Martinas Woche 44 & 45 – 2018

Brüssel – Berlin – Bilbao: Europa vor Ort – Europas Linke in Brüssel und Bilbao – 9. November 1938

Ob Brüssel, Berlin oder Bilbao, in den letzten beiden Wochen standen strategische Debatten im Mittelpunkt vieler Treffen, wurde linke EU-Politik auf den Prüfstand gestellt, abgerechnet, Neues verworfen oder entworfen und sich die Karten gelegt. Die Zeitenwende, die mit dem Fall der Berliner Mauer markiert ist, verweist auf eine Zäsur in Europa, der politisch klar neoliberale Verträge folgten, andererseits gab es die lang ersehnte, doch kaum verarbeitete EU-Osterweiterung 2004. Der Krieg in Jugoslawien erschütterte Nachkriegsgewissheiten des friedlichen Zusammenlebens mitten in Europa und trotzdem ging die neoliberale Aufforstung und der sozialdemokratische Niedergang, vorerst mit Ausnahme Skandinaviens unvermindert weiter. Die gesellschaftliche Linke und sozialistische parteipolitische Projekte haben bis heute enorme Probleme, dauerhaft erkennbar und zum stabilen Machtfaktor in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu werden. Im Mai 2019 sind Europawahlen. Weder Konservative noch Liberale werden uns erzählen, dass sie schön so weiter machen wie bisher, auch wenn sie das in Teilen gern wollen. Es wird auf- und entsozialisierend umgerüstet und das weltweit, nicht nur in Europa. Gerade Regionen, die so eine hohe Wirtschaftskraft haben wie die EU müssten bei der Lösung der Herausforderungen im Zusammengang mit dem Klimawandel, der Migration und Digitalisierung vorangehen und soziale Gerechtigkeit und kooperatives Wirtschaften weltweit vorleben. Doch dies geschieht ganz sicher nicht, wenn die Linke keine konkreten Vorschläge für eine soziale, demokratische, ökologische, feministische und friedliche EU vorlegt, in der Bildungszugänge und Lebensperspektiven für alle greifbar werden.  

Europa vor Ort: Wie bringen wir uns politisch ein?

Roter Laden, Berlin Süd-Ost | Foto: Peter Cichorius

Am Montag, den 29. Oktober war Martina zu Gast im Roten Laden in Berlin Süd-Ost.

Kerstin Wolter moderierte die Frage, wie wir uns in Europas Zukunft einbringen können. Viel Skepsis überwog in der Debatte, ob man die Grundmauern der EU wirklich noch umbauen kann, ob es sich überhaupt lohnt, sich politisch einzubringen. Martina Michels begegnete den skeptischen Positionen vor allem mit dem Argument, dass die Rechten nicht so zögerlich seien, ihre rassistischen und nationalistischen Antworten auf die soziale und die Demokratiekrise der EU auf europäischer Ebene massiv und sichtbar vernetzt einzubringen. Will man denen das Feld überlassen, dann kann man der Europapolitik den Rücken kehren. Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler, auch der Linken, haben jedoch oft ganz andere Vorstellungen und Erwartungen und erwarten linke Einmischung, auch europapolitisch, mit scharfer Kritik im Gepäck, doch auch mit eigenständigen Projekten. Am Mittwoch, dem 30. Oktober war Martina dann zu einer Debatte in Berlin- Mitte. Hier wurde ganz munter über ein alternatives Europa diskutiert. Machen wir uns nichts vor, bei diesem Austausch geht es auch darum, wie wie in den Europawahlkampf gehen und Martina geht immer davon aus: Wir fangen hier wirklich nicht bei Null an. Wir haben schon einige Erfahrungen, nicht nur parlamentarisch, die wir unbedingt nutzen müssen, doch zugleich müssen wir Lust auf Veränderungen machen, wenn uns die EU nicht gefällt, wie sie ist. Und da kann man von einer Europäischen Arbeitslosenversicherung, über den Kampf gegen Aufrüstung und Abschottung, bis zu europäischen Mediatheken allerhand dicke Bretter bohren. Davor sollten wir wirklich keine Angst haben, denn es gibt schon die eine oder andere Erfahrung, dass es lohnt, sich Verbündete zu suchen und EU-Politik von Grund auf zu kritisieren und auch konkret besser zu machen.

