Martinas Woche 5 – 2024

Bauern protestieren in Brüssel, 31.1. und 1.2.2024 | Foto: Nora Schüttpelz

Proteste, Kultur und Politik zwischen Brüssel, Berlin und Straßburg

LUX-Filmpreis – Medien- und Sicherheitspolitik – Sondergipfel in Brüssel von Protesten von Agrarproduzent*innen begleitet – Berlin gegen Rechts – Plenarfokus – Lesestoff – Konferenz jezidischer Frauen in Brüssel

Martina Michels, Konstanze Kriese

Am Mittwoch konnte Martina Michels zu einer der schönsten Veranstaltungen des Jahres reisen, zurück nach Berlin, denn die LUX-Filmpreis-Tage wurden im Kino International von der ständigen Vertretung der EU-Kommission in Berlin mit der Vorführung aller Finalisten eröffnet. Zuvor war sie noch in Brüssel, schaute zuerst bei der Konferenz jezidischer Frauen vorbei und traf sich mit Feleknas Uka, die selbst als Europaabgeordnete bis 2009 in Brüssel war.  Am Dienstagabend hatte die linke Delegation zum Jahresempfang Journalistinnen und Journalisten eingeladen, die aus Brüssel von der EU-Politik berichten. Am Freitag tagte die Internationale Kommission und am Samstag machte sich u. a. die ganze Stadt Berlin mit vielen Zugereisten auf zu klaren Statements gegen Rechtsaußen. Brüssel, so konnte man diese Woche beinahe sagen, hatten wir damit rechtzeitig verlassen, denn der Verkehr lag ab Mittwochmittag lahm. Bauern protestierten mit riesigen Traktoren und am Donnerstag kam es dann auch zu Ausschreitungen und Vandalismus im Europaviertel, so dass Kolleginnen und Kollegen durchaus gefahrvolle Arbeitswege durch Hinterein- und -ausgänge absolvierten und sich manch einer fragte, warum man nicht direkt vorm Europäischen Rat demonstriert, sondern alle EU-Institutionen belagerte, als wären sie im politischen Handeln ein monolithischer Block. Im Jahr der Europawahlen war dies neben den eigentlichen Protestinhalten, insbesondere ging es gegen die ökologischen Auflagen, die landwirtschaftliche Produzenten im Gegenzug zu den Subventionen stemmen sollen, ein trauriger Beleg, dass die Art des Funktionierens von Europapolitik noch immer bei vielen Bürgerinnen und Bürgern kaum ankommt und dass es auch die medialen Öffentlichkeiten nicht ausreichend schaffen, die „Berichte aus Brüssel“ so zu gestalten, dass man zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und dem Parlament wirklich konkret zu unterscheiden weiß. Deshalb ist neben dem sozialen und friedlichen Europa, ein demokratisches, ökologisches und weltoffenes Europa noch immer eine weitestgehend uneingelöste politische Forderung, die jedoch nur Akzeptanz findet, wenn sie auch mit konkreten politischen Projekten verknüpft ist, die zeigen, dass es sinnvoll ist, einiges auf europäischer Ebene zu lösen, was am Ende unser Zusammenleben betrifft.   

Strasbourg: Plenarfokus für die kommende Woche

Presseempfang der Delegation der Linken in Brüssel, 30.1.2024 | Foto: Konstanze Kriese

