Martinas Woche 43 – 2023

Abstimmung im Kulturausschuss, 24.10.2023 Vasilis Katsardis

Martinas Woche 43_2023: Kulturarbeit und Medienfreiheit – Chatkontrolle – Ratsgipfel

Kulturausschuss – Chatkontrolle – Europäischer Rat zur EU-Investitionspolitik, zum Kampf gegen Armut sowie zu Asyl und Migration

Martina Michels, Konstanze Kriese

Viel Regen und herbstlich-kühle Temperaturen begleiteten die Ausschusswoche in Brüssel nach den zwei Plenarwochen im Oktober in Straßburg. Wir berichten heute umfänglich vom Kulturausschuss, der auch während der Plenarwochen aktiv war und aus dem Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, der sich einmal mehr zur geplanten Chatkontrolle verständigte. Am 26. und 27. Oktober 2023 war dann, wie so oft, die halbe Brüsseler Innenstadt gesperrt, weil der Europäische Rat tagte und sich u. a. zur EU-Investitionspolitik sowie zu Asyl und Migration verständigen wollte.

© European Union | Foto: Daina Le Lardic

Fehlanzeigen: EU-Investitionsoffensive – Armutsbekämpfung – Migrationspakt

„Der Europäische Rat will angeblich die europäische Wirtschaft stärken. Nur wie er das machen will, bleibt völlig im Dunkeln. Für dieses Ziel muss die EU eine riesige Investitionsoffensive starten. Die USA machen es mit ihrem Anti-Inflationspaket über 370 Milliarden Dollar vor. Die zehn Milliarden Euro frisches Geld mit der „Plattform für strategische Technologien‘ der EU-Kommission sind dagegen ein Tropfen auf den heißen Stein.“,

argumentiert Martin Schirdewan angesichts des Treffens des Europäischen Rates am Donnerstag und Freitag in Brüssel, wo sich um eine europäische Antwort auf den industriepolitischen Turbo der US-Wirtschaft gekümmert werden sollte. Doch nicht nur das bleibt eine empfindliche Lehrstelle europäischer Politik. Deutschlands Finanzminister drängelt mit seiner wirtschaftspolitisch unsinnigen Schuldenbremse auch in der EU erneut auf die Verhinderung von nötigen Investitionen, die am Ende auch den sozialen und ökologischen Wandel in Gang bringen könnten. Dies wäre für die nötige Armutsbekämpfung ebenso dringend, denn fehlender sozialer Ausgleich nagt an jeder Zukunftsfähigkeit in unseren Gesellschaften, am Vertrauen, große Herausforderungen gemeinsam zu stemmen. Am Ende schadet eine solche Politik auch dem demokratischen Dialog, dem Zusammenhalt aller.

Die Abgründe der derzeitigen Weichenstellungen in der EU-Politik auf der Ebene des Europäischen Rates sind damit noch nicht einmal ausgeschritten. Zur Investitionsbremse kommen Vereinbarungen in der EU-Migrationspolitik hinzu, die einem Verrat der europäischen Werte gleichkommen. Martin Schirdewan sagt dazu klipp und klar:

„Mit der geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS – die Red.)machen sich die Staats- und Regierungschef*innen, inklusive Kanzler Scholz, zu willigen Handlangern der Rechten. Die EU verletzt Menschenrechte und schafft das Recht auf Asyl faktisch ab. Statt eines unmenschlichen Asyl- und Migrationspakets fordere ich einen Menschenrechtspakt, der das individuelle Recht auf Asyl schützt, sichere Wege und faire Verfahren für Menschen in Not garantiert und Schutzsuchende solidarisch in der EU verteilt.“         

Kulturausschuss I: Abstimmung über eine zukünftige Gesetzesinitiative zur Lage der Beschäftigten im Kultursektor

Abstimmung des Berichts zur Lage der Kulturproduzent*innen, 24.10.2023 | Foto: Konstanze Kriese

