Martinas Woche 44/45 – 2023

Cate Blanchett im EP, November 2023 | Screenshot Europaparlament

Glanz im Europaparlament – Cate Blanchett mahnt humane Migrationspolitik an

Miniplenum mit Cate Blanchett und Erweiterungspolitik – Handreichung EU-Kommunen – REGI-News mit Ukrainehilfen, Autoindustrie-Umbau und Kohäsionspolitik nach 2027

Martina Michels, Konstanze Kriese, Nora Schüttpelz

In Brüssel fand in der vergangenen Woche das sogenannte Miniplenum statt, in welchem zwischen den Plenartagungen in Straßburg an zwei Tagen Debatten aufgesetzt und auch Abstimmungen getätigt werden. Dieses Mal hatte das Plenum einen besonderen Auftakt durch die Rede der Schauspielerin Cate Blanchett. In dieser Woche hat auch unser Team ein besonderes Highlight zu vermeiden: Unsere Handreichung, wie die EU-Politik in den Kommunen wirkt, ist fertig und unter Publikationen zu finden. Wir gehen davon aus, die Debatten vor Ort fortsetzen zu können und mit möglichst vielen Kommunalvertreterinnen und -vertretern ins Gespräch zu kommen.  

Miniplenum I: Glanz im Europaparlament – Cate Blanchett spricht zur Eröffnung der Plenarsitzung 

Am 8. November 2023 kam die australische Schauspielerin Cate Blanchett ins Europaparlament und sprach zur Eröffnung der Plenartagung als Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerkes. So sehr sie vom Saal gefeiert wurde, sehr schmeichelhaft war ihre Rede nicht für die Europäische Asyl- und Migrationspolitik. Sie sprach sich sehr deutlich gegen die Externalisierung der Orte für Asylbeantragungen aus, wandte sich gegen Grenzzäune und „Sündenbock-Politik“ in den Mitgliedstaaten, die oft ihre verfehlte Sozial- und Krisenbekämpfungspolitik geflüchteten Menschen anlasten, die unserer Hilfe bedürfen. Cate Blanchett hielt der europäischen Debatte auch insofern nochmals den Spiegel vor, indem sie deutlich machte, dass die meisten Menschen, die vor Kriegen, Hunger und Klimaveränderungen fliehen, gar nicht in Europa sind. Ab ca. Minute 25 wird die Rede mit deutscher Übersetzung hier übertragen.

Miniplenum II: Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Moldau und der Ukraine

„Die heutige Empfehlung der Kommission ist richtig. Sie stellt sich damit den Erwartungen der Menschen in der Ukraine und Moldau. Die Union muss offen bleiben für Länder in ihrer Nachbarschaft, die vollwertige Partner des europäischen Vereinigungsprozesses werden möchten.“



Helmut Scholz mahnt jedoch einen fairen Beitrittsprozess für alle Bewerberländer an, auch für den Westbalkan und Georgiern.

Helmut Scholz im Plenum

„Es ist nur zu offensichtlich: Die Beweggründe der heutigen Entscheidung sind geopolitisch begründet. Während die Länder des Westbalkans seit Jahren vertröstet werden, stößt Georgien mit seinen Beitrittswünschen vollends auf taube Ohren. So drohen wir, die Reformbemühungen unserer Nachbarn in Ost- und Südosteuropa zu untergraben.“


Handreichung für Kommunen aus europapolitischer Perspektive ist verfügbar

Ein Flyer, eine umfangreiche Handreichung und eine zusammenfassende PowerPoint-Präsentation zur eigenen Nutzung stehen ab sofort in unseren Publikationen zum Download bereit. EU-Gesetzgebung bestimmt schon lange den Handlungsspielraum der Regionen und der Kommunen, mit Licht und Schatten. Wir haben diese Zusammenhänge beispielhaft aufgeblättert, kritische Punkte herausgearbeitet, aber auch Ansatzpunkte für soziale Politik herausgearbeitet, mit denen wir in Kommunen erfolgreich arbeiten können. Schaut rein und diskutiert mit! Vor allem: Mischt euch europapolitisch ein, auch und besonders auf der lokalen Ebene, dort, wie wir zusammen leben, lernen, arbeiten, dem Klimawandel begegnen, Migration gestalten, Kulturaustausch organisieren u.v.m..

