Martinas Woche 45 – 2020: Trump geht, Trumpismus bleibt?

Kamala Harris | Screenshot 7.11.2020

Martina Michels, Konstanze Kriese

Biden und Harris gewinnen die 46. Präsidentschaftswahlen in den USA – Rechtsstaatsprinzip und Förderpolitik – EU und Mindestlohn – Kultur und Lockdown

War und ist Trump nun das Symptom oder eine der Ursachen für eine politische Unkultur, die Antidemokrat*innen und Rassist*innen befördert, Fakenews und Egiosmen heiligt, egal ob frustrierte Beschäftigte aus den ehemaligen Industriehochburgen einem Autokraten zujubeln oder die reichen unter den Unternehmer*innen, die einzig Steuersenkung als politische Strategie kennen, egal wie es den Nachbarn, der Umwelt, den Schulen oder Menschen in Not geht, eine „America first“-Ideologie gutheißen?

Seltsamerweise kürten die Medien Biden gestern zum Präsidenten, weil die USA offenbar nicht die Vokabel des vorläufigen amtlichen Endergebnisses kennen. Die Bundesstaaten gestalten die Wahlabläufe eigenständig aus, was nun wiederum Trump zu diversen juristischen Widerständen und der absurden Hoffnung veranlasst, der Supreme Court möge die Wahl für ihn entscheiden. Offenbar kann er nicht fassen, dass er nun doch dem Herausforderer Biden klar, wenn auch knapp, unterlegen ist. Über die tragischen Äußerungen, dass ihm der Wahlerfolg gestohlen wurde und die Twitter-Kommentare des scheidenden Präsidenten, die selbst Twitter z. T. als unseriös einstufte (siehe Bild), ist genug Hohn und Spott ausgeschüttet worden. Dass jedoch TV-Sender die Übertragung einer Rede des noch amtierenden Präsidenten wegen wirrer Fakenews abbrechen, hat es wohl in der Geschichte der modernen Demokratien noch nie gegeben. Trotzdem bleiben auch Fragen, wie sehr die Risse im Land nicht nur die kommenden Wochen prägen, sondern welche Spuren der Trumpismus mit seinen Speerspitzen, die von Rassismus bis zu Verschwörungtheorien reichen, im Bodensatz der US-amerikanischen Gesellschaft hinterlassen hat (Diese Frage wird hier in der NYTimes gestellt). Deshalb erscheint es durchaus sinnvoll, dass Biden da im Moment kaum mehr als die staatsmännische Versöhnungsgeste ohne großes Profil herausholt. Allein der Übergangsprozess zwischen den Stäben des alten und des neuen Präsidenten wird sicherlich keine einfache Aufgabe. 

Scheinbar ganz unverbunden mit den Wahlen in den USA hat jedoch auch die EU in dieser Woche – ziemlich unbeachtet von den durch die USA sehr monothematisch aufgestellten Medien – Entscheidungen weiter vorangetrieben, die einmal dem Erhalt des Rechtsstaates und andererseits einem überfälligen europäischen Mindestlohn gelten. Das sind keine klaren mutigen Schritte, mit denen wir es da zu tun haben, sondern ziemlich umstrittene Pflaster, die uns auch über den Tag hinaus beschäftigen werden.

Martina hatte ansonsten in dieser Woche weitere Trilog-Verhandlungen für die Programme der Regional- und Strukturpolitik 2021-2027 zu absolvieren und das wird sich auch – gleichermaßen im Kulturausschuss – bis in den Dezember hineinziehen. Wir werfen jedoch in dieser Martinas Woche noch einen Blick nach Deutschland auf die Kulturszene, denn dort ist mit dem zweiten Lockdown light eine ziemlich düstere Situation fortgesetzt worden: Einkommensausfall, Existenzangst und kaum eine Strategie, wie man da wieder herauskommt. Zum Abschluss gibt es noch Veranstaltungstipps für die kommende Woche.

