Martinas Woche 49 – 2020: Patentschutz verhindert gerechte Pandemie-Bekämpfung

Brüssel ist weihnachtlich beleuchtet, doch die Corona-Pandemie ist in den leeren Straßen allgegenwärtig. | Foto: Konstanze Kriese

Martina Michels, Konstanze Kriese

Jagd nach Impfstoffen – Europäische Bürgerinitiative für gerechte Verteilung – Urheberrecht – Medienpolitik – Veranstaltungen

Großbritannien prescht bei der Impfstoff-Zulassung gegen Covid-19 im Alleingang nach vorn. Doch die Schatten eines erbitterten Standortwettkampfes bei der Pandemie-Bekämpfung reichen viel weiter als zwischen Insel und Festland, Brexit und EU. Sie treffen ins Herz internationaler Handelsverträge, die das geistige Eigentum schützen, allerdings alleinig, um Profit zu erwirtschaften und dies auf Kosten des (Über)Lebens im globalen Süden. Wir haben daher in dieser Woche einmal den internationalen Streit um die Verteilung der Impfstoffe beleuchtet und hoffen, dass hier internationale Organisationen politisch aufstehen, um eine globale Gerechtigkeit einzufordern und fordern die EU auf, ihre Blockadehaltung gegenüber dem globalen Süden aufzugeben. Ihr könnt euch im Rahmen einer Europäischen Bürgerinitiative beteiligen.

Logo der Europäischen Bürgerinitiative für die Aufhebung des Patentschutzes der Impfstoffe | von HTTPS://NOPROFITONPANDEMIC.EU/DE

Der Arbeitsalltag ist weiterhin mit vielen Sitzungen, die sich dem noch ausstehenden Abschluss des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021 – 2027 und den damit verbundenen Europäischen Corona-Hilfen widmen, vollgestopft, doch wir gehen in diesem Wochenrückblick auf neue Beiträge zur Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie ein und schauen verblüfft auf Deutschlands Kapriolen in der Medienpolitik. Außerdem geben wir Tipps zu Veranstaltungen in der kommenden Woche.

Eine kurze und unvollständige Geschichte des Corona-Imperialismus und was er mit dem Urheberrecht zu hat

Martina neben einer Skulptur im Europaparlament. | Foto: Konstanze Kriese

London ist bei der Impfstoffzulassung gegen Covid-19 um einiges schneller als bei Brexit-Verträgen. In einer Notfallzulassung hat sich die Insel den Impfstoff von Biontec und Fizer für ihre besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen liefern lassen und beginnt mit 800.000 Impfdosen und damit jedoch auch nicht mehr als einem Prozent der Bevölkerung mit dem Impfschutz für Risikogruppen seit Anfang Dezember. Einige behaupten, die EU hätte hier einmal von London lernen sollen, andere, wie Tom Peck vom Independent finden diese Vorgehensweise falsch und zitieren den britischen Gesundheitsminister Hancock, der als einstiger Brexitgegner selbigen nun begrüßt und den Brexit jetzt als Lieferanten eines Impfstoffs aus Deutschland, der von türkischen Einwanderern entwickelt wurde, feiert. Und dies alles, obwohl bis zum 31. Dezember Großbritannien noch Mitglied der EU ist, wenn auch in einer Übergangsphase. Doch sind damit alle Probleme der aktuellen Pandemiebekämpfung durch einen wirksamen Impfstoff schon beschrieben? Nein. Die realen Problemlagen sind völlig andere. Bis Ende 2021 können die drei schnellsten Firmen 5,3 Milliarden Impfdosen herstellen, was für ein Drittel der Weltbevölkerung reichen wird. Dies sind noch keine 70 %, doch gefährdete Gruppen wären damit gut zu erreichen, medizinisches personal ebenso. El Pais aus Spanien hält dann aber fest: „Die Europäische Union und fünf weitere Länder haben wie erwartet bereits die Hälfte der Medikamente reserviert, obwohl sie nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen … Dabei fordert die Pandemie per Definition eine Immunisierung des gesamten Planeten. Wir machen mal wieder alles falsch.“ Die Schieflage bei der weltweiten Pandemie-Bekämpfung lässt sich kaum plastischer auf den Punkt bringen. Amilcar Correia vom portugistischen Publico schaut noch ein Stück weiter hinter die Kulissen. Eine Zulassung eines neuen Malaria-Impfstoffs auch von Pfizer steht aus und offenbar in den Sternen, weil Covid-19 zuerst geprüft wurde. Daher steht jetzt schon fest, dass 2021 wieder mehr Menschen an Malaria sterben werden und wir wissen ziemlich genau, dass dies kaum die Nordhalbkugel betrifft.

Indien und Südafrika sind von Covid-19 besonders betroffen und haben schon die Forderung erhoben, den Patentschutz während der Pandemie auszusetzen. Doch hier fürchten viele eine Klagewelle der großen Hersteller. Dabei wäre, wie Alexander Göbel aus Brüssel für die Tagesschau berichtet „(d)urch den so genannten ‚TRIPS waiver‘ … es grundsätzlich möglich, Impfstoffe dezentral und an vielen verschiedenen Orten über die Welt verteilt herzustellen. Diese Idee werde von der WHO unterstützt, aber von Industriestaaten blockiert – auch von der EU, beklagt die Grünen-Abgeordnete Paulus. Letztlich ist am Ende des Tages jedoch ein halber Schutz kein Schutz vor der grassierenden Pandemie, ohne Solidarität und eine politische Aufhebung patentrechlicher Regelungen zum Schutz aller auf unserer Erde werden wir sie nicht in den Griff bekommen. Am 30.11.2020 startete eine Europäische Bürgerinitiative, in der von vielen Initiativen, Gewerkschaften, Ärzt*innen gefordert wird, die Patente für die Covid-19-Impfstoffe aufzuheben. Der Europa-blog macht darauf aufmerksam. Dort erfahrt ihr mehr und könnt eure Stimme für eine solidarische Pandemie-Bekämpfung einbringen.