Der schöne Bericht hat den vollständigen Namen „Bericht über einen EU-Rahmen für die soziale und berufliche Situation von Künstlern und Arbeitnehmern im Kultur- und Kreativsektor“ und ist schon einen Schritt weiter als der klassische Initiativbericht, der den großen Problemaufriss unternimmt und den gesetzlichen Regelungsbedarf überhaupt erst einmal anmahnt. Dies ist im Falle der wirklich komplizierten Beschäftigungssituation in der Kultur- und Kreativbranche längst geschehen, erinnert sei hier an einen gemeinsamen Bericht des Industrie- und Kulturausschusses aus dem Jahres 2017, bei dem Martina ebenfalls Schattenberichterstatterin für die linke Fraktion war. Diesmal haben sich wieder zwei Ausschüsse zusammengesetzt: der Ausschuss für Beschäftigung und Soziales, EMPL, und der Kulturausschuss, CULT. Mit 43 Stimmen bei fünf Gegenstimmen und drei Enthaltungen wurde dem Vorschlag, einen EU-Rahmen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Fachkräften im Kultur- und Kreativsektor (CCS-Fachkräfte) zu entwickeln, in der letzten Woche am Montag zugestimmt. Die Schaffung eines EU-Rahmens wurde schon 2021 vom Parlament gefordert.

Nun ist das Bild klarer und die Kommission soll eine

  • Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Kulturproduzent*innen vorlegen, bei der die faire Entlohnung und gute Arbeit in der Branche im Mittelpunkt stehen.
  • Dabei sollen positive EU- Besitzstände nicht zerstört werden und in Ergänzung soll ein Mechanismus für die strukturierte Zusammenarbeit und den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten entstehen, unter anderem durch eine neue europäische Plattform zur sozialen und beruflichen Situation der im Kultur-und Kreativbereich Beschäftigten. Letztlich geht es um die Sicherung von Qualitätsstandards hinsichtlich des Status und der Situation der Beschäftigten.
  • Der Bericht äußert sich mit konkreten Vorschlägen zum Status von Künstlern, zur grenzüberschreitende Mobilität, zur fairen Vergütung, zu Praktiken und Finanzierung, einschließlich der Auswirkungen von Zwangsübernahmeverträgen auf den Lebensunterhalt europäischer Urheber, zur Rolle der Sozialpartner und zu Tarifverhandlungen, zur Bildung, zu Ausbildungsmöglichkeiten und zur beruflichen Weiterentwicklung; zur Geschlechtergleichstellung und zu Maßnahmen gegen Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz, zur Sicherung der künstlerischen Freiheit, zu den digitalen Herausforderungen, einschließlich der Herausforderungen durch generative KI-Systeme.

In dem Bericht wird die Kommission aufgefordert, dafür zu sorgen, dass in Unionsprogrammen eine soziale Konditionalität für Kulturberufe eingeführt wird, einschließlich der Verpflichtung, dass Künstler*innen und in der Kultur Beschäftigte angemessen zu entlohnen sind. Das Parlament wird im November 2023 in Straßburg über diesen Bericht abstimmen und die Kommission muss innerhalb von drei Monaten auf den Bericht reagieren.

Kulturausschuss II: Umsetzung des Programms des Europäischen Solidaritätskorps 2021–2027

Im vergangenen Kulturausschuss wurde ein weiterer Bericht abgestimmt, die „Umsetzung des Programms des Europäischen Solidaritätskorps 2021–2027“, das Europäische Freiwilligen-Programm, dem wir bei seiner Einrichtung 2018/19 die Stimme verweigerten, weil nicht ausgeschlossen wurde, dass mit der ehrenamtlichen Freiwilligen-Arbeit auch Arbeitskräfte tendenziell ersetzt werden konnten, zum Beispiel in der Pflege. Nun wurde Bilanz gezogen. Zuerst soll es mit solch einem Programm darum gehen, Möglichkeiten für junge Menschen zu schaffen, sich ehrenamtlich zu engagieren und in solidarischen Projekten zu arbeiten, bis hin zu Hilfseinsätze in humanitären Projekten.

Trotz des Mangels an quantitativen Daten wurde eingeschätzt, dass das Programm seine Ziele erreicht. Insbesondere unterstützt das Programm junger Menschen, die geringe Chancen haben, irgendwo in die Ausbildung einzusteigen. Es hat damit tatsächlich einen ausgeprägten inklusive Charakter entwickelt. Doch die Funktionsweise digitaler Instrumente und die sprachliche Unterstützung der Teilnehmer*innen, einschließlich der Anerkennung ihrer Lernergebnissen aus ehrenamtlicher Tätigkeit muss verbessert werden.

