Martinas Woche 3/4 – 2023

Der Kulturausschuss verhandelt über die Audio-Visuelle Mediendienste | Foto: Konstanze Kriese

Europapolitischer Stillstand? – Das Plenum in Straßburg, der Alltag in Brüssel

Schwedische Ratspräsidentschaft – Industrial Act – Israel – Palästina – Plattformarbeit – Südkaukasus – Holocaust Gedenken – kommunalpolitisches forum berlin

Martina Michels, Konstanze Kriese

In der vergangenen Woche hatte Martina in Brüssel mehrere Ausschusssitzungen und Veranstaltungen. Unter anderem debattierte sie mit Wissenschaftlern der Uni Straßburg zur heutigen Situation, in die die politische Forderung der Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde fällt. 20 Jahre nach den Osloer Verträgen scheint die Versöhnung keinen Schritt weitergekommen zu sein, doch eine Orientierung auf die Selbstbestimmung beider Kontrahenten in diesem Konflikt muss weiterhin gelten. Die neue israelische Regierung, wieder unter Netanyahu, ist hierbei einmal mehr eher Teil des Problems als an einer Lösung interessiert. Die Ausschusswoche endete mit dem Holocaust-Gedenken.

Enthüllung des Gemäldes von Felix Nussbaum, Europaparlament Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Wir tragen hier eine kurze Übersicht zur ersten Plenarwoche im Januar nach, in der sich vom schwedischen Ratsvorsitz bis zur erneut verschobenen Positionierung zur Plattformarbeit wieder mit europapolitischen Herausforderungen auseinandergesetzt wurde.

Und last but not least dokumentieren wir hier auch noch die Laudatio, die Martina anlässlich des 30 Jubiläums des „kommunalpolitischen forums Berlin“ am 14. Januar 2023 hielt.

Holocaust-Gedenktag in Brüssel – Das Parlament erinnert an Felix Nussbaum

Isaac Herzog im Europaparlament, 26. Januar 2023 | Foto: Konstanze Kriese

Nach der Rede von Isaac Herzog wurde am Donnerstag im Europäischen Parlament ein Bild von Felix Nussbaum, das 1939 in Brüssel entstand, enthüllt. 1944 wurde Nussbaum in Brüssel verhaftet und im KZ Auschwitz umgebracht. Er lebte seit 1937 fußläufig vom heutigen Europaparlament entfernt in der Rue Archimède, nachdem er aus Deutschland über Italien und Frankreich geflohen war. Das Gemälde sagt alles über die Lage der Geflüchteten (so sein Titel), auch bevor eine Denunziation ihn und seine Frau Felka Platek, ebenfalls Malerin, in den sicheren Tod schickte.

Die Dauerleihgabe des Holocaust Gedenkortes Yad Vashem in Jerusalem ist nun links vorm Brüsseler Plenarsaal für alle Parlamentsbesucher*innen sichtbar.

Martina Michels in der Veranstaltung zur Studie um die Zweistaatenlösung | Foto: Konstanze Kriese

Straßburg: 1. Plenarwoche im Januar – eine Rückschau

Die Plenartagung begann mit einem Festakt zum 30-jährigen Bestehen des Europäischen Binnenmarktes. In diesem Zusammenhang war auch die Debatte um die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates im Dezember 2022 besonders interessant, da sie Erwartungen an die Kommission formulierte, den Europäischen Binnenmarkt durch eine konzertierte Investitionspolitik zu stärken, sie wie es die USA und China in ihren Einflusssphären massiv tun. Eine Revision von staatlichen Beihilferegeln, ein europäischer Solidarfonds für Innovationen und eine Initiative zu Strompreisen nach der Gaspreis-Deckelung sind inzwischen in der konkreten Diskussion. Damit geht es um nicht weniger als um einen Art europäisches Industriepolitik-Gesetz.

Erstmalig stand im Europaparlament eine Aussprache direkt zum Fakt der Kriminalisierung der Seenotrettung auf der Tagesordnung, was angesichts des lang angekündigten und immer wieder verschobenen Migrationsgipfels des Europäischen Rates im Februar 2023 ein wichtiger Fokus darauf ist, was alles zur humanitären Hilfe für Menschen auf der Flucht gehört.

Martina Michels im Europaparlament | Screenshot

Natürlich wurde die Lage in der Ukraine, im Iran, aber auch, in einem Extra-Tagesordnungspunkt, in Nargorny Karabach diskutiert, eine Debatte, in der Martina das Wort ergriff.

Plenum I: Schwedische Ratspräsidentschaft

Doch spätestens als der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson die Schwerpunkte seiner Ratspräsidentschaft vorstellte, waren alle Hoffnungen arg gedämpft. Vom Klimawandel bis zur Beschäftigungssicherung, von der Migration bis zur ohnehin marginalen Sozialpolitik der EU erlebte man eine Ankündigungspolitik ohne jede Inspiration, ohne Problembewusstsein oder interessante Vorschläge. Warum ausