Martinas Woche 41 – 2020: Europaparlament zwischen zwei Ratstagungen

Martina Michels, Konstanze Kriese

Klimapolitik – Finanzaufsicht – Bergkarabach – Medienfreiheit – Künstliche Intelligenz – Europa vor Ort – Griechenland – Antifaschismus

Martina reiste am Montag zum Plenum nach Brüssel. Das ist derzeit alles andere als eine Normalität, denn der Tanz mit Corona ist noch lange nicht vorbei. Die meisten Kolleg*innen arbeiten weiterhin aus dem Homeoffice, erledigen viele Begegnungen in Video-Konferenzen. Derzeit ist wohl wieder mehr der Hammer gefragt, denn – nicht nur europaweit – steigen wieder die Infektionszahlen, steht das Personal im Gesundheitswesen vor unklaren Aufgaben, egal wieviel Intensivbetten freigeräumt werden können.

Vizekommissar Schinas zu Gast in der Fraktion, 6.10.20 | Foto: GUE/NGL PRESS_UNIT

Trump überrascht im Wahlkampfmodus, indem er mit seiner gut betreuten Covid19-Genesung prahlt und weiter die internationale Zusammenarbeit auch bei der Pandemie für so ziemlich das Überflüssigste hält, was seiner Meinung nach politisch geboten sei. Und obwohl seine Wähler*innenbasis bröckelt, wie Stanley Greenberg für das IPG-Journal erläutert, heißt dies noch lange nicht, dass er die Wahl nicht erneut gewinnen kann.

Inwiefern Europa für viele globale Konflikte die kooperativeren Lösungen zu präsentieren weiß, steht leider auch bisweilen in den Sternen, denken wir an die Asylpolitik der EU, zu deren Erläuterung der Vizepräsident der Kommission Margaritas Schinas am Dienstag in die Fraktionssitzung eingeladen war, und den Klimawandel und die unnötige Aufrüstung, die nicht nur Ressourcen bindet, die an anderen Stellen dringend gebraucht würden.

Nach der Abstimmung zum EU-Klimagesetz, 7.10.2020 | Foto: Nora Schüttpelz

In der vergangenen Woche hat das Parlament immerhin ein EU-Klimagesetz verabschiedet, doch es hat einen allbekannten Pferdefuss, weil sich die Erdgabslobbyisten wieder durchsetzen konnten. Weiterhin verständigte sich das Parlament zu vielen außenpolitischen Fragen, wie zur Lage in Belarus und in Bergkarabach und arbeitete im Hintergrund des Plenums an den Verhandlungen zu den Programmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027, so gleich am Montag zum Just Transition Fonds.

Das Europäische Highlight der Woche ist in jedem Fall, dass die Führung der Goldenen Morgenröte in den Knast wandert. Dieses Urteil gegen die rechtsradikale Bande wurde mit Spannung erwartet und von Athen aus von unserem Vizepräsidenten und Fraktionskollegen Papadimoulis kommentiert.

Der deutsche WireCard-Skandal hat einen europäischen Rattenschwanz

Martin Schirdewan vorm Pressezentrum des Europaparlaments | Foto: GUE/NGL PRESS-UNIT

„Der Wirecard-Skandal ist eine Ansammlung von Versäumnissen der deutschen Finanzaufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfung. Aber, es ist auch ein politischer Skandal: Wirecard hielt stetigen Kontakt auf höchster Ebene zur Bundesregierung. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) haben noch viele offene Fragen zu beantworten. Gleichermaßen gab es auf EU-Ebene Mängel: Es muss ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der Aufsichtsbehörden in die Lage versetzt, diesen Herausforderungen künftig angemessen zu begegnen. Wirtschaftsprüfer*innen müssen von der EU überprüft und die EU-Richtlinie zur Abschlussprüfung überarbeitet werden. Die innigen Beziehungen zwischen Wirtschaftsprüfung und den von ihnen geprüften Unternehmen müssen ein Ende finden.“, fasste Martin Schirdewan die Problemlage zusammen, bevor er in der Debatte des Parlaments am Mittag nachmittags das Wort ergriff. Der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis hat im angesichts dieses Milliardenbetrugs festgehalten, dass es ein EU-weites Regelbuch bald geben soll und nun bis Ende des Jahres ein Vorschlag auf dem Tisch liegen soll.

