Wir verurteilen das tödliche Vorgehen des türkischen Staates gegen kurdische Proteste

EU-Mitgliedsstaaten schweigen seit Wochen zur Eskalation des Kurdenkonflikts

Zu den erneuten tödlichen Zusammenstößen bei Protesten in Diyarbakir gegen die Aussperrungen erklärt Martina Michels, stellvertretendes Mitglied in der Delegation EU – Türkei:

„Erneut eskaliert der Kurdenkonflikt in der Südtürkei und die Sicherheitskräfte erweisen sich einmal mehr als Teil des Problems. Sieben Menschen sind gestern bei den von der HDP mit organisierten Protesten in Sur und rund um Diyarbakır erschossen worden. Diese Handlungsstrategie gegen Proteste, in deren Zentrum die friedliche Lösung der Kurdenfrage steht, verurteilen wir auf das Schärfste. Wir fordern die türkische Regierung auf, ihren Bürgerkrieg gegen die PKK zu beenden.

Die EU-Mitgliedsländer sollten endlich ihrer Verantwortung nachkommen und Erdoğan zur Rückkehr zum Friedensprozess aufzufordern. Dazu gehört gleichfalls, die friedliche Opposition nicht länger zu kriminalisieren, zu einer fairen Medienberichterstattung zurückzufinden und den militanten Kräften innerhalb der PKK ein Aussöhnungsangebot zu unterbreiten. Außerhalb der Türkei spielt die PKK immerhin eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den IS.“

Hintergrund:

Seit Mitte November war die historische Innenstadt in der Kurdenmetropole Diyarbakırs, Sur, mehrfach abgeriegelt. Sicherheitskräfte lieferten sich mit der Bevölkerung Gefechte, weil die Kommune die Selbstverwaltung angekündigt hatte. Tagelang wussten die Bewohnerinnen und Bewohner der anderen Stadteile nicht, was hinter den antiken Mauern geschah. Erst kurz vor den Wahlen am 1.11. war das Ausmaß der Zerstörung, vom Gemeindezentrum bis zu Moscheen, zu sehen.

Entsprechend hoch war auch das Sicherheitsaufgebot am Wahltag. Eine Delegation der GUE/NGL hatte während der Wahlbeobachtung mehrfach Sicherheitskräfte aufgefordert, dass unmittelbare Umfeld der Wahllokale zu verlassen, damit Bürgerinnen und Bürger ungehindert in die Wahllokale gehen konnten. Am 2. November waren wir zur Lage in der Kurdenregion im Gespräch mit dem Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi der Diyarbakır Bar Association. Er wurde am 28.11.2015 bei einem Schusswechsel erschossen. Bis heute sind diese Taten, ebenso wie der Sprengstoffanschlag am 5. Juli 2015 und die furchtbaren Attentate in Suruç und Ankara vor den Novemberwahlen nicht hinreichend aufgeklärt.

Inzwischen haben mehr als 10.000 Menschen Sur verlassen, wie ein Sprecher des Menschenrechtsvereins IHD bekannt gab. Sie flohen vor den Folgen der eskalierenden Kämpfe zwischen den Sicherheitskräften und der PKK. Strom, Wasser und Lebensmittel sind knapp. Das Ausmaß der Auseinandersetzung ist erschütternd. Unter der betroffenen Bevölkerung sind auch Flüchtlingscamps, deren Sicherheit längst nicht mehr gewährleistet ist.

Eine gemeinsame, erweiterte Presseerklärung der GUENGL aller Abgeordneten, die in Diyarbakir im November 2015 zur Wahlbeobachtung waren, finden Sie hier.