Martinas Woche 35/2021: Weiter geht’s im Europaparlament, in Berlin und in Wien

Volkstimmefest in Wien, 4./5.9.21 - Peter Cichorius, Martina Michels, Jörg Bochmann | Foto: Peter Schmidt

Martina Michels, Konstanze Kriese

Kulturausschuss – Europaparlament – Wahldebatten in Deutschland – Wir trauern um Mikis Theodorakis – Leopoldpark-Fest in Brüssel – Pressefest in Wien

Ende August startete die Parlamentsarbeit in Brüssel. Der Kulturausschuss machte dabei am Montag für Martina den Anfang, indem er einen Initiativbericht zu einem uns allen bekannten Thema verabschiedete, zum Urheberrecht. Doch was in Brüssel grad verhandelt wird, obwohl es u. a. ebenso wie in den Mitgliedstaaten um Ministertreffen wegen des dramatisch schief gelaufenen Rückzugs aus Afghanistan und viele Fragen zum weiteren Umgang mit der Pandemie geht, scheint in Deutschland gerade wenig zu interessieren. Allein die furchtbaren Bilder aus Ahrweiler sollten allen Bürger*innen den Klimaschutz ein ganzes Stück näher gebracht haben, obwohl man nicht ganz sicher ist, ob das auch bei allen politisch Verantwortlichen in Deutschland angekommen ist, die ebenso den Green Deal der EU mit Leben erfüllen sollten, wie andere Mitgliedstaaten. Stattdessen glänzt Laschet, ob als Landesvater oder als Kanzlerkandidat mit praktischer Politikverweigerung und seine Parteikollegin Julia Glöckner lässt ihr Wahlkampf-Elektroauto von einem Dieseltransporter zum nächsten Termin bugsieren. Das ist am Ende mehr als Symbolpolitik, die wir uns keinen Tag länger leisten können, nicht in Deutschland, das vor entscheidenden Wahlen steht und auch nicht europaweit.

Martina auf dem Podium in Wien, Volksstimmepressefest | Foto: Peter Schmidt

Martina nahm daher einmal an einer Wahlkampf-Auftaktveranstaltung der Linken am Mittwoch, am Weltfriedens- und Antikriegstag teil und reise dann am Freitag zum Pressefest nach Wien, wo sie als Europaabgeordnete gleich dreimal auf der Jesuitenwiese beim Volksstimmepressefest  mit diskutierte, einmal zu Krieg und Frieden, einmal zur Mietenpolitik und zu einem ungelösten Thema europäischer Politik, zu einer Neuregelung sicherer Fluchtwege und besserer Integration von Asylsuchenden und Arbeitsmigrant*innen in einer Welt, die eher mehr als weniger Migration in den kommenden Jahren erleben wird.

Auftakt im Kulturausschuss

Volksstimmepressefest 4/5.9.2021 n Wien | Foto: Peter Schmidt

Am Dienstag ging es u. a. neben Haushaltsdebatten und Analysen zur Sportpolitik um die Abstimmung eines Berichts zum  „Aktionsplan für geistiges Eigentum zur Förderung der Erholung und der Resilienz in der EU“, den die Kommission vorgelegt hatte. In der Debatte, die vor allem im Juli geführt wurde, hatte man streckenweise das Gefühl, wir erfinden das Fahrrad gerade neu und allen Streit um Uploadfilter oder um die nötigen Ausnahmen vom Urheberrecht für Bildung, Kultur und Wissenschaft hätte es nie gegeben. Jetzt hält der Bericht – nach der Einarbeitung vieler Änderungsanträge – wenigsten erst einmal einen sachlichen Ist-Stand fest, denn für die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie hatte die Kommission exakt bis 3 Tage vor der Umsetzungsfrist gebraucht, um ihre eigenen Richtlinien für die Umsetzung zu veröffentlichen. Andererseits laufen gerade 23 (!) Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten, weil sie die Urheberrechtsrichtlinie noch nicht umgesetzt haben. Das klingt etwas absurd und ist es auch, denn alle warten bis zum heutigen Tage auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, ob die berüchtigten Uploadfilter als verpflichtender Ansatz für das Ausfiltern urheberrechtlich geschützter Werke beim Upload überhaupt geeignet sind. Das muss jedoch einen durchaus sinnvollen Aktionsplan nicht ausbremsen, indem Geschäftspraktiken kritisiert werden, die den Urhebern schlechte Verträge bescheren oder zu wenige Regelungen für gemeinnütze Nutzungsarten verbindlich festgehalten werden. Der Bericht bündelt viele offene Fragen und ist daher durchaus ein interessantes Dokument, seine politische Reichweite, die Fragen auch mit Erfolg anzugehen, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Wir haben dem Bericht in seiner konsolidierten Fassung zugestimmt. Im Oktober wird er dem ganzen Plenum zur Abstimmung vorgelegt.