Berg Karabach – Martina fordert das Plenum und den Europäischen Rat auf, ihre Verantwortung ernst zu nehmen

Am Mittwoch vormittag gab es eine Aussprache zur Lage in Berg Karabach. Am Wochenende zuvor, waren die Kämpfe, die Aserbaidschan auch mit Hilfe syrischer Söldner im Dienste Erdogans führt, auf beiden Seiten eskaliert. Auch Armenien bekämpfte weitere aserbaidschanische Städte außerhalb der umstrittenen Enklave. Die Waffenlieferanten beider Kontrahenten haben sich neben Russland auf beiden Seiten und der Türkei an der Seite Aserbaidschans um Israel erweitert. Drohnen gegen Öl, so könnte man den Handel zwischen Aserbaidschan und Israel auf militärischem Gebiet zusammenfassen. Martina legte in der aktuellen Debatte ihren Fokus auf die Verantwortung der EU-Institutionen und ließ die linke Jugend Aserbaidschans sprechen, die schon Ende September einen beachtlichen Friedensappell gestartet hatte, der vor allem auf das Grundübel solcher Langzeitkonflikte verwies: Nationalismus und Hass, der immer erneut in der Gesellschaft gelehrt, anerzogen und gesät wird, auch wenn keine Kampfhandlungen stattfinden und die Diplomatie wieder die Oberhand hat, wie Özlem Demirel zurecht fordert. Hier findet ihr Martinas Parlamentsrede.

DIe rechtsradikale Goldene Morgenröte Griechenlands wird verurteilt

Dimitrios Papadimoulis, Martinas Fraktionskollege von Syriza und Vizepräsident des Europäischen Parlaments sprach am Mittwoch in Athen vor dem Gerichtsgebäude von einer historischen Entscheidung. „Heute ist ein guter Tag für Demokratie und Gerechtigkeit. Der Kampf gegen die Entwurzelung von Nationalsozialismus und Faschismus geht weiter “. Nach jahrelangen Anhörungen und Gerichtsverfahren hat das griechische Justizsystem die Führung der Neonazi-Partei Golden Dawn ihrer unmenschlichen Taten für schuldig befunden. Dazu gehörte der Mord an Pavlos Fyssas, einem 34-jährigen Rapper und antirassistischen Aktivisten, der 2013 in Athen erstochen wurde.

Viele jubelten und weinten vor Freude nach dem Urteil, darunter auch Fyssas Mutter. Und auch in Brüssel haben wir diesen Befreiungsschlag vorm Parlament gemacht.

Berlin: Europäische Politik in Schulprojekten

Jörg Bochmann in der Evangelischen Schule | Foto: Peter Cichorius

Während in Brüssel das Plenum tagte, viele Abstimmungen absolviert wurden, war unser Berliner Kollege Jörg Bochmann in der Evangelischen Schule in Berlin zu Gast, gemeinsam mit einer Kollegin aus dem Büro der sozialdemokratischen Abgeordneten Gabriele Bischoff.  Die EuroSoc#Digital gGmbH entwickelt zusammen mit Schülerinnen und Schülern Projekttage zu Europäischer Politik, bei denen sie selbst politische Lösungen zu Konflikten und Herausforderungen formulieren müssen. Dabei steht dann letztlich auch im Fokus, wie Europäische Politik funktioniert, was ein Ausschuss macht, das Plenum, die Kommission oder wie der Europäische Rat entscheidet und wie transparent und demokratisch die Zusammenarbeit läuft. Die Neugierde war wie immer riesig: Regionalpolitik, Flüchtlingspolitik,  Nachhaltigkeit, zu allem querbeet wollten die jungen Leute Antworten und Positionen, Hintergrundwissen und kritische Einschätzungen. Jörg fühlte sich in seiner neuen Rolle als Vertreter eines Berliner Büros einer Europaabgeordneten sichtlich wohl und arbeitete mit Schülerinnen und Schülern manch ungelöstes Problem auf, was zugleich bewirkte, dass auch die Schülerinnen und Schüler es für wichtig hielten, sich politisch einzumischen.