Der Bericht schlägt vor, die Sichtbarkeit und das Budget des Programms zu stärken, der Finanzrahmen für die Umsetzung des Programms – bisher 1,009 Milliarden Euro (2021-2027) sollte künftig mindestens verdoppelt werden. Schließlich fordert der Bericht die Schaffung einer speziellen Visumkategorie für Nicht-Schengen-Teilnehmer*innen, um neue Formen der Freiwilligenarbeit zu erkunden.

Kulturausschuss III: Europäischer Bildungsraum bis 2025 – Halbzeitüberprüfung

Miro-Plakat aus dem Spanischen Bürgerkrieg

Am 10. Oktober 2023 veranstalteten das Europaparlament zusammen mit der Europäischen Kommission eine Aussprache über den Stand der Schaffung eines Europäischen Bildungsraumes, der bis 2025 entstehen soll. Das dahinter schlummernde Problem kommt uns aus der deutschen Perspektive bekannt vor. Die Bildungskooperation zwischen den Bundesländern ist ebenfalls keine leichte Übung. Ähnliches erleben wir in der EU, in der Bildungspolitik einerseits in der Hoheit der Mitgliedsstaaten liegt, andererseits Vernetzung, Mobilität, ein Dialog über europäische Geschichte und moderne Herausforderungen an inklusive Bildung, der Zugang zu weltweiten Wissensbeständen, die Anforderungen an interkulturelle und demokratischer Bildungsinstitutionen durchaus in einem großen europäischen Rahmen gleichermaßen von Belang sind. Nach der Eröffnung durch die Parlamentspräsidentin Metsola und den Auftakt durch die Ausschussvorsitzende Sabine Verheyen, sprach in neuer Funktion die Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend Iliana Ivanova, die zugleich darauf setzte, dass sie den Europäischen Bildungsraum gemeinsam mit ihren anderen Kommissionskolleginnen und -kollegen im Auge habe.

In vier Panels beteiligten sich die Mitglieder des Kulturausschusses und setzten dabei auf Programme wie das EP-Schulbotschafterprogramm und Euroscola, die schon grundsätzlich die europäische Vernetzung der Bildung im Blick haben. Ilana Cicurel von Renew setzte besonders auf die Unterstützung von Lehrkräften als Schlüsselakteure für den europäischen Bildungsraum, ein Fokus, der auch im geltenden Erasmus+-Programm stärker als in den Vorgängerprogrammen funktioniert. Mehr Mobilität verbessert sowohl die berufliche Entwicklung von Lehrerinnen und Lehrer und bietet auch Möglichkeiten, dem Lehrer*innenmangel entgegenzuwirken. Marcos Ros Sempere von S&D stellte Bildungsgerechtigkeit und Inklusion in den Mittelpunkt einer zukunftsfähigen Bildungspolitik, einen Ansatz, den wir vollumfänglich teilen.

Last but not least stand die Dauerprobleme der Anerkennung der Bildungsabschlüsse und auch der Anerkennung von Auslandsaufenthalten erneut in der Diskussion.

Kulturausschuss IV: Meinungsaustausch über die Europäische Kulturhauptstadt Veszprém-Balaton 2023

