Martinas Woche 8 – 2023

Solidaritätsdemonstration mit der Ukraine in Brüssel, 25.2.2023 | Foto: Konstanze Kriese

Europa von Nord nach Süd

Ukraine – Regionalausschuss in Finnland – Lux-Filmpreis – Wir trauern um Curzio Maltese

Martina Michels, Konstanze Kriese

Am Freitag, den 24. Februar 2023 jährte sich erstmalig der in neuer Form fortgesetzte Krieg gegen die Souveränität der Ukraine durch Russland. Martina kam an diesem Tag von einer aufschlussreichen Reise aus Finnland zurück. Die EU verabschiedete das 10. Sanktionspaket gegen Russland. Viele Veranstaltungen und Demonstrationen wurden rund um den 24. Februar 2023 abgehalten, um politisch zu verstehen, was eigentlich gerade mitten in Europa passiert, oder um Haltung zu zeigen, die sowohl Frieden für die Ukraine, den sofortigen Abzug der russischen Truppen, aber auch die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und der Rückkehr zu einer erfolgreichen Verhandlungslogik die oberste Priorität einräumt. Es ist auch nicht übersehbar, dass linke Parteien in Europa hier sehr unterschiedliche Positionen einnehmen und, bis auf die Ablehnung der russischen Aggression, um einen gemeinsamen politischen Ansatz ringen, der eine Rückkehr zu Abrüstungsgesprächen und friedlichen Konfliktlösungen ermöglicht.

Solidaritätsdemonstration mit der Ukraine in Brüssel, 25.2.2023 | Foto: Anja Stiedenroth

Krieg in der Ukraine: Stimmen von osteuropäischen Linken

Ein reichliches Jahr ist es her, dass Putin die „militärische Spezialoperation“ befahl und damit seinen völkerrechtswidrigen Feldzug, den er mit der Besetzung der Krim 2014 begann, seit dem 24. Februar 2022 in einen unerbittlichen Krieg verwandelte. Bilder aus Städten wie Mariupol oder kürzlich Bachmut erinnern an Grozny oder Aleppo. Die Kriegsführung mit der ungeheuerlichen Zerstörung der zivilen Infrastruktur in der Ukraine, der Einsatz von Söldnern der Wagnertruppe, die Rede Putins in der vergangenen Woche, in der einzig der Ausstieg aus einem weiteren Abrüstungsvertrag ein Novum war, entsetzt friedliebende Kräfte weltweit.

Viele Europäerinnen und Europäer reagierten in den politischen Institutionen und den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten mit Sanktionen und der Befürwortung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Flüchtlingshilfe begleitete das ganze Jahr, diesmal erweitert um Ukrainerinnen, Ukrainer und deren Kinder, die ohne Asylverfahren in die EU reisen können.

Der erste Jahrestag dieses grausamen Krieges mitten in Europa brachte in vielen Städten Menschen zusammen, die ihre Solidarität mit Ukrainerinnen und Ukrainern ausdrückten, die sich für einen schnellen EU-Beitritt aussprachen, die Waffenlieferungen unterstützten. Doch es gingen auch viele auf die Straße, die ihre Solidarität dahingehend verstehen, Verhandlungen als den einzig gangbaren Weg zum Frieden zu akzeptieren, Menschen, die sich generell dafür auszusprechen, dass die Waffen sofort schweigen müssen, darunter viele linke Aktivist*innen. Zum einen befürchten sie zu Recht, dass im Schatten der Ukraine-Hilfen und mit der Bewilligung von Kriegsmaschinerie die Militarisierung der EU und in den Mitgliedstaaten einen neuen Auftrieb erfährt, der auch, losgelöst vom Ukraine-Krieg, allen Abrüstungsbemühungen zuwiderläuft.

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Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte am Freitag Linke aus der Ukraine und aus Russland eingeladen, denen wir alle viel zu selten zuhören, um in zwei Panels deren Sicht auf den entsetzlichen Krieg zu erfragen. Ziemlich erschütternd stand da die Antwort im Raum, dass eine Lösung, in der die Ukraine die staatliche Souveränität aufgeben sollte, auch keine Lösung ist, die der mageren Existenz linker Kräfte ein Überleben sichert. Zugleich machen die Protagonist*innen von Netzwerken, die das Leben, die Gesundheitsversorgung, den Schutz der Menschen in den umkämpften Gebieten mitsichern, deutlich, dass diese harte Arbeit, für die sie viel solidarische Unterstützung erwarten, genau das ist, was sie auch weiter tun werden. Hier kann man die Veranstaltung nachhören. Am Samstag und Sonntag dann wurde in vielen europäischen Städten, genau wie schon am Freitag, vor russischen Botschaften, im Brüsseler Europaviertel und an Plätzen, wie dem Brandenburger Tor, demonstriert. Ines Schwerdtner von Jacobin kommentierte die Demonstration in Berlin, die dem Manifest von Wagenknecht und Schwarzer gefolgt war. Sie diagnostizierte, dass die durchaus erwartbare Querfront ausblieb, aber ebenso kein Aufbruch zu politischen Lösungen in dieser Manifestation erkennbar war.           

