Martinas Woche 7 – 2024

Brüsseler Bright Festival, Februar 2024 | Foto: Konstanze Kriese

Große Shows in Brüssel – Europawahl wirft ihre Schatten voraus

Antisemitismus in der Bildung – Internationale Kulturdiplomatie – Münchner Sicherheitskonferenz und Barleys Bombe – Plattform-Richtlinie vor dem Aus? – TIPP: Inklusive Bildung und Kampf gegen Rassismus

Martina Michels, Konstanze Kriese

Am Montag- und Dienstagvormittag, als auch der letzte politisch Interessierte an einem gerechten Welthandel sein Entsetzen über Deutschlands Blockade beim EU-Lieferkettengesetz per Podcast, Pressemeldung, Artikel oder in anderer Form artikuliert hatte, und der erste Schock über die Entscheidungen des Europäischen Rates am Wochenende in Brüssel verflogen war, kehrten die Abgeordneten zu ihrem parlamentarischen Alltag zurück. Sie trafen sich in den Ausschüssen, schauten auf die letzten Berichte und den Haushalt und auf das, was sie in den wenigen Wochen vorm Europawahlkampf noch möglich machen können. Der Kulturausschuss hatte sich gleich in zwei aufwändig organisierten Debatten mit vielen Gästen sowohl zur Kulturdiplomatie als auch zu Antisemitismus in der Bildung verständigt. Ebenso waren im Regionalausschuss diverse Berichte auf der Tagesordnung, vom Blick zurück auf die Kohäsionspolitik 2014 bis 2020, einem Bericht zum Westbalkan, einer Verständigung zu Regionen in besonderer Randlage über die Anwendung von rechtsstaatlichen Kriterien in der EU-Politik bis zur Berichterstattung aus dem Trilog zum Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung der Plattform „Strategische Technologien für Europa“ (STEP), worüber wir schon mehrfach berichteten, wurde auch unter den Regionalpolitikerinnen und -politikern eine riesige Tagesordnung abgearbeitet.
Am Freitag tagten die Europapolitischen Sprecher*innen der Landtage gemeinsam mit unserer Delegation, die aktuelle Projekte vorstellte, in denen Fachpolitiken, wie Industrie- und Asylpolitik oder der Zusammenhang von EU und Kommunen überschau- und nachvollziehbar erläutert werden.

Ausschnitt Flyer „Emilia“ | GRAFIK: Eyk Hirschnitz

Das Brüsseler Bright Festival bot den großen politischen Shows in Brüssel am Wochenende durchaus Paroli. Die wohl schönste Animation waren die anmutigen Bewegungen großer Meerestiere über dem Kunstberg und damit über der ganzen Stadt.

Kulturpolitik: Internationale Kulturdiplomatie zwischen Bestandsaufnahme und Ohnmachtserklärung

Bildschirmfoto

Vor dem Hintergrund des blockierten EU-Lieferkettengesetzes ist es schon irgendwie seltsam, wenn man dann am Dienstag im Kulturausschuss den guten Taten der Europäischen Kulturdiplomatie folgt. Mit den schmalen Mitteln für Europäische Kultur wurde die Fashion Week in Sri Lanka unterstützt, auch um an den 11. September 2012 zu erinnern, als in einer Textilfabrik in Karatschi ein Feuer ausbrach. 259 Menschen starben dabei. Eine Mitschuld liegt auch an den Auftraggebern aus Deutschland, denen der fehlende Brandschutz egal war. 
Das Auflisten guter Taten kultureller Diplomatie bestimmte eingangs die Kulturausschusssitzung und es dauerte einige Zeit, bis der europäische Kolonialismus – nicht nur in der Handelspolitik, sondern auch in der kulturellen Sphäre selbst – auf den Tisch kam. Helly Damien von culturalsolutions hätte den leider sehr dürftig besetzten Saal durchaus aufmischen können, indem er feststellte, dass die EU-Strategie für Internationale Beziehungen von 2016 komplett veraltet sei und darin kein einziges Wort zum Klimawandel auftauche. 
Schlussendlich forderte Damien: Ändert die Verträge und gebt der EU mehr Kompetenzen auch in ICR (International Civil Relations) und stattet diese Politiken statt mit 300 Millionen mit mindestens 1 Mrd. Euro im Mehrjährigen Finanzplan aus! Und es braucht ein Team, dass aus mehr als nur zwei Mitarbeitern besteht! 
Dann sprach er elegant von einem Konzept kultureller Aufrüstung, wenn wir ein bestimmtes globales Werte-Arsenal im Dialog verteidigen wollen. Sicher, zu diesem Ansatz eines ziemlich instrumentellen Verständnisses von Kultur gäbe es viel Kritisches zu sagen. 
Doch er ergänzte dann, dass seine Vorschläge ohnehin nicht funktionieren werden, wenn man nicht in seinen neokolonialistischen Spiegel schaue, was andere dann in der Debatte bestätigten, als sie von entsprechenden Auftritten europäischer Vertrteter*innen auf Filmfestivals berichteten. 
Was Damiens Intervention geschafft hatte: Die Debatte danach war irdischer, kritischer und die umkommentierte Beweihräucherung zu Beginn der Debatte komplett verflogen.