Europasignet am Plenarsaal | Foto: Komstanze Kriese

Nicht einmal die Kulturausschussmitglieder schafften es, zumindest gemeinsam, die lebenswerteste Stadt Ungarns, die 2019 den Titel UNESCO-Musikstadt erhielt, zu besuchen. Dabei gehörte das kleine, 60.000 Einwohner*innen zählende Städtchen Veszprém-Balaton zu den Kulturhauptstädten Europas in diesem Jahr. Alíz Markovits. Chefin, und Frederika Mike, Programmdirektorin des Hauptstadtprogramms von Veszprém-Balaton, wurden deshalb zu einem Austausch in den Kulturausschuss eingeladen. Das Projekt Kulturhauptstadt Europas 2023 umfasst die größere Region Bakony-Balaton mit 450.000 Einwohnern, in der 116 Kommunen zusammenarbeiten. So schwierig das eingangs erschien, ist nun der Effekt entstanden, dass eine Zusammenarbeit beim kulturellen Austausch auch über das Hauptstadtjahr 2023 hinaus absolut lohnenswert ist. Wer nun dachte, dass hier die EU den Anstoß gab, kann das so sehen, doch die Realitäten der Finanzierung bringen ans Tageslicht, dass sich die ungarische Regierung mit 90% Prozent die Kommunen mit 5 Prozent und die EU ebenfalls mit 5 Prozent der Mittel an diesem neuen Zusammenwachsen beteiligte. Mit 175 Millionen Euro wurden 542 Projekte initiiert, die in über 3.000 Veranstaltungen bekannt gemacht wurden. Der Vorlauf dieser Fülle an kulturellem Leben begann bereits im Jahr 2020 und als Ziel der ganzen Unternehmung sollte es darum gehen, die Region Bakony-Balaton zur ersten ländlichen Kreativregion Europas zu machen. Veszprém stand dabei als eine Art Kraftwerk im Mittelpunkt der Organisation. Doch schauen wir nüchtern auf die Jahreszahlen: die Pandemie sowie der Anstieg der Energiepreise setzten der Kulturbranche besonders zu. Hier verlässliche Strukturen und Vertrauen über das Krisenmanagements hinaus zu schaffen, war eine besondere Aufgabe. Die Programmverantwortlichen hoben hervor, dass die EU ihren Einsatz für das Europäische Kulturerbe längst nicht ausgeschöpft hat. Über diesen Austausch hinaus trug dann ein Dialog zur Zukunft des Programms „Kulturhauptstädte Europas“ bei, der mit Vertreter*innen vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Kulturhauptstädte Europas geführt wurde. Immerhin gibt es das Programm seit nunmehr 38 Jahren und 60 Städte und Gemeinden konnten sich „Kulturhauptstadt Europas“ nennen, wobei die kritische Schlagseite zum Städtemarketing, die bisweilen vorbei an den lokalen Kulturszenen inszeniert wurde, bis heute in der Diskussion ist. Die derzeitige Rechtsgrundlage läuft im Jahr 2025 aus und die Kommission steht vor der Aufgabe, eine neue zu erarbeiten.

Im Austausch wurden dafür folgende Hinweise hervorgehoben:

  1. Das Europäische Kulturhauptstadt-Programm (ECOC) sieht in der Kultur einen entscheidenden Motor für lokale Veränderungen. Insbesondere der Austausch, der Perspektivwechsel ist dabei ein Plus, um Vertrautes und Neues zu schätzen.
  2. Die Kommission sollte einen Pool unabhängiger Expert*innen aufbauen, um Kulturhauptstadt-Kandidaten bei der Bewerbung zu beraten.
  3. Die künftige Rechtsgrundlage soll nicht erweitert werden, sondern sowohl die europäische Dimension stärken als auch die EU auf lokaler Ebene sichtbarer machen.
  4. Es sollte ein EU-finanzierter Fördermechanismus für Kulturhauptstädte eingerichtet werden, um die Sichtbarkeit des Hauptstadt-Programm selbst zu verbessern. Daran sollen das Haus der Europäischen Geschichte sowie die europäischen Medien stärker beteiligt werden.
  5. Die Vernetzung zwischen früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Kulturhauptstädten sollte formalisiert, die Zusammenarbeit und der Austausch bewährter Verfahren gefördert werden.
  6. Die frühzeitige Verfügbarkeit von Finanzmitteln für Kulturhauptstädte muss gesichert werden.
  7. Der finanzielle Beitrag der EU in Form des Melina-Mercouri-Preises, finanziert aus dem Creative Europe Programm (1,5 Mio. EUR pro ausgezeichneter Kulturhauptstadt Europas), wurde eher als symbolische Förderung empfunden und sollte nach oben korrigiert werden.