In der kommenden Woche ist das Parlament wieder beinahe komplett in Straßburg zur zweiten Plenarwoche des Jahres. Die Auswertung des Sondergipfels, der von riesigen Protesten von Bäuerinnen und Bauern im Brüsseler Europaviertel begleitet war, steht dann nochmals zur Auswertung, die aber insbesondere verbunden ist mit der Frage, wie Ukraine-Hilfen aussehen sollten, die man nach einem Ende dieses Krieges unterstützen will. Özlem Demirel macht darauf aufmerksam, dass immer mehr Waffen für die Ukraine derzeit einzig deren Abhängigkeit von der EU erhöhen und plädiert für einen Schuldenerlass, eine Forderung, die die Linke aus der Ukraine schon zu Beginn des Krieges erhoben hatte. Neben dem Rückblick auf den Gipfel wird u. a. der Kampf gegen den Antisemitismus zur Debatte stehen, bei dem Martina dann auch sprechen wird. Die WTO-Beratungen in Abi Dhabi stehen dann am Donnerstag zur Debatte. Der Plenarfokus unserer Delegation ist hier zu finden und die Tagesordnung der gesamten Woche, findet ihr hier.

Kulturpolitik: LUX-Filmpreis-Finalisten in Berlin

LUX-Filmpreis-Diskussion am 30.1.2024 | Foto: Jörg Bochmann

Am Mittwoch begann ein Cineasten-Marathon im Kino International. Wer genug Sitzfleisch besaß, konnte sich an zwei Tagen alle fünf Finalisten des diesjährigen LUX-Filmpreises anschauen, der dann in der April-Plenarwoche 2024 vergeben wird. Martina war zu dem, inzwischen durch die Oscar-Nominierung und hohen Besucher*innenzahlen seit des Filmstarts im Mai 2023 bekannten, Film „Das Lehrerzimmer“ geladen, der anschließend gemeinsam mit dem Regisseur İlker Çatak auch diskutiert wurde. Bestechend – neben der eskalierenden Geschichte – die schauspielerischen Leistungen Leonie Beneschs, die die junge Lehrerin Carla Nowak spielt, inmitten eines ebenso engagierten Ensembles einschließlich der Schülerinnen- und Schülerdarsteller. Der Film ist überaus sehenswert, da er nicht allein etwas über den Schulalltag erzählt, sondern dies eher wie „nebenbei“, sondern über ganz große Themen, wie die Wahrheitssuche oder die Fähigkeit, Konflikte zu kommunizieren und zu moderieren. Selbst der Umgang mit Medienwelten und sozialen Netzwerken steht zur Diskussion und niemals sind die Antworten einfach, gibt es klar Gute und Böse, richtige oder falsche Handlungen. Dass der Regisseur kämpfen musste, dass sein Film tatsächlich ins Kino kommt, verwundert, denn dieser hat weder etwas vom deutschen „Erklär-Fernsehfilm“ noch ist er in eine Nische geschlüpft. Es ist wirklich großes Kino und dies auch durch die Kamera, die erst in solch einem Saal, wie dem im wunderschönen Kino International, voll erfasst und erlebt werden kann. Wer sich über alle Filme informieren und mit abstimmen will, geht einfach auf die Seiten des LUX-Film-Publikumspreises.


Medien- und Sicherheitspolitik: Borell stellte den zweiten Bericht zur „Informationsmanipulation aus dem Ausland“ vor.

