.

Gleichzeitig werden Linke in Europa und Migranten immer stärker als Antisemiten dargestellt. Leider Antisemitismus unter Linken und unter Menschen muslimischen Glaubens. Doch dazu sollte man die Zahlen zur Kenntnis nehmen: Im Jahr 2017 wurden von den 1504 antisemitischen Straftaten in Deutschland 1412 als Delikte von Rechten bewertet (94%), 41 Straftaten wurden Personen mit „ausländischer Ideologie“, also nicht religiös, sondern etwa anti-israelisch motivierten Tätern zugeschrieben (2,7%), weitere 30 Delikte „religiös“ motivierten Antisemiten, also meist muslimischen Fanatikern ausländischer sowie deutscher Herkunft (2%). Eine Straftat – Volksverhetzung – wurde von einem Linken verübt (statistisch kaum erfassbar). 20 Vergehen konnten nicht eingeordnet werden (1%), so schreibt die Süddeutsche Zeitung über eine Studie von Sozialwissenschaftlern aus Bielefeld und Leipzig.

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Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.