Martinas Woche 5 – 2021: EU und Impfstoffverträge, Teil 2 -Transparenz als Datenpanne?

Martina Michels besucht Yad Vashem, 2017 | Foto: GUE/NGL

Martina Michels, Konstanze Kriese

Frontex – 76. Holocaust-Gedenktag – Covid-19: EU versus Pharmaindustrie – Russland nach Protesten

Eine Woche mit viel europäischem Licht und Schatten, Geschichte und Zukunft liegt hinter uns. Die wirklich gute Nachricht kommt zuerst. Im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) haben sich die Linken, Grünen, Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen geeinigt eine Frontex Scrunity Working Group einzurichten, die das Versagen der Grenzschutz-Behörde Frontex bis hin zu Menschenrechtsverletzungen untersuchen wird.

Europa gedachte in dieser Woche an verschiedenen Orten den Opfern des Holocaust. Der 27. Januar, der Tag, an dem die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz Birkenau befreite, gilt als der Gedenktag, an dem vor allem in der vergangenen Jahren die noch wenigen Überlebenden des Holocaust Worte der Mahnung, des Lebensmutes, der offenen Wunden an uns richten. In diesem Jahr war u. a. die Rede von Charlotte Knobloch im Deutschen Bundestag klar auch an die Geschichtsvergessenen von der AfD gerichtet, denen sie sagte: „Sie werden weiter für ihr Deutschland kämpfen, und wir werden weiter für unser Deutschland kämpfen… Ich sage Ihnen, Sie haben Ihren Kampf vor 76 Jahren verloren.“ Das dies eine sehr alltägliche Aufgabe jenseits aller Gedenktage zeigen uns immer von neuen auch Geschichtsdebatten im Europäischen Parlament, über die vor fast einem Jahr, Konstanze Kriese kritische Anmerkungen verfasste.

Überraschend veröffentlichte in dieser Woche die EU die Verträge mit AstraZeneca, einem der Impftstoffproduzenten, deren Produkt auch in dieser Woche von der EMA zugelassen wurde. Dies geschah nicht ohne Pannen und Debatten, die wir nie führen wollten, weil doch Vieles bei der Bekämpfung von Corona in der Europäischen und in den Politiken der Mitgliedsstaaten nicht nur schlecht kommuniziert, sondern tatsächlich auch schlecht gemacht wurde.

Am Ende der Woche trafen sich die Europapolitischen Sprecher:innen zu einer überfälligen Diskussion mit der Leiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau, Kerstin Kaiser, zur Lage in Russland nach den Protesten vor allem am 23. Januar und dem Verhältnis der EU zu Russland.

Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments untersucht Frontex Verstöße gegen Menschenrechte

Seit Monaten wird von Push backs vor den griechischen Inseln berichtet, eine Praxis, die internationales Seerecht verletzt und Menschen in den Tod schickt, statt wie es sein sollte, Asylsuchenden ein faires Verfahren zu ermöglichen. Schlimmer noch, an dieser Praxis ist offensichtlich eine Behörde der der EU beteiligt, die Grenzschutz-Agentur Frontex, die eigentlich die Einhaltung von Menschenrechten überwachen sollte bei all ihren ohnehin merkwürdigen Mandaten. Wir hatten erst kürzlich das Schwarzbuch der Pushbacks veröffentlicht und eigentlich auf einen Untersuchungsausschuss gedrängt. Doch mit der Arbeitsgruppe, die die jetzt vom LIBE-Ausschuss gegründet wurde, sind wir einen ganzen Schritt weiter gekommen und haben dabei gleich mehrere Fraktionen im Boot. Cornelia Ernst, die sich an vorderster Front für diese Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen eingesetzt hat, hat den Stand der Dinge in ihrer Pressemeldung zusammengefasst.

27. Januar – Holocaust-Gedenktag europaweit

Normalerweise treffen sich am 27. Januar viele Europaparlamentarierinnen und -parlamentarier im Yehudi Menuhin Saal Im Parlament zu einer Gedenkveranstaltung. In diesem Jahr war auch dieses Gedenken Online organisiert und war zugleich an viele Orte verteilt. Martina, die auch Mitglied der Delegation EU-Israel ist, betonte in ihren Worten des Gedenkens„Antisemitisches, rassistisches und menschenfeindliches Gedankengut, Verschwörungsmythen, bewusste Desinformation und skrupellose Lügen und eine dramatische Zunahme rechtsextremer Gewalt bedeuten für uns auch, dass dieser Tag nicht nur Erinnern und Gedenken bedeuten darf. Antifaschismus muss unser aller Versprechen bleiben: Wir müssen den Anfängen wehren und werden uns den alten und neuen Nazis konsequent entgegenstellen. In dem Europa, das wir wollen, muss das Wissen über und die Erinnerung an die Schoa endlich ergänzt werden: um die Vielfalt jüdischer Geschichte und Gegenwart in Europa.“