Künstliche Intelligenz: 2. AI Alliance Assembly tagt einen Tag im Netz

Screenshot der Veranstaltung | Foto: Konstanze Kriese

Am Freitag traf sich die 2. „AI Alliance Assembly 2020“. Politik, Gewerkschaften, Wissenschaftlerinnen, Datenschutz- und Grundrechte-NGOs redeten über die beiden Schlummerkissen des Weißbuchs der Kommission zur Künstlichen Intelligenz: Vormittags: Exzellenz & Nachmittags: Vertrauen. Oder anders gesagt: Es ging um Europas Innovationspotentiale, die bei der Spracherkennung & vor allem Deutung unbestritten sind. Nachmittags sollten eher die Probleme der Regulation des Hochrisiko-Bereichs auf dem Tisch, denn wir sind ja nicht zuerst zu schützende Verbraucher*innen von selbst fahrenden Autos, sondern Bürger*innen, die nicht ungefragt von Cambridge analytics in sozialen Netzwerken eingewickelt werden wollen, z. B. wenn wir politische Entscheidungen treffen. Die eingeladenen Forscher*innen und jungen StartUp-Chefs warfen die gründlih Splittung des Tages sofort über den Haufen. Klar, sagten sie, können wir uns gegenüber der Politik auf den Standpunkt zurückziehen: „Gebt uns die Kohle, wir machen das schon“. Doch sie nahmen selbst die Fragen der Ethik, die kritischen Punkte des Weißbuches der Kommission, sich zu strikt nur auf Hochrisiko-Bereiche zu fokussieren, in die ganztägige Debatte. Am Nachmittag wurde auch der Bildungs- und Kompetenz-Aspekt in allen öffentlichen Einrichtungen stärker hervor gearbeitet. Es geht nicht um kleine Forschungsgemeinden, Nerds und Spinner, sondern darum, wie die ganze Gesellschaft versteht, Regulationen für neue Technologien zu verstehen, einzufordern und letztlich mit ihr sinnvoll umgehen zu können. Konstanze Kriese hat für uns den Tag verfolgt und kommt in die kommenden Debatten um Künstliche Intelligenz in Kultur, Medien und Bildung mit frischem Gepäck, denn derzeit arbeitet Martina dazu im Kulturausschusss als Schattenberichterstatterin

Unsere Fraktion wird zum 3. Mal den, nach Daphne Caruana Galizia, benannten Medienpreis vergeben

Foto: GUE/NGL PRESS-UNIT

Der Preis für „Journalisten, Whistleblower und Verteidiger des Rechts auf Information“ wird nächsten Mittwoch, am 14. Oktober, in einer hybriden Zeremonie im Europäischen Parlament in Brüssel vergeben. Auch der diesjährige Preis ist Einzelpersonen oder Gruppen gewidmet, die eingeschüchtert oder verfolgt wurden, weil sie die Wahrheit aufgedeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Am 16. Oktober ist es 3 Jahre her, dass die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet wurde.  In diesem Jahr wird der Preis Dr. Li Wenliang gewidmet sein, dem chinesischen Augenarzt, der der Welt zuerst die Schwere des Ausbruchs des Coronavirus offenbarte, später jedoch im Krankenhaus in Wuhan starb. Die Zeremonie im EU-Parlament wird am kommenden Mittwoch von 10:30 bis 11:30 Uhr MEZ live übertragen. (Interpretationen in EN, DE, FR, EL, ES, PT und CS).

Die sechs Nominierten sind:

Chelsea Manning, Whistleblowerin, 

Glenn Greenwald, Kampagnenjournalist und Autor,

Eileen Chubb, Whistleblowerin für Missbrauch in britischen Pflegeheimen,

Omar Rojas Bolaños, kolumbianischer Whistleblower

Griechenlands Novartis, Whistleblower

und die Plattform Correctiv, non-profit investigators, die den cum-ex Skandal aufdeckten.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.