Mikis Theodorakis: unvergessener Sänger und Komponist

Aus der Ehrung der European Left für Mikis Theodorakis | HTTPS://WWW.EUROPEAN-LEFT.ORG/IN-HONOUR-OF-MIKI-THEODORAKIS-MUSICIAN-AND-ANTI-FASCIST-THAT-INSPIRED-RESISTANCE/

Ab kommenden Dienstag können Menschen in der Kathedrale von Athen von Mikis Theodorakis Abschied nehmen. Donnerstagmittag wird an der Aufbahrungsstätte eine Trauermesse abgehalten. Er starb am vergangenen Donnerstag in Athen im Alter von 96 Jahren. Politisch war er immer voller Widersprüche, seine Kunst voller Kraft und Feinheit. Er selbst war voller Verehrung für griechische populäre Lieder und verwendete ebenso alltägliche Instrumentierungen in seinen Kompositionen. Weltberühmt wurde er schon 1964 mit dem Sirtaki in „Alexis Sorbas“. Links und links-libertär gesonnen, brach er mit der kommunistischen Partei Griechenlands, obwohl er als Linker verfolgt und wie andere auch bis beinahe zum Ende der Obristenherrschaft selbst in Haft war. In den 2000 Jahren näherte er sich der Europäischen Linken, die ihn 2005 auf ihrem 2. Kongress in Athen begrüßen durfte. Viele seiner Kompositionen und Lieder wurden weltweit gespielt. Er war in West- und Ostberlin lange vorm Mauerfall zu Gast, oft gemeinsam mit der Sängerin Maria Farantouri. Mit Canto General und seiner Reminiszenz an Pablo Neruda schrieb er mitten in die Geschichte linker Kämpfe einen eigenständigen Soundtrack voller Schönheit und Unvergänglichkeit. Seine Musik bleibt und klingt nicht nur dieser Tage bei unseren Begegnungen.

Linke kämpferisch in Berlin

Martina im Gespräch mit der Sozialsenatorin Elke Breitenbach am Mittwoch in Berlin | Foto: Jörg Bochmann

Dass der Tagespiegel eine positive Bilanz von Klaus Lederers Arbeit als Kultursenator in Berlin zieht, konnte niemand so erwarten: „Als das ‚goldene Zeitalterchen‘ wird die Amtszeit von Klaus Lederer wohl in die Geschichte der Berliner Kulturpolitik eingehen. Als kurze Phase des kollektiven Glücksgefühls, die jäh durch die Schrecken der Pandemie beendet wurde…“, beginnt da die Einschätzung. Doch selbst das Regieren in einer veritablen Krise ist weder kopflos noch ohne Erfolge. Am vergangenen Donnerstag, als sich Bundestagsabgeordnete und Berliner Politiker*innen am Anton Saefkow-Platz in Berlin treffen, erleben wir jedoch gleich einen Klaus Lederer, der gewillt ist, Berlin als Bürgermeister zu regieren und damit einen Ritt durch Mietenpolitik, ökologische Investitionen, eine soziale Stadt entwirft, die genauso einen Widerhall in der Bundespolitik hat. Martina war mit dem Berliner Team auch vor Ort und erlebte eine kampfeslustige Linke, die gleich dazu übergeht, am Montag Regierungsvorhaben im Bund vorzustellen. Die kommenden Bundestagswahlen sind tatsächlich ein historisch zu nennendes Zeitfenster, so dass es absolut richtig ist, für eine Rot-Grün-Rote-Koalition aus linker Perspektive ein klares linkes Fundament zur Debatte zu stellen. Sollen sich doch Rote Socken Kampagnen der CDU/CSU mal an Inhalten abarbeiten. Immerhin sind noch 3 Wochen Zeit. Und so ganz ohne europapolitische Dimension werden auch bundespolitisch keine Pflöcke eingeschlagen, weshalb sich Martina dann am Freitag nach Wien zum Pressefest der Wiener Volksstimme aufmachte.