Covid-19: Politik versus Pharmaindustrie – Teil 2

Photo: THE LEFT, PRESS UNIT

Schon in der vergangenen Woche hatte André Seubert einen Artikel zu den Machenschaften von Pharmariesen, ja, das kann man durchaus genauso nennen, veröffentlicht und sich dabei vor allem deren eigentümlichen Verständnis von Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme in einer weltweiten Pandemie gewidmet. Und natürlich muss es jemanden geben, der das überbordende Profitinteresse stützt oder gewähren lässt, auch wenn er mit Steuergeldern an der Entstehung des Impfstoffes die Gemeinschaft aller beteiligte. Das ist niemand geringeres als die EU-Kommission, im Verein mit dem Europäischen Rat. In dieser Woche nun ging dieses Spektakel politischen Versagens weiter. Das Europäische Parlament hatte in der vergangenen Woche im Plenum nochmals dezidiert die Offenlegung der Verträge mit den Unternehmen gefordert, vor allem nachdem in den Medien gar unterschiedlichste Erzählungen von den Vertragsinhalten kolportiert worden. Während AstraZeneca die Auffassung vertrat, dass kein detaillierter Lieferumfang vereinbart war, saht sie die Kommission ganz klar anders und es kam endlich zu einer Veröffentlichung der Verträge. Doch des geschah dann mit seltsamen Pannen. Einmal war es verwerflich genug, dass derartig viel geschwärzt wurde (Der Vertrag mit AstraZeneca ist als PDF im Anhang und hier ist der mit CureVac), dass man ohnehin nur von einer eingeschränkten Veröffentlichung sprechen kann. Andererseits spielte die IT der Kommission für einige Stunden dem großen politischen Player eine Streich, sicherlich ungewollt und man konnte auch die geschwärzten Zeilen lesen. Nun warten wir also, wer diese kurzen Stunden der Transparenz ausgenutzt hat und sein „Wissen“ sicherlich gut bezahlt an den Mann und die Frau bringt. Kurz und weniger gut: Transparenz sieht ganz sicher anders aus. Und Aufklärung, wie es nun mit der Versorgung mit Impfstoffen – auch global – weitergeht sicher auch. Insofern denken wir, wird es demnächst auch einen Teil 3 zur Impfstrategie der EU-Kommission geben.

Europapolitische Sprecherinnen und Sprecher schauten nach „Moskau“

Kerstin Kaiser, Leiterin der RLS in Moskau | Screenshot: Konstanze Kriese

Am Freitag waren wir virtuell zu Gast in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau. Die Leiterin, Kerstin Kaiser, fasste einleitend – gemeinsam mit ihren Kollegen – für uns alle kurz zusammen, wie die Lage in Moskau nach den heftigen Protesten gegen Putin einzuschätzen ist. Ihr war es wichtig, hier nicht in einen ethnischen Zustandsbericht einzutauchen, sondern das gesamte Verhältnis der EU zu Russland und umgekehrt mit zu beleuchten, also die Verständigung als eine über europäische Politik zu verstehen. Mit Navalnys Rückkehr nach Russland und der Verhaftung durch die Behörden scheint die mediale Frontstellung der EU endgültig und glasklar: Russlands Autokratie ist „der“ Feind und mehr Differenzierung kann man derzeit kaum erwarten, obwohl dies erstaunlicherweise gegenüber anderen Despoten, wie Alijew oder Erdogan nicht mit gleicher Elle verfolgt wird, wie wir später in der Debatte festhalten konnten. Kerstin Kaiser differenzierte dann konsequent in den praktischen Einstellungen vieler Protestierender, die ihren Unmut nicht unmittelbar an Navalny festmachen, sondern an Verhinderung von Demokratie und politischer Mitgestaltung. Es geht gegen Korruption, Zensur und nicht immer um Navalny, wo man natürlich eine faire Behandlung erwartet, ihn aber weniger zu einem neuen Idol der Proteste verklärt. Kerstin Kaiser erinnerte daran, dass durch die Corona-Kriese der 75. Jahrestag der Befreiung tragischerweise weniger als erwartet ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden konnte, ein Punkt der gleichermaßen auch die EU trifft, deren geschichtspolitischer Nachholebedarf auch nicht gerade klein ist. En detail ging Kerstin Kaiser auf gesetzlich geschaffene Widerstände ein, die Arbeit von NGOs oder Stiftungen zu erschweren, da die staatliche Kontrolle ausländischer Geldflüsse hier neue Hürden errichtet hat. Die Demonstration am 23. Januar schärft wie andere Ereignisse auch die Dilemmata russischer Linker, die weder mit pauschalen Kritiken an den autokratischen staatlichen Strukturen zusammenfinden, noch profiliert in den Protesten aufgehen.  Alle befanden, dass wir die Debatten schnell fortsetzen und zu Einzelthemen weiter arbeiten müssen. Eigentlich zeigte das Format, dass hier Vieles möglich ist, was wir bisher nicht genutzt haben.

Morgen Abend: Kultur und Urheberrecht in der Debatte

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.