Martinas Woche 47 – 2021: Plenum in Straßburg – Europäisches Forum in Brüssel

Martina Michels, Konstanze Kriese

Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) – Mindestlohn – Corona und Patente – Europäisches Forum Brüssel 2021

In der vergangenen Woche spielte die Musik der Europaabgeordneten in Straßburg. Das Plenum wurde zwar kurz zuvor wieder halb in den Online-Modus versetzt, doch das tat den intensiven Debatten, z. B. um die gemeinsame Europäische Agrarpolitik, um das Verhandlungsmandat des Parlaments für einen Europäischen Mindestlohn, um die Lage von Asylsuchenden zwischen Belarus und der polnischen Grenze oder um die Patentfreigaben für die globale Produktion von Corona-Impfstoffen keinen Abbruch. Zeitgleich begann das Europäische Forum, zuerst online und am 26./27. November auch in Präsenz, ein Treffen linker und grüner Aktivist*innen, Gewerkschafter u. a., in Brüssel zu tagen.

Reförmchen ohne Biss: Abstimmung zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der EU

Martina Michels in der Fraktionssitzung, 29.9.2021, Brüssel | Foto: Nora Schüttpelz

Was lange währt wird gut, heißt es gern. Doch irgendwie wollen einem so flotte Sprüche angesichts der reformbedürftigen Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa nicht über die Lippen kommen. Deren Ansatz ist nicht nur für die ländlichen Räume und die Agrarproduktion in Europa entscheidend. Denn der große Haushaltsansatz für Fischerei und Agrarwirtschaft, so löblich oft Subventionen sind, bedeutet zugleich oft ein entwicklungspolitisches Desaster, weil, vom Saatgut bis zum verarbeiteten Lebensmittel, dann häufig in angrenzenden Weltregionen nicht so billig produziert werden kann, wie in Europa. Die Folgen sind Marktverzerrung und das Zurückdrängen der regionalen Produktionsketten beispeilsweise in Afrika. Durch die billigen EU Importe „… sank der Anteil verarbeiteter Produkte von 76 Prozent im Jahr 2008 auf 70 Prozent 2018, während Primärgüter – also aus Landwirtschaft, Rohstoff- und Energiesektor – im gleichen Zeitraum von 22 auf 29 Prozent zulegten.“, hält Olayinka Idowu Kareem vom Trade and Development Policy Research Network einleitend fest, bevor er in Checklisten zusammenfasst, was die EU in Brüssel und die AU in Addis Abeba handelspolitisch in Angriff nehmen sollten, um globale Ungleichheit endlich endlich wegzuverhandeln.

Europapolitisch wollte sich nun die GAP neu aufstellen, doch auch da bleibt die Schieflage gegenüber den kleineren Erzeugern bestehen. Martina Michels hielt daher vor der Abstimmung fest: „Die linken Europaabgeordneten werden heute gegen das ausgehandelte Reformpaket stimmen. Denn was bleibt, ist vor allem eine Verwaltungsreform, die das politisch Notwendige den nationalen Behörden überlässt. Wir bleiben bei unserer Forderung nach einer Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, die fair und grün ist und die ländlichen Räume bewahrt.“ Klima- und Umweltschutz und die sozialen Bedingungen in der landwirtschaftlichen Produktion liegen nun in den Entscheidungen der Mitgliedstaaten, die bis zum Jahresende Strategiepläne zur Umsetzung der GAP vorlegen sollen. Da kann die neue Bundesregierung in Deutschland gleich einmal zeigen, wie ernst es ihr mit der Zukunft der Agrarpolitik ist, wie nah sie den CO2-Reduktionen kommen wird, Artenvielfalt schützt und Entwicklungspotentiale für ländliche Räume ausbaut.

Europäischer Mindestlohn: Ein Satz nach vorn.