Wahlen USA 2020: Biden gewinnt und „Madame Vice President“ ist nicht länger ein fiktionaler Charakter

Screenshot, 4.11.2020

Das altehrwürdige amerikanische Wahlsystem, das letztlich nach dem Prinzip „The winner take it all“ gestrickt ist und dem Sieger in einem Bundesstaat dann alle „Wahlmänner“ zuspricht, hat diesmal durch seine territoriale Spreizung, die große Städte benachteiligt, und damit konservativen Strukturen entgegenkommt, nicht genützt. Es beginnt nicht nur die Zeit der ersten Wahlbetrachtungen, hier Andreas Günther im Interview, und Kurzanalysen, hier Ingar Solty, der Biden als Sieger und Verlierer zugleich sieht.

Es begann und beginnt ein neues Kapitel, das damit zurechtkommen muss, dass wir in einer multilateralen Welt leben, was ohnehin die USA vor strategische Herausforderungen stellt, die mehr verlangen, als einen freundlichen Tonfall und Verlässlichkeit. Klima, soziale Ungleichheit, die aktuelle Pandemie selbst, demokratischer Dialog, der profiliert und auch eint – alles ist offen und stapelt sich vor der demokratischen Partei sowie auch vor den Republikanern, die entscheiden müssen, ob sie weiter der Spielball der Tea-Party bleiben wollen. Im zweiten Heft der Grenzgängerin gibt es allerhand Analysen über den Wahltag hinaus, die Politik, Geschichte und Kultur umfassen. Der Star Trek Schauspieler Georg Takei rief Trump auf Twitter sinngemäß zu:  „Jetzt hast Du die ganze Packung der 2020-Erfahrung: Corona und arbeitslos. Gratulation!“ Wir geben an dieser Stelle ohne große Kommentare zu Protokoll, dass wir uns ganz besonders über die neue Vizepräsidentin Kamala Harris freuen. Nun ist die demokratische Partei ganz sicher kein Hort von demokratischen Sozialisten wie Bernie Sanders einer ist, doch Harris ist bisher noch „neben“ Biden einen ganzen Zacken moderner, feministischer als der neue Amtsinhaber selbst.

Rechtsstaatsprinzip und Fördergelder

Blick Richtung Platz Luxemburg vorm Europaparlamentsgebäude in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

„Im Frühjahr 2017 schlug die Europäische Kommission vor, sie beim Geld zu packen und den neuen mehrjährigen Finanzrahmen 2021–27 mit einer „politischen Konditionalität“ zu versehen. Mitgliedstaaten sollten nur noch dann Mittel aus EU-Töpfen erhalten, wenn sie sich auch an Rechtsstaatsprinzipien halten. Die Idee, die auch von der deutschen Bundesregierung und dem Europäischen Parlament vorangetrieben wurde, entwickelte sich rasch zum dominierenden Ansatz in der europäischen Rechtsstaatsdebatte. Im Mai 2018 machte die Kommission einen offiziellen Vorschlag zu seiner Ausgestaltung.“, erinnert Manuel Müller im IFG-Journal an hoffnungsvolle Zeiten. Nun wurde es in gewisser Weise spannend, wie das Parlament auf die Verwässerung des Anliegens, das nun den Rat in einer Mehrheitsentscheidung passiert hat, reagiert. Noch immer drohen Ungarn und Polen, während anderen die Verwässerungen schon zu weit gehen und es zeigt sich, dass im Konsens mit Gegnern des Rechtsstaates dessen Verteidigung auszuhandeln, eigentlich unmöglich ist. Inzwischen wurde der Status quo auch von den Unterhändlern des Europaparlaments erst einmal als Durchbruch anerkannt, obwohl das Paket nun kaum mehr als Korruptionsbekämpfung ermöglicht. Die Vertreter*innen der großen Fraktionen, darunter auch Manfred Weber (CSU) und Katharina Barley (SPD) begrüßten jedoch die Einigung. Ehrlich gesagt ist die LINKE hier ebenfalls gespalten. Während den einen die Einigung verständlicherweise nicht weit genug geht, weil sie am Ende Polen und Ungarn kaum trifft, sagen andere, dass der Mechanismus selbst auch nicht unproblematisch ist. Denn koppelt man das Rechtsstaatsprinzip an Fördergelder, dann kann das auch die Falschen treffen. Statt den Regierungen auf den Füßen zu stehen, dass sie Grundrechte einhalten, bekommen dann womöglich Projekte, die Grundrechte auch in Polen oder Ungarn verteidigen, weniger Geld. In dieser Hinsicht kann man vielleicht froh sein, dass alles nicht so heiß gegessen wurde, wie es einst gekocht wurde.