Kulturausschuss V: Bericht über den Trilog zum Medienfreiheitsgesetz (EMFA)

Der erste Trilog zwischen dem Parlament, der Kommission und den Vertreter*innen des Europäischen Rates fand am 19. Oktober 2023 in Straßburg statt. Sabine Verheyen, Ausschussvorsitzende und zugleich auch Berichterstatterin für den Medienfreiheitsakt, erinnerte daran, dass das Parlament an der durchaus schwierigen Vorlage der Kommission in Rekordzeit gearbeitet hat und am 3. Oktober 2023 mit 448 Ja-Stimmen, 102 Nein-Stimmen und 75 Enthaltungen seine Positionen im Plenum verabschiedet hatte. 295 Änderungsanträge bringt das Parlament damit gegenüber dem Kommissionsvorschlag in die Verhandlungen ein. Im ersten Trilog hat das Team der Europaabgeordneten nochmal seine Prioritäten verteidigt. Zuallererst muss es um die Wahrung eines Gleichgewichts zwischen nationalen und Unionskompetenzen in Bezug auf Medienpluralismus und -unabhängigkeit bei gleichzeitiger Gewährleistung der kulturellen Vielfalt gehen. Zweitens sind Erfahrungen und Übereinstimmungen zu den Festlegungen aus der Audio-Visuellen Mediendienste-Richtlinie nicht einfach zu überschreiben. Zum Dritten müssen die unabhängige Funktionsweise und die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medienanbieter gesichert werden. Dies korrespondiert zugleich, viertens, mit der Gewährleistung der vollständigen Unabhängigkeit des European Board for Media Services, welches die ERGA, die bisherige Europäische Medienaufsicht, ersetzen soll. Fünftens müssen mit dem Medienfreiheitsakt die Verhältnisse zwischen Mediendienstleistern und sehr großen Online-Plattformen einerseits und der Schutz von Medieninhalten und der redaktionellen Unabhängigkeit andererseits geregelt sein. Letztlich brauchen wir einen tragfähigen Gesetzestext, der „den Medienpluralismus und die Lebensfähigkeit, die Widerstandsfähigkeit und die digitale Transformation des Mediensektors unterstützt“, so Verheyen.

Damoklesschwert: anlasslose umfassende Chatkontrolle

Cornelia Ernst im Plenum

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte der von Innenministern gewünschten „Massenüberwachung“ aller Bürgerinnen und Bürger, dass ein furchtbares Delikt, die sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Kindern, aufgerufen wird, um etwas gänzlich Untaugliches zu installieren, was der Tatverfolgung und strafrechtlichen Ahndung solcher Verbrechen keinen erkennbaren Schritt weiterhilft. Doch andererseits werden Grundrechte aller angegriffen. Cornelia Ernst schreibt deshalb nach der Anhörung der EU-Kommissarin Johannson zur sogenannten Chat-Kontrolle-Verordnung:

„Die Verordnung zum Schutz gegen die Darstellung von sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet, den die EU-Kommission vorgeschlagen hat, ist ein Instrument zur Massenüberwachung von uns allen. Jegliche Kommunikation im Internet, also alle Nachrichten in den sozialen Medien, in Chats und auf Webseiten sollen zukünftig überprüft werden. Diese sogenannte ‚Chatkontrolle‘ würde Anbietern von Chat-Apps dazu verpflichten, alle Nachrichten mit einem KI-Tool zu scannen, obwohl niemand genau weiß, wie diese funktionieren. Das Missbrauchspotential ist gewaltig, Unschuldige werden so gefährdet und Berufsgeheimnisse bedroht. Schon jetzt fordert Europol den unbeschränkten Zugang zu allen Daten der Chatkontrolle – ohne zu filtern. Hier wird der Kinderschutz für Massenüberwachung missbraucht!“

Ein weiteres Problem bleibt intransparent und unbeantwortet, so konstatierte unsere datenschutzpolitische Sprecherin:

„Für die Chatkontrolle werden KI-Tools wie ‚Safer‘ von Thorn oder ‚PhotoDNA‘ von Microsoft gebraucht. Die Vorschläge der Kommission würden zu einer Gelddruckmaschine für diese Tech-Giganten. Eine Recherche von mehreren europäischen Medien deckte zuletzt ein viel größeres Netzwerk auf, das an der Chatkontrolle verdienen würde – und das in enger Verbindung zu Ursula von der Leyen und Kommissarin Johansson steht.“

Und damit stehen ungeklärte Interessenkonflikte im Raum, die unabhängig und vor der Weiterbearbeitung der Verordnung geklärt werden müssen. Die Anhörung selbst identifizierte zwar alle Probleme, aber sie trug dann eher zur weiteren Verunsicherung als zur Klärung bei.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.