Bildungspolitik – Antisemitismus im Bildungsbereich mit viel Analyse ohne Lösungsansätze

Bildschirmfoto

Weiter ging der Kulturausschuss am Dienstagnachmittag mit einer Debatte, die ebenfalls mit viel Expertise und diversen Powerpoints zum Auftakt aufwartete. Doch dabei ging es Martina Michels ähnlich wie ihrer Ausschusskollegin von der SPD, Petra Kammerevert, dass all diese Analysen wenig Neues vermittelten und noch weniger sagten, wie man die Probleme nun angehen könnte. Antisemitismus an Schulen/Universitäten wurde in neuen Studien in 13 Ländern von der Europäischen Grundrechte-Agentur (FRA Research on Antisemitism, 2018 bis 2024) unter die Lupe genommen. 60 Prozent aller Angriffe auf jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger werden von Jugendlichen verübt. Um 300 Prozent stiegen die Angriffe in Deutschland in den letzten sechs Monaten und in Frankreich sogar um 1000 Prozent zu den Vorjahreszahlen. Doch einmal mehr musste man deutlich machen, dass die Probleme nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 so gravierend sind. Martina verwies auf Studien von 2015 von Barry van Driel, die de facto dieselben Befunde bereithielten und Petra Kammerevert erinnerte an aktuelle Aktionen der schwedischen Sektion des ESC, die israelische Künstler*innen von diesem großen Europäischen Schlagerereignis ausladen wollen. Beide stellten klar die Fragen, wo nun die Lösungsansätze liegen, den Antisemitismus – nicht nur in der Bildung – zu bekämpfen. Wer den Teil dieser Debatte nachhören will, findet Martina Michels und Petra Kammerevert hier von der Minute 15:11.30 bis 15:22 in der Konserve der ganzen Debatte