Finnland inmitten globaler Krisen – Regionalpolitik in harten Zeiten – Ein Reisebericht

Rovaniemi, Internationales Tourismuszentrum „Weihnachtsmanndorf“ ; EFRE finanziert, Förderung von KMU | Foto: Antoine Bazantay

„Vom 20. bis 24. Februar besuchte eine parlamentarische Delegation des Europaparlaments, der ich angehören durfte, das nördlichste Mitgliedsland der EU, Finnland.“, beginnt Martina ihren Reisebericht. „Ziel dieser Reise war es vor allem, einen Eindruck über die Verwendung der von der EU bereitgestellten Regional- und Strukturfördergelder zu erhalten und die aktuelle Situation unter den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu beleuchten … Zunächst hatten die Finnen wie viele Länder weltweit mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Doch Finnland ist in mehrfacher Hinsicht auch derzeit ein Schmelztiegel der globalen Krisen. Zum einen sind die Folgen des Klimawandels nördlich des Polarkreises, insbesondere in den riesigen Waldgebieten, dramatisch spürbar. Zum anderen verbindet das Land eine 1.340 km lange Landgrenze zu Russland…“

Rovaniemi, Internationales Tourismuszentrum „Weihnachtsmanndorf“ ; EFRE finanziert, Förderung von KMU | Foro: Antoine Bazantay

Und trotzdem. Es gibt Lösungsansätze, die in ihrer Effektivität verblüffen und nahezu vorbildlich sind, wenn es um den Einsatz von EU-Mitteln geht, und es gibt allerhand zu lernen in Finnland, wie die Abgeordneten im hohen Norden feststellen konnten. Hier findet ihr den ganze eindrucksvollen Reisebericht.

Die Berlinale geht – der Lux Film Preis kommt

Auch die Berlinale stand in diesem Jahr u. a. im Zeichen des Ukraine-Krieges, beleuchtete aber auch des Schicksal der protestierenden Iranerinnen und Iraner. Bei den Preisträgern gab es allerhand Überraschungen und in den medialen Kommentaren die übliche Kritik, die die Berlinale sich wohl jedes Jahr anhören muss: „Zu wenig Glamour“. Doch dieses störrischste aller europäischen Filmfestivals bekommt dies wohl Jahr für Jahr zu hören und macht sich nicht draus, auch in der Ära nach Dieter Kosslick.

Langsam und noch kaum beworben, läuft auch der diesjährige Lux-Filmpreis, ein Preis den das Europaparlament vergibt, wieder an. Und die Pandemie hatte es „möglich“ gemacht. Dieser Filmpreis ist inzwischen ein fünfzigprozentiger Publikumspreis. In diesem Jahr sind gleich fünf Nominierte, zwei Filme mehr als sonst, in der Abstimmung, an der wir alle bis zum 12. Juni 2023 teilnehmen können. Dazu können wir in regionale Kinos gehen oder streamen. Die Informationen dazu finden wir auf der Lux-Filmpreis-Seite.

Wir trauern um Curzio Maltese

Gestern erhielten wie die traurige Nachricht, dass der italienische Journalist und Politiker, Curzio Maltese, gestorben ist. Er war bis 2019 unser Koordinator im Kulturausschuss für die linken Abgeordneten, engagierte sich insbesondere bei der Überarbeitung der Audio-Visuellen Mediendienste-Richtlinien 2018, die Martina jetzt in der Phase der Implementierung in den Mitgliedsländern begleitet.

Martina arbeitete nicht nur im Kulturausschuss intensiv mit Curzio zusammen. Gemeinsam fuhren sie 2018 als einzige Abgeordnete der EP-Fraktion GUE/NGL nach Israel, um mit vielen NGOs und der Rosa-Luxemburg-Stiftung das „andere Israel“ kennenzulernen, linke und demokratische Gruppen, die im Friedensprozess vorankommen wollten.

(v.r.n.l.) Martina Michels, MdEP, MK Aida Touma-Suleiman (Joint List) und Curzio Maltese, MdEP | Foto: Nora Schüttpelz

Im September 2018 war unsere ganze Fraktion bei Curzio Maltese zu Gast in Neapel, denn wir hatten dort unsere Studientage. Die Liebe, die diesem Europaabgeordneten in den einfachen Wohngebieten, in Jugend- und Kulturzentren entgegengebracht wurde, werden wir nicht vergessen. Wir kannten Curzio bis dahin als intellektuellen, feinsinnigen und angriffslustigen linken Politiker in den Ausschüssen und im Parlament. Doch er war absolut verwurzelt mit denen, die nicht mit dem goldenen Löffeln im Mund auf die Welt gekommen waren, setzte sich für deren Alltag ein, der mehr Bildung und Kulturaustausch benötigte. Dies tat er damals alles noch und intensiv, obwohl ihn die Krankheit schon erwischt hatte und nun viel zu früh aus dem Leben riss.

Curzio, wir werden Dich nicht vergessen!

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.