Europäischer Salon III: Macht und Ohnmacht der Kommunen

Europäischer Salon | Foto: Peter Cichorius

Donnerstag, am 1. November, trafen der Bürgermeister von Frankfurt Oder, René Wilke mit Gerry Woop, dem Staaatsekretär für Europa im Land Berlin zusammen mit Martina Michels und Renate Eras, die unsere EU-Fördermittel-Website verantwortet. Knappe Kassen, Brexit, Förderstrukturen, Möglichkeiten, Fehlstellen, Politik in Brüssel, Berlin und Brandenburg, alles war auf dem Prüfstand und wurde in einer öffentlichen Podiumsrunde seziert. Wo klemmt es in den Kommunen, was fordern und bewegen die Länder, welche Herausforderungen muss Brüssel bewältigen, wenn Regionalpolitik zur Angleichung der Lebensbedingungen nachhaltig beitragen soll? Viel Stoff, viel politische Praxis, Stoff zum Weiter- und vor allem zum Zusammenarbeiten kam bei der Veranstaltung auf den Tisch.

Treffen Europäischer Parteien in Brüssel

Harald Wolf und Jörg Schindler, LINKE in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Nach weiteren Debatten in Sachsen-Anhalt und in Berlin, fuhr Martina am vergangenen Montag zurück nach Brüssel. Am Dienstag und Mittwoch stand dort ein besonderes Treffen auf dem Programm. Aus 19 Parteien waren Vertreterinnen und Vertreter angereist und diskutierten in der GUENGL, der linken Fraktion in Brüssel, was ist erreicht und wie geht es nach den Europawahlen weiter. So verschieden die Parteien in ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis sind, so deutlich wurde zugleich, dass man auf eine starke gemeinsame linke Fraktion setzt und bis auf die Zurückhaltung bei Podemos und bei France insoumise bekannten sich alle mit detailreichen Begründungen zur GUENGL, die mit ihrem konföderalen Charakter eine grundlegende Einladung zum Mitmachen bereithält. Trotzdem muss sie politisch verbindlicher und politisch erkennbarer werden, so dass es kein Geheimnis ist, dass man auch neue Arbeitsstrukturen ausprobieren sollte, um strategische Projekte zu identifizieren, die dann gemeinsam vorangebracht werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt, wie man so schön sagt, aber eine Linke, die sich gemütlich in ihrem Scheitern einrichtet udn dies geschieht durchaus an der einen oder anderen Stelle, die wird von Bürgerinnen und Bürgern nicht gebraucht. Letztlich müssen wir aus dem klaren Bekenntnis der Zusammenarbeit nun auch etwas machen.

Europäisches Forum in Bilbao

Hier konnten durchaus einige Gespräche, die in Brüssel begonnen hatten fortgesetzt werden, wenn auch hier viel mehr als die konkrete Zusammenarbeit im Europaparlament zu Debatte stand. Zum Europäischen Forum waren Stiftungen, wie Transform und auch sozialdemokratische und grüne Angeordnete gekommen, obwohl es nicht um ein strategisches Rot-Rot_Grün-Treffen ging, sondern tatsächlich im die gesellschaftliche Linke in Europa, deren Zustand nicht gerade zu Freudensprüngen reizt. Ein Rückgriff auf das Manifest von Ventotene, welches 1944 schon einmal eine andere EU entwarf, als wie sie heute kennen, stand genauso im Fokus der Debatten wie feministische und ökologische Fragestellungen. Das Forum muss aus seinem Gesprächskonkon heraus und wahrlich in den kommenden Monaten sichtbar werden. Das verabschiedete Manifest wird dafür nicht genügen.

9./10. November 1938 – Die Überlebenden sind nicht mehr lange für uns da

Yad Vashem, 2017 | GUENGL

Der 9. November ist in diesem Jahr mehrfach mit der europäischen Geschichte verbunden. Martina nahm in dieser Woche Stellung zum Kulturbruch des Holocaust.Mit den Progromnächten am 9. und 10. November 1938 schlug Antisemitismus wieder einmal in offene Gewalt um, eines der unfassbarsten Menschheitsverbrechen begann mit unübersehbarer Brutalität. “Die Abstraktion ist des Gedächtnisses innigster Feind … Wir selbst müssen uns immer wieder mahnend erinnern, dass der Holocaust nicht ‘6 Millionen‘ bedeutet. Er war Einer, und Einer, und Einer, und … ”, schrieb Judith Miller in „One, by One, by One Facing the Holocaust“ 1990.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.