Urheberrechts-Blog mit vielen neuen Beiträgen

Was macht eigentlich die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie? Deutschland wollte ja die Uploadfilter laut Protokollnotiz 2019 nicht durchsetzen, dann hieß es „April, April“ – dann da wurde dies großspurig versprochen – und da bekäme man doch Probleme mit der EU und nun gibt es einen Mittelweg, der u. a. in mehreren Beiträgen von Petra Sitte und Simon Weiß und ländervergleichend aktuell von Paul Keller von Communia auf unserem Blog diskutiert wird. Noch sind sechs Monate Zeit, aber die Quadratur des Kreises scheint noch immer nicht zu gelingen und überdies hat Polen gegen Teile des Uploadfilter-Paragraphen 17 geklagt und die Entscheidung wird wohl erst kurz vor der Umsetzungsfrist der Richtlinie gefällt werden… Was dies nun in einzelnen Mitgliedsstaaten heißt, könnt ihr auf unserem Urheberrechtssetzung-Blog nachlesen.

Ein Blick in Deutschlands medienpolitische Kapriolen

Drache am Strand | Foto: Konstanze Kriese

Noch gibt es einen öffentlich-rechlichen Rundfunk in Deutschland. Wir sind da nicht in Berlusconi-Land und haben noch nicht beinahe alle Medien einer unüberschaubaren Medienkonzentration in private Hände übergeben. Andererseits kämpfen auch in Deutschland inmitten der Konvergenz von traditionellen analogen Medien und moderneren digitalen Medien viele gegen eine Informationsflut in sozialen Netzwerken die nicht annähernd der redaktionellen Sorgfalt unterliegen wie öffentliche, aber auch viele private TV-Sender beispielsweise. Während die Plattformen eigentlich ein Marketingsinstrument waren und sind und viele Nutzerdaten – auch ungefragt – verwenden, ist die Funktionsweise der Sendeanstalten davon doch gänzlich verschieden. Die Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie sollte hier eine Regelungs-Angleichung ermöglichen und damit eine gewisse Gleichstellung von Fernsehen mit modernen Videosharingplattformen. In der Richtlinie, die nach etlichen Jahren endlich überarbeitet wurde, sollten Werbezeiten, das Auffinden europäischer Werke, der Umgang mit jugendgefährdenden Inhalten und Hassreden für alle sendeähnlichen Anbieter neu und ähnlich geregelt werden. Und es war auch eine europäische unabhängige Medienaufsicht, die ERGA, vereinbart, die über die Umsetzung hinaus, die europäische Medienlandschaft evaluieren sollte. Nun hat der Bundesrat in seiner Sitzung am 27. November 2020 im Rahmen des Digitalen Service Acts eine Europäische Medienaufsicht abgelehnt. Das halten wir eigentlich für einigermaßen gewagt, hinsichtlich der Umsetzungsanforderungen der audio-visuellen Mediendienste-Richtlinie. Niemand will Inhalte überwachen, wie in dem Beschluss behauptet wird und wir werden hier den Gang der Dinge verfolgen, denn wir können uns gut erinnern, dass Deutschland ohnehin einige Probleme hatte, die politikferne ERGA anzuerkennen, weil sie weit entfernt ist von den Deutschen Rundfunkräten.

Medienpolitisch gehen auch Innenminister bisweilen seltsame Wege in Deutschen Landtagen. Inzwischen ist selbiger, namens Stahlknecht, in Sachsen-Anhalt zur CDU gehörend, zurückgetreten. Doch es lohnt nochmals seine Machtprobe zu erzählen, denn sie hatte mit Medienpolitik so viel zu tun, wie Pik As mit Aspik, obwohl sie sich an 86 Cent pro Monat für erhöhte Rundfunkbeiträge, von denen auch soziale Befreiungen möglich sind, entzündete. netzpolitik.org hat die üble Geschichte noch einmal nacherzählt, die real die Geschichte eines weiteren Dammbruchs gewesen wäre, bei dem sich die CDU des Ex-Ministers Stahlknecht mit der AfD gemeinsam gegen öffentlich-rechtliche Medien stellen wollte und doch letztlich ganz ohne Umschweife über Flüchtlinge und das von den Rechtspopulisten so heißt verhasste Gendern in der politischen Sprache ausließ. Da dieser Dammbruch kein deutsches Problem allein ist, schaut man ganz kurz zum Kanzler Kurz nach Österreich, gehört er unbedingt in unseren Bericht der vergangenen Woche.   

3 Veranstaltungs-Tipps für die kommenden Woche

7.12.2020 – Zukunftsorte

10 – 12 Uhr

Gleich am Montag wird Martina bei „Zukunftsorte“ diskutieren zu Europäischer Förderpolitik. Um 10 Uhr geht es los. Die Anmeldung hatten wir schon in der vergangenen Woche angekündigt, denn sie war bis zum 3. 12. geöffnet.

9.10.2020 – Frieden in Bergkarabach?

Hintergründe des Konflikts und der aktuellen Lage

20 – 22 Uhr Die Rosa-Luxemburg-Stiftung lädt ein.

10.12.2020 – Bilanz der Deutschen Ratspräsidentschaft mit Martin Schirdewan und Martina Michels, moderiert von Jürgen Klute

18 – 19:30 Uhr

Link: https://zoom.us/j/95739881341?pwd=RXdQQm9mbUZnQzkvUzdoMFNJRFo2Zz09  

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.