Martinas Woche 38 – 2022

Parlamentsgebäude in Straßburg | Foto: Konstanze Kriese

Martina Michels, Konstanze Kriese

In der Energiekrise erklärt die Kommission den Markt zur heiligen Kuh

Plenum – Energiekrise – Mindestlohn – Europäisches Bauhaus – 8. Kohäsionsbericht – FastCare – ManiFiesta

In der vergangenen Woche tagten die Abgeordneten in Straßburg. Natürlich standen die Lösungsangebote der europäischen Politik in der Energiepreiskrise auf dem Programm und mit Spannung wurden nicht nur die gesonderte Debatte dazu erwartet, sondern auch die Rede der Kommissionspräsidenten von der Leyen und die anschließende Aussprache. Einmal im Jahr, immer im September, spricht die Kommissionspräsidentin zur Lage der EU. Doch diesmal fragte man sich ernsthaft, ob die Kommission überhaupt annähernd dem Ernst der Lage gewachsen ist.

Die Büros lauschen der Rede zur Lage der Union | Foto: Konstanze Kriese

Rede und Aussprache zur Lage der Europäischen Union

Die Ankündigungen zur Energiekrise von Ursula von der Leyen blieben vage. Wie die EU zu einem Ende des Krieges in der Ukraine beitragen kann, erfuhren wir nicht, auch wenn viel humanitäre Hilfe geleistet wird und die Solidarität mit den Opfern des Krieges in der Ukraine ungebrochen ist. Warum die EU-Kommission zum Konflikt in Aserbaidschan schweigt, kann man sich zwar denken, nachdem die große Energiepartnerschaft in Baku gefeiert wurde. Doch diese Politik der Doppelstandards, wenn dies mit den gemeinschaftlichen Sanktionen gegen Russland verglichen wird, die langfristig wirken, liegt dann doch wie ein Schatten über dem letzten großen Abschnitt ihrer Rede. Sie galt der Demokratie und dem Erhalt des Rechtsstaates und war ganz sicher auch an Ungarn und Polen gerichtet. Doch in der Nachbarschafts-, Wirtschafts- und Energiepolitik – beispielsweise gegenüber Aserbaidschan, das erneut Armenien massiv militärisch angriff – gelten dieselben Standards.

Unsere Co-Fraktionsvorsitzende, Manon Aubry, griff dann die Kommissionspräsidentin in der Aussprache entsprechend an und mahnte an, dass die Krisendynamik nicht allein aus dem Krieg in der Ukraine entspringt: “Unser Planet brennt, die Bürger werden aufgefordert, ihr WLAN auszuschalten, und die Europäische Kommission besteht darauf, Milch und Fleisch aus dem mehr als 19.000 km entfernten Neuseeland zu importieren.” Zu den mutlosen Ankündigungen in der Energiepolitik sagte Manon: „Auf dem Energiemarkt haben wir gesehen, wie die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu Beginn ihrer Amtszeit die Tugenden des Marktes feierte. Das Ergebnis sehen wir heute: eine unhaltbare Situation, die allein die Krise dieses Systems verdeutlicht. Kleine Kosmetik wird nicht ausreichen: Die Preise müssen auf dem Vorkrisenniveau eingefroren werden und die Energie muss unter öffentlicher Kontrolle stehen. Denn es ist ein Gemeingut wie Wasser, Gesundheit, Natur und alles, was wir zum Leben brauchen.“

Plenardebatte zum 8. Kohäsionsbericht entwickelte sich auch zur Debatte um die Regulierung der Energiemärkte

Foto: LEFT-GROUP_PRESS UNIT

Martina stellte in ihrer Rede Grundsatzfragen, die darauf zielten, dass die europäische Regionalpolitik nicht immer genutzt werden kann, um Reparaturen an politischen Schieflagen in Schlüsselbereichen, wie zum Beispiel der Energiepolitik, aufzufangen. Deshalb sagte sie in ihrer Rede: „Um Energiearmut zu verhindern, müssen Energienetze und -versorgung in die öffentliche Hand, um sie endlich demokratisch kontrollieren zu können. Die heilige soziale Marktwirtschaft richtet hier derzeit gar nichts. Nicht einmal zu einer echten Übergewinnsteuer der Krisenprofiteure kann man sich durchringen. Woher sollen denn die Ressourcen für eine Energiepreisdeckelung kommen? Ein zeitweiliger Solidaritätsbeitrag ist kein Ersatz. Am Ende, meine Kollegen, kann die Kohäsionspolitik eben nicht ausgleichen, was Schuldenbremsen an öffentlichen Investitionen für den Klimaschutz und in der Energiekrise blockieren.“ Ihren ganzen Plenarbeitrag findet ihr hier schriftlich.