Der Wahlkampf hat begonnen (I): Katharina Barley will die Bombe

Brüssel im Dezembernebel | Foto: Konstanze Kriese

Die Münchner Sicherheitskonferenz hat begonnen und der Europawahlkampf wirft auch seine Schatten voraus. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat seit zwei Jahren alle Debatten um eine autonome europäische Sicherheitsstrategie neu gemischt. Dies geschah nicht nur vor dem Hintergrund der noch immer dramatischen fossilen Energiebasis Europas, bei der russisches Gas in enormen Mengen im Gebrauch war und was leider weitgehend eher vom ebenso umweltschädlichen Fracking-Gas abgelöst oder weiter über Aserbaidschan bezogen wird, sondern all die gefährlichen, mitgliedstaatlichen und europäischen Aufrüstungsbestrebungen und -taten werden auch vor dem Hintergrund der Wahlen in den USA debattiert und damit begründet. Dramatisch dabei ist derzeit insbesondere, dass all die Strategien einer Vergemeinschaftung einer Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die derzeit komplett vertragswidrig ist, ohne einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der Internationalen Handel, Kulturdialog, Entwicklungspolitik, die den Namen verdient hat, und weniger europäischen Marktprotektionismus in der Landwirtschaft einbezieht, vonstatten geht. Darauf sollten wir als Linke massiv verweisen, denn wir sind nicht die einzigen, die Barleys absurden Vorstoß für europäische Atomwaffen scharf kritisieren. Vier weltweit führende Friedensforschungsinstitute schlagen angesichts der weltweiten Aufrüstungsspirale Alarm, aber keines von ihnen kommt auf diese abenteuerliche Idee, die Vertragsbasis der EU-Mitgliedstaaten, die den Atomwaffensperrvertrag mittragen, infrage zu stellen. Erstaunlicherweise erntete der Vorstoß Barleys recht einhellig im Presseklub der ARD vom 18. Februar 2024 das freundliche Prädikat „uninformiert und daneben“. 

Der Wahlkampf hat begonnen (II): Richtlinie für die Regulierung der Plattformarbeit vor dem Aus?

Es wurde Zeit, dass nach der Mindestlohn-Richtlinie auch Lösungen für moderne Arbeitsformen gefunden werden, die den Beschäftigten, die ihren Service über digitale Portale anbieten, soziale Rechte und Haftungssicherheiten geben, denn derzeit sieht es an dieser Front ziemlich düster aus. Auch wenn nicht alles so ausverhandelt war, dass man dies als Projekt mit wirklich linker Handschrift bezeichnen könnte, wäre der Anfang mit dieser Richtlinie gemacht. Doch derzeit sieht es so aus, dass das Verhandlungsergebnis dieser Richtlinie im Europäischen Rat mal wieder u. a. von Deutschland blockiert wird. Der Spiegel fasst kurz den Stand der Dinge der Einigungen über die – ohnehin schon von der Belgischen Ratspräsidentschaft abgeschwächten – Richtlinie zusammen

„Laut ‚Handelsblatt’ will das deutsche Finanzministerium dieser abgeschwächten Fassung ebenfalls weiterhin nicht zustimmen. Das liege vor allem an der möglichen europarechtlichen Vorgabe zur Beweislastumkehr, heißt es demnach in Regierungskreisen.
Bislang sind etwa Uber-Fahrer oder Fahrradkuriere auf dem Papier häufig selbstständig und damit unter anderem nicht über ihren Arbeitgeber sozialversichert. Mehr als 30 Millionen Menschen in der EU arbeiten für Plattformfirmen, bis 2025 könnte ihre Zahl auf mehr als 40 Millionen ansteigen. Rund 5,5 Millionen von ihnen sind nach Einschätzung der EU-Kommission fälschlicherweise selbstständig beschäftigt.“

Dass Lindner diese unhaltbaren Zustände bei Fahrradkurieren, Hausangestellten und anderen Beschäftigten über Plattformen so lassen will, wie sie sind, das verwundert wohl niemanden. Doch wir werden weiter daran festhalten, dass Beschäftigte soziale Rechte haben und auch von Haftungspflichten durch ihre Quasi-Arbeitgeber befreit werden. Genau das muss bei diesen neuen Beschäftigungsmodellen endlich geklärt und reguliert werden. 

Veranstaltungstipp: Inklusion in der Bildung und der Kampf gegen Rassismus

Am kommenden Donnerstagnachmittag findet in Brüssel eine Bildungskonferenz statt. Aus Deutschland ist die Vizepräsidentin des Sächsischen Landtages, Luise Neuhaus-Wartenberg (LINKE), eingeladen. In konzentrierten drei Stunden wird in zwei Panels der Zusammenhang von Inklusion und dem Kampf gegen Rassismus beleuchtet. Unsere Kulturausschuss-Mitglieder sind aus Frankreich, Griechenland, Zypern und mit Martina aus Deutschland, so dass wir schon allein die Erfahrungen aus vier Mitgliedstaaten austauschen, aber auch weitere europäische Expertise einladen. Ihr könnt hier die Veranstaltung verfolgen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.