Özlem Demirel

312 Euro betrug 2020 der Mindestlohn in Bulgarien und 2.142 Euro in Luxemburg. Sechs EU-Länder haben keine Mindestlohn-Gesetzgebung, was nicht bedeutet, dass dort keine starken Tarifverträge eine bessere Lösung darstellen. Dies ist einer der Gründe, warum skandinavische Länder zum Teil skeptisch gegenüber den Vorstößen des EU-Parlaments sind, die es angesichts der Vorlagen der EU-Kommission zu Europäischen Mindestlöhnen vorgelegt hat, und von denen ganz klar die Mehrheit Europäischer Beschäftigter, die derzeit zu Dumpinglöhnen arbeiten, profitieren würden. Schon als die Europäische Mindestlohnrichtlinie im Beschäftigungsausschuss abgestimmt wurde, hatte Özlem Demirel das Ergebnis verteidigt, das nun mit der Plenumsentscheidung in der vergangenen Woche auch als Position des Parlaments in den kommenden Trilog-Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission angesehen werden kann. Sicher kann man sich immer hier und da mehr wünschen, doch progressiver als es der Ausschuss derzeit hinbekam, wird es nicht. Also war es gut, dass das Ergebnis nicht wieder durch Änderungsanträge für die Dezembersitzung zu verwässern drohte, sondern nun als starke Parlamentsposition festgeschrieben ist. „Die … Ausschussentscheidung ist wichtig, denn 20,5 Millionen Menschen in der EU leben trotz Arbeit in einem von Armut bedrohten Haushalt. Der Ausschuss muss endlich durchsetzen, dass es gesetzliche Mindestlöhne geben muss, die vor Armut schützen. Daher habe ich in den Verhandlungen darauf gedrängt, dass für den Mindestlohn eine klar definierte Untergrenze als Richtwert in die Richtlinie aufgenommen wird und dass Lebenshaltungskosten wie unter anderen Unterkunft und Energie nach den realen Preisen im jeweiligen Mitgliedstaat herangezogen werden müssen, um Mindestlöhne festzulegen.“, so kommentierte Özlem am 11.11.2021 den Stand der Dinge.

Corona und die Patentfreigabe für die Impfstoffproduktion

Martina MIchels im Gespräch mit ihrem Kollegen Helmut Scholz im EU-Parlament | Foto: Nora Schüttpelz

Südafrika, Indien und andere Staaten hatten in der WTO lange schon gefordert, die Patente für die Corona-Impfstoffe vorübergehend freizugeben, denn die ungerechte globale Verteilung des knappen Guts ist erneut der Auslöser einer offensichtlich sehr ansteckenden Mutation. „Wenn Patente dem Überleben im Wege stehen, dann ist es höchste Zeit, den Weg frei zu machen. Finden Sie den goldenen Weg, Herr Kommissar, für den temporären Waiver, auch im Interesse der EU! Die WTO droht ihre Legitimität zu verlieren, sollte die Ministerkonferenz in Genf erneut nicht auf die Bedürfnisse der Weltbevölkerung eingehen.“ erinnerte Helmut Scholz am Mittwoch im Plenum an die Herausforderung der Stunde.

European Forum in Brüssel: online und offline

The European Forum 2021 is a unique space where the left, greens and progressives can come together and share their struggles. We want to formulate — and fight for — alternative, fairer and greener solutions to the crises facing Europe. This year’s Forum will be held in Brussels and online between 15th and 27th November. Join us! / Das Europäische Forum 2021 ist ein einzigartiger Ort, an dem Linke, Grüne und Progressive zusammenkommen und ihre Kämpfe teilen können. Wir wollen alternative, gerechtere und umweltfreundlichere Lösungen für die Krisen in Europa formulieren – und dafür kämpfen. Das diesjährige Forum findet vom 15. bis 27. November in Brüssel und online statt. Machen Sie mit! – lud die eigene Homepage des Forums in diesem Jahr ein und kam mit einem riesigen Programm an Workshops und Debatten. Vertreterinnen des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Das São Paulo Forum und viele Genossinnen und Genossen der Europäischen Linken waren genauso vertreten wie unsere beiden Fraktionsvorsitzenden Manon Aubry und Martin Schirdewan. Natürlich standen auch hier die weltweite Pandemie im Fokus und die Herausforderungen, nachhaltig aus den sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen heraus zu kommen. Eine Abschlussdeklaration und ein Aktionsplan wurden beim Forum gemeinsam herausgearbeitet. Sobald dieser online ist, wird dieser hier zu lesen sein. Vorab gibt es zum Forum einen Bericht von Uwe Sattler im Neuen Deutschland unter dem Titel: „Neue Ideen für Europa“, in dem schon aus der Schlusserklärung zitiert wird: „Wir wollen ein Europa, das sich den Themen Steuergerechtigkeit, öffentliche Dienstleistungen, Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge, Harmonisierung der sozialen Sicherungssysteme sowie der Herausforderungen des Klimawandels annimmt“. An progressiven Ideen mangelt es ganz sicher nicht. Wichtig ist immer der Ansatz bei konkreten Projekten, die Durchsetzbarkeit vermitteln und nur auf diesem Wege auch gesellschaftliche Mehrheiten überzeugen können.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.