Leopoldpark-Fest in Brüssel

Lyzeum und Haus der Europäischen Geschichte im Leopoldpark | Foto: Konstanze Kriese

Während Martina mit dem Berliner Team in Wien war, nahm Konstanze Kriese am Leopold-Park-Fest in Brüssel teil. Der Leopoldpark grenzt an das Europäische Parlamentsgebäude an und beherbergt mehrere Museen, die wunderschöne Solvay-Bibliothek, ja auch die Landesvertretung Baden-Württembergs, ein Lyzeum und andere Institutionen. Besonders verbunden mit dem Europäischen Parlament ist jedoch das Haus für Europäische Geschichte, das auch coronabedingt  lange geschlossen hatte, aber am Leopoldpark-Fest, so wie die anderen Gebäude die Pforten öffnete. Das Gesichtsmuseum ist nicht unumstritten. Darüber haben wir schon mehrfach berichtet, fehlt ihm doch – und dies im Herzen Brüssel – beinahe die komplette Aufarbeitung der Europäischen Kolonialzeit und ihrer Folgen. Doch auch das 20. Jahrhundert hat in der geschichtlichen Darstellung allerhand Tücken, ist doch eine Annäherung an europäische Geschichte ohne eine Gleichsetzung von Hitlerdeutschland mit der Sowjetunion eine durchaus mögliche Lesart, denn die – oft sehr jungen – Besucher*innen werden zwar „nur“ zum Vergleich aufgefordert, doch die Gleichsetzung schwingt immer mit. Das zieht sich weiter durch die sehr ausgedünnte Nachkriegsgeschichte, so dass hier bis heute ein enormer Bedarf besteht, das Ausstellungskonzept zu überarbeiten, zu vertiefen und historischen Forschungsständen anzupassen, statt ihnen populistisch zu entfliehen, sie zu verflachen oder zu ignorieren.

Heiße Diskussionen beim 74. Volksstimmefest in Wien

Martina im Gespräch mit tschechischen Linken | Foto: Peter Cichorius

Jedes Jahr Anfang September findet in Wien das legendäre Volksstimmefest statt. Lediglich im letzten Jahr musste diese Tradition wegen der Covid19-Pandemie unterbrochen werden. Wie jedes Jahr war Martina als Gast eingeladen, um über ihre Arbeit als Mitglied der Delegation der deutschen Linken innerhalb der Fraktion THE LEFT im Europaparlament zu berichten, mitzudiskutieren, sich zu informieren oder wie in diesem Jahr auch der Musik des Liedermachers Tobias Thiele im Europäischen Dorf zu lauschen.

Ausstellung Krieg und Frieden in Wien, 4/5.Sept. 2021 | Foto: Peter Schmidt

Bei strahlendem Sonnenschein und sommerlicher Hitze ging es am Samstagnachmittag los mit einer Podiums-Diskussion anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Krieg und Frieden“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Zusammen mit Walter Baier (transform! Europe), Mohammad Ehsan Bathri (Gruppe gegen Abschiebung) und dem Moderator Gert Gampe (RLS) wurde unter dem Motto „Wir müssen über Frieden rede,“ zur Friedenspolitik der Linken gesprochen, die Folgen von Aufrüstung und Militarisierung, die Kräfteverhältnisse in der Welt und viele weitere Aspekte erörtert.

In der spannenden Diskussionsrunde zum Thema „Wohnen: ein Menschenrecht für alle“ tauschten sich Linke aus Deutschland, Tschechien und Österreich zum Kampf um bezahlbare Mieten für alle aus. So brachte Jiří Hudeček aus Prag interessante Details zu der Situation diesbezüglich in Tschechien, Martina und Heidi Hammer, KPÖ-Mitglied und Journalistin bei der Volksstimme verglichen die Lage auf den Mietenmärkten in Berlin und Wien. Martina informierte über die neueste Studie der Bundestagsfraktion der Linken zum bundesweiten Mietendeckel und informierte über das Scheitern der Mieteneindämmung in Berlin. Der Mietendeckel wird längst europaweit diskutiert und in einigen europäischen Städten längst praktiziert, um der Wohnungsspekulation zu begegnen, um Zweckentfremdung und Leerstand zu beenden und das Wohnrecht als Menschenrecht in einem der reichsten Kontinente vor allem in den großen Städten wieder allen zu ermöglichen. Auch im Bundestagswahlkampf in Deutschland ist dies ein heiß umstrittenes Thema, da Parteien, wie die CDU/CSU und FDP der Meinung sind, dass man niemals Wohnkonzerne vergesellschaften dürfe im allgemeinen Interesse, obwohl diesselben Parteien hemmungslos in den letzten Jahren für Konzerne wie RWE Menschen mit ihren kleinen Häuschen enteignet haben, Wälder räumten u. a., wie der YouTube Rezo gerade wieder eindrucksvoll zusammenstellte

Und natürlich gab es wie immer im Europäischen Dorfes viele Gespräche mit den Vertretern anderer europäischen Parteien am Rande der größeren Veranstaltungen. So wurde mit Violeta Tomić, Abgeordnete des slowenischen Staatsparlamentes, Absprachen in Vorbereitung auf die Studientage der Fraktion Anfang Oktober in Ljubljana getroffen und es gab einen regen Austausch mit den beiden jungen Co-Vorsitzenden der Linken Tschechiens „Levice“. Insgesamt ein sehr ereignisreiches und interessantes Wien-Wochenende.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.