Ähnlich argumentierte auch Martinas Kollegin Cornelia Ernst, die für den Industrieausschuss in der Debatte zu den Maßnahmen der Bewältigung der Energiepreiskrise sprach.

Neues Europäisches Bauhaus – Gutes Projekt, Finanzierung unklar

Martina Michels im EP-Plenum am 14.9.2022 | Screenshot

„Erinnern wir uns: Das Parlament kam zum Projekt Neues Europäisches Bauhaus eigentlich wie die Jungfrau zum Kinde. Doch wenn die Kommission schon kulturelle Bewegungen ausruft, muss sie sich auch folgende Frage beantworten: Warum behandeln wir die Förderung von funktionalen, nachhaltigen und inklusiven Wohn- und Lebensformen eigentlich wie ein Schmuckelement unserer politischen Schwerpunkte?

Das Parlament reagierte beherzt im Sinne der Worte von Walter Gropius: „Der Geist ist wie ein Fallschirm: Er kann nur funktionieren, wenn er offen ist.“ Jetzt haben wir einen gehaltvollen Bericht. Darin mahnen wir die unklare Finanzierung ab 2023 an und fordern ein langfristiges eigenständiges Budget im mehrjährigen Finanzplan ab 2027.“, sagte Martina in ihrer Rede am Dienstagabend zur Annahme des Berichts zum Neuen Europäischen Bauhaus. (Über den Link könnt Ihr die ganze Rede nachhören.)

Europäischer Mindestlohn: ein Sprung in die richtige Richtung

Özlem Alev Demirel, EU 2021 | Foto: EP/Jean-Christophe Verhaegen

Endlich war es so weit: Das Parlament stimmte in dieser Woche über die ausgehandelte Mindestrichtlinie ab und das Beschäftigungs- und Sozialpolitikerinnen und -politiker des Europaparlament haben hier einen richtig guten Job gemacht und sich in den Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. „Diese Mindestlohn-Richtlinie ist ein Erfolg der Gewerkschaften, den ich sehr begrüße und für den ich mich sehr stark gemacht habe. Anders als die fatale ‚EU-Troika-Politik‘, die Gewerkschaftsrechte beschnitten, den Ausverkauf der sozialen Infrastruktur und die Zerschlagung von Tarifverträgen befeuert hat, stärkt diese Richtlinie den Ausbau von Tarifverträgen und schafft die Grundlage für angemessene Mindestlöhne, die mindestens dafür sorgen, dass sie oberhalb der offiziellen Armutsschwelle liegen.“, fasste Özlem Demirel die erreichten Resultate zusammen. Nun steht vor uns allen, streng auf die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten zu schauen.

Sonderausschuss Regionalpolitik: FAST-CARE im Schnellverfahren

Twitter-Screenshot zu Manifiesta Ostende 2022 | Foto: Konstaze Kriese

Mit FAST-CARE sollen Verfahren für die Verwendung von Finanzmitteln aus der Kohäsionspolitik vereinfacht werden, um die Folgen der russischen Invasion in der Ukraine zu bewältigen. Finanziert werden sollen Unterstützung für Flüchtende aus der Ukraine und anderen Drittstaaten. Es soll gemischte Projektfinanzierung durch verschiedene Fonds geben und verlängerte Fristen für Projekte. Wir berichteten bereits im Juni über die einzelnen Vorschläge.

Konstanze Kries auf der ManiFiesta, Ostende, 2022 | Foto: Press Unit Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Am Wochenende fand das Fest der Belgischen Arbeitspartei PTB in Ostende statt. Jährlich zieht es inzwischen 10.000 Besucher*innen an die belgische Küste, die sich bei guter Musik in diverse politische Diskussionen einmischen. Das Fest hat sich längst zur einem eigenen Debattenraum verselbstständigt. Unsere Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel war u. a. mit einem Workshop zu feministischer Politik vertreten. Und wir haben uns natürlich gefreut, als Mitglieder der LINKEN auch unseren neuen Bundesgeschäftsführer zu begrüßen sowie Kolleginnen aus Berlin. Ein wenig trübte in diesem Jahr das belgische Wetter, das mit Macht einen kühlen Herbst ankündigte. Doch Küste ist Küste und immer wild und schön, eben wie ein Fest, auf dem man Verabredungen trifft, Musik lauscht und weiß, dass man nicht allein für eine gerechte Energiepolitik, für bezahlbaren Wohnraum und internationale Solidarität streitet. Die Debatte um den öffentlichen Dienst und seine gesellschaftlichen Aufgaben war Grundlagen vieler Workshops und es war dann regelrecht kurios, dass es nur an einem einzigen Punkt schnell einen ordentlichen Kaffee gab: im Gesundheitszentrum.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.