Europaparlament in Straßburg | Foto: Jörg Bochmann

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell hat in der vergangenen Woche einen zweiten Bericht zu „Informationsmanipulation aus dem Ausland“ vorgestellt und ausgesagt, im Superwahljahr 2024 müsse die EU stärker gegen »gezielte Desinformation« geschützt werden. Dies war auch eine Forderung des Europäischen Parlaments, die schon im Juni 2023 erhoben wurde. Martina merkte zu Borells Rede an:
„Die Blickrichtung Borells ist eine außenpolitische Perspektive und eine sicherheitspolitische Vereinnahmung medienpolitischer Perspektiven.“, Sie befand, dass dies aus seinem Amt heraus sicherlich nachvollziehbar ist. Nur gibt es derartige Bedrohungen nicht erst seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, auch wenn dies in Borells Rede scheinbar der einzige Fokus ist, der ihn zum politischen Handeln treibt. Schon in der Vergangenheit wurden Wahlen und Referenden, zum Beispiel beim Brexit, im europäischen Raum beeinflusst, denken wir an das Micro-Targeting durch Cambridge Analytica, das via sozialer Medien nachweislich beeinflusste, indem nur gefilterte Informationen bereitgestellt wurden. Die Störungen demokratischer Prozesse muss man politisch unterbinden und dies gilt auch ganz ohne die Rahmung kriegerischer Auseinandersetzungen, die dann – wie nebenbei – auch den Sicherheitsbegriff auf militärische Auseinandersetzungen verkürzt. 
Diese Verkürzung der Perspektive führt dann auch erfahrungsgemäß recht schnell zu Eingriffen in die freie Informationsbeschaffung, indem der Kampf gegen den Terror oder andere Erwägungen, staatliche Eingriffe in die Medienlandschaften nach sich ziehen, die eigentlich genauer hinterfragt werden müssten, allein ob diese angemessen und wirklich gerechtfertigt sind, auch wenn Cyberkriegsgefahren nicht von der Hand zu weisen sind. Doch auch hier ist demokratische Kontrolle entscheidend und Borell deutet in seiner Rede die Crux selbst an, indem er formulierte: ‚Wir müssen für wirksame Schutzmaßnahmen sorgen, ohne in Zensur abzugleiten. Dies ist ein sehr heikles Gleichgewicht.’

Konferenz Jezidischer Frauen in Brüssel

Konferenzankündigung Jezidische Frauen im EP | Foto: Nora Schüttpelz

Gleich am Dienstag traf sich Martina mit Feleknas Uka, die selbst einmal für unsere Partei im Europaparlament saß und heute schon lange, erst für die HDP, jetzt für das größere Parteibündnis, in der Türkei Politik für eine demokratische Gesellschaft macht. Dazu gehört auch die Aufarbeitung der unzähligen Morde des IS an jezidischen Frauen und Kindern 2014, die entführt und versklavt wurden. Über diese Aufarbeitung, den Wiederaufbau, die Selbstverwaltungsstrukturen besprachen sich Kurdinnen, Jezidinnen, Gäste aus der Türkei und dem Irak, am 30. Janaur 2024, in Brüssel, auf einer Konferenz im Europaparlament.

1.2.2024 – Bauernproteste geraten aus dem Ruder vor dem Parlamentsgebäude in Brüssel | Foto: Helmut Scholz

Gesellschaftliche Spaltungen, Proteste und Analysen: Lesestoff

Diese Tage spielen Politiker*innen, insbesondere aus dem konservativen, selbst aus dem liberalen und sowieso aus dem Rechtsaußen-Lager, wieder gern Schichten und Gruppen gegeneinander aus, die eigentlich solidarisch gegen eine verfehlte gesellschaftliche Umverteilungspolitik gemeinsam aufstehen müssten: Beschäftigte und Menschen ohne Erwerbsarbeit, Menschen mit und ohne Migrationserfahrungen, die gemeinsam an der Maschine stehen oder in der Pflege tätig sind und das Rückgrat unserer Gesellschaft bilden. Ein Stück weit spiegelt sich die Forderung nach einem solidarischen Zusammenhalt in den jüngsten Protesten zur Verteidigung demokratischer Strukturen wieder, die sich konsequent gegen rassistische Ressentiments richten, die über gesellschaftliche Konflikte gestülpt werden. In einem interessanten Interview, warum die gesellschaftliche Linke hier seit längerem schwer zu hören ist, setzt sich Linus Westheuser damit auseinander, wie der Begriff der Arbeit gerade von rechts gekapert wird. Lesenswert und hilfreich sind seine Überlegungen, wenn man linke Strategien in seinen politischen Projekten verfolgen will und dabei demokratisch auf das Gewinnen von Mehrheiten setzt. Dies ist nicht nur an einer Partei adressiert, sondern tatsächlich an diejenigen, die die Verteilungsperspektive in der Beantwortung soziale Fragen schon immer ernst genommen haben und dies heute konsequent mit der ökologischen Frage verbinden müssen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.