EU-Kommission liefert so unkonkret wie möglich: Mindestlohn

Gegenüber dem Comikmuseum in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Der DGB hat zur Mitteilung der Kommission, wie sie sich einen europaweiten gesetzlichen Mindestlohn vorstellt, schon Stellung genommen. Es ist ja alles andere als selbstverständlich, dass sich Gewerkschaften so klar zu einem Mindestlohn europaweit verhalten und dann auch noch zu Recht die ausgebliebene Konkretisierung – hier 60 Prozent des Medianlohnes in jedem Land – fordern. Immerhin ist einerseits ein Mindestlohn ein Eingriff in die Tarifautonomie, andererseits ist er eine unterste Leiste, die bei schweren gewerkschaftlichen Abwehrkämpfen eigentlich hilfreich ist, auch für gewerkschaftliche Kämpfe. Diese Lektion haben deutsche Gewerkschaften nach den 00er-Jahren lernen müssen und es ist gut, sie nun an der Seite zu wissen, wenn die Ausgestaltung eines europäischen Mindestlohnes in die längerfristigen Verhandlungen geht. Damit sollte dann auch klar werden, dass Deutschland nur im trüben Mittelfeld bei den Mindestlöhnen liegt und hier wahrlich Luft nach oben ist, wenn der Druck aufgebaut werden kann. Özlem Demirel, die für uns im Beschäftigungsausschuss hier aktiv ist, hatte daher in der vergangenen Woche schon die Unverbindlichkeit des Kommissionsvorschlages verurteilt und wird sich nun mit Kolleginnen und Kollegen an die Arbeit machen.

Feuer und Wasser: Lockdowns und die Kulturbranche

Veranstalter, Künstler*innen und Techniker*innen demonstrieren für passgenaue Coronahilfen am 9.9.2020 in Berlin | Foto: Konstanze Kriese

Wenn es nicht plötzlich still werden soll, dann müssen wir weiter Druck für einen angemessenen Ausgleich machen, der den Kulturproduzent*innen ein Überleben und Weiterarbeiten während und nach der Corona-Pandemie ermöglicht. Bisher sind alle Lösungen, vor allem beim Unternehmer(ersatz)lohn in Deutschland, unbefriedigend. Die Branche hat sich – über Kultur hinaus betrifft es auch das Veranstaltungswesen, Messen und die Gastwirtschaft – engagiert und zugleich nicht gegen notwenige Maßnahmen des Gesundheitsschutzes gestellt, sondern gehandelt, Hygienekonzepte erarbeitet und neue Veranstaltungsformate entwickelt. Doch viele ihrer Vorschläge der Existenzsicherung bleiben bis heute ungehört. Mal hießt es, der November soll auch neben den Fixkosten vergütet werden, dann heißt es wieder, es darf eine erleichterte Grundsicherung beantragt werden. Und wieso steht überhaupt nur der November im Fokus? Die Pandemie hat seit März Spuren hinterlassen, auch bei den unmittelbaren Einkommen der Kulturleute. Deshalb verabschiedeten die kulturpolitischen Sprecher*innen der Linken in den Landtagen, im Bundestag und von unserer Delegation in Brüssel am Dienstag über ihr digitales Treffen am Montag hinaus eine gemeinsame Erklärung, die ihr hier im Wortlaut findet.

Die Kulturleute selbst melden sich auch über die Finanzbranche hinaus klar zu Wort und finden, dass es mit der freiwilligen Aufgabe, kulturelle Infrastrukturen staatlich und kommunal vorzuhalten, so ein eigen Ding ist. Kultur als Pflichtaufgabe zu installieren, ist jedoch ein langer politischer Weg. Andererseits steht bei den derzeitigen Infektionsschutzmaßnahmen nicht nur die Frage der Verhältnismäßigkeit, sondern es gibt auch Gleichheitsgrundsätze zwischen den Freiheitsgütern, wie der Verfassungsblog ausgiebig diskutiert.

Veranstaltungstipp: 

16.11.2020, 19-21 Uhr: Ein Marschallplan für Europa? mit Axel Troost und Martin Schirdewan, veranstaltet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern/Kurt-Eisner-Verein

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.