Regionalpolitik I: Zukunft Kohäsionspolitik nach 2027 und aktuelle Fördertipps

Im Regionalausschuss am 7. November 2023 trafen sich die Europaabgeordneten in einer außerordentlichen Sitzung gemeinsam mit Mitgliedern nationaler Parlamente zum Thema „Die Zukunft der Kohäsionspolitik nach 2027: Chancen, Herausforderungen und nächste Schritte“. Wie soll diese Kohäsionspolitik nach 2027 weitergeführt werden? Wie kann die Zugänglichkeit für Regionen und Städte verbessert werden? Gerade finden in vielen Ausschüssen die ersten Halbzeitbewertungen der Förderprogramme statt, die dann in die konzeptionelle Planung der neuen Förderperiode, für die der Regionalausschuss verantwortlich ist, einfließen werden.

Abstimmung im Kulturausschuss, 24.10.2023 Vasilis Katsardis

Auf unserer Fördermittelwebsite sind seit Oktober 2023 drei neue Tipps zu Förderung von Projekten aus den Bereichen Mobilität von Künstler*innen und Kulturschaffenden, Europäische Kooperationsprojekte im Bereich Kultur und zum Bundesteilhabepreis zu finden. Nordrhein-Westfalen unterstützt z. B. ab sofort (erste Antragsfrist 15.11.2023) mit „Europaschecks“ Vereine, Kultur- und Sporteinrichtungen, Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen sowie Städte, Kreise und Kommunen. Gefördert werden Projekte europäischen Engagements, die sich in vielfältiger Weise für die europäischen Werte in NRW einsetzen, die Demokratie in der Zivilgesellschaft und der Kommune stärken. 

Regionalpolitik II: Umbau Automobilindustrie – im Oktober im Ausschuss, im November im Plenum

Martina Michels im EP | Screenshot

In der Ausschusssitzung am 24. Oktober 2023 wurde der Initiativbericht zur „Neugestaltung des künftigen Rahmens der EU-Strukturfonds zur Unterstützung von Regionen, die besonders von den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Automobil-, grünen und digitalen Wandel betroffen sind“ angestimmt.
Wir haben schon lange gefordert, dass es einen Just Transition Fund/Fonds für einen gerechten Übergang nicht nur für Kohleregionen geben sollte, denn der Übergang zur grünen und digitalen Wirtschaft erfasst viel mehr Industriezweige als nur die Energiebasis. Und überall geht es um neuartige Produktion, gute Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven ganzer Regionen. Überdies schläft weder die asiatische Konkurrenz, noch sind die Investitionsschritte der USA für den industriellen Umbau als Herausforderung für Europa in den hiesigen politischen Entscheidungen wirklich angemessen verarbeitet. Daher empfehlen die Regionalpolitiker*innen im Europaparlament, den Just Transition Fonds nach 2027 weiterzuentwickeln, seinen Anwendungsbereich auf weitere Industriezweige auszuweiten und ihn dafür finanziell deutlich besser auszustatten.


Martina und Nora fassen mit Blick auf die Automobilindustrie entscheidende Fakten zusammen: 

„Die Automobilindustrie mit ihren angeschlossenen Industriezweigen wie Motorenbau, Ausrüstung, Reifenherstellung sowie zunehmend auch (digitale) Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Fahrzeugnutzung ist angesichts ihrer Bedeutung an vielen Standorten in der EU klar Kandidat für einen solchen Fonds: Die EU gehört zu den weltweit größten Herstellern von Kraftfahrzeugen. Die Automobilindustrie erwirtschaftet einen Umsatz von über 7 Prozent des EU-BIP, in bestimmten Regionen bis zu 25 Prozent des regionalen BIP. Auf sie entfallen mehr als 6 Prozent der europäischen Arbeitsplätze. In Zahlen ausgedrückt bietet sie direkte und indirekte Arbeitsplätze für 13,8 Millionen Beschäftigte und ist der größte private Investor in Forschung und Entwicklung in der EU. Von den rund 3.000 Unternehmen der Automobilbranche sind 2.500 kleine und mittelständische Unternehmen.“ 

Weiterführende Überlegungen findet ihr hier


Regionalpolitik III: Aufbau der Ukraine

Im Februar 2022 hatte die Ukraine die EU-Mitgliedschaft beantragt. Die Europäische Union hat der Ukraine langfristige Unterstützung gegen die Aggression Russlands sowie erhebliche Wiederaufbauhilfe nach dem Krieg zugesagt. In der Plenartagung am 17. Oktober 2023 genehmigte das Europaparlament die Fazilität zur Unterstützung der Erholung, des Wiederaufbaus und der Modernisierung der Ukraine. Ein 50 Milliarden Euro schweres Paket in Form von Zuschüssen, Krediten oder Kreditgarantien, die 2024 bis 2027 bereitgestellt werden, wenn Ungarn und die Slowakei ihre Blockadehaltung im Rat aufgeben.  

Drei Abgeordnete des REGI-Ausschusses trafen sich in der vergangenen Woche in Kiew mit Vertrer*innen der Regierung, aber vor allem auch Mitgliedern des Parlaments, regionalen und kommunalen Behörden und Parlamenten sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren, um den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg und den EU-Beitritt des Landes zu besprechen. Denn um den Wiederaufbau des Landes zu unterstützen, werden gezielte finanzielle Hilfe und eine enge Zusammenarbeit mit den Regionen der Ukraine notwendig sein. 

Der Regionalausschussvorsitzende, Younous Omarjee (THE LEFT / FR), sagte im Rahmen dieser Reise: 

„Obwohl die Aufmerksamkeit heute auf den Nahen Osten gerichtet ist, waren wir in der Ukraine, um dem ukrainischen Volk zu sagen, dass wir ihm nicht den Rücken kehren, weg von der Ukraine, von dem Krieg, der dort immer noch tobt, und dass unsere Unterstützung ungebrochen ist. […]“. 

Er bekräftigte auch die Unterstützung für Reformen in der Ukraine, etwa verstärkte Dezentralisierung, Transparenz, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption, was auch unsere Richtschnur für die Beitrittskandidatur begleiten wird. Wir finden den Schritt richtig, das Signal notwendig, das am 8. November 2023 erneut gestärkt wurde, wissend um den damit verbundenen längeren Prozess, der vor allem Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine wieder vollumfänglich herstellt.

Kalenderblatt: Vorgeschichte des 9. November 1938

Buchcover: Pogrom im Scheunenviertel (Karsten Krampitz)

Innerhalb der Plenartagung gab es eine Aussprache zum aktuellen Antisemitismus in Europa, der sich nicht erst seit der Eskalation des Nah-Ost-Konfliktes in unseren Gesellschaften austobt und auch bei weitem alles andere ist, als ein Export aus arabischen Gesellschaften.

Auch der Holocaust selbst hat seine Vorgeschichte im Jahrhunderte alten Antisemitismus der europäischen Gesellschaften, in Pogromen gegen Jüdinnen und Juden, die lange vor Hitlers Machtergreifung wüteten. Eines dieser historisch dunklen Stunden aus Berlin erfuhr in diesem Jahr mehrfache Beachtung: Das Pogrom vom 5. November 1923 im Scheunenviertel. In mehreren Lesungen und Gesprächen konnte der Autor Karsten Krampitz überdies sein gerade im Verbrecherverlag erschienenes Buch, „POGROM IM SCHEUNENVIERTEL. ANTISEMITISMUS IN DER WEIMARER REPUBLIK UND DIE BERLINER AUSSCHREITUNGEN 1923“, vorstellen, welches wir an dieser Stelle unbedingt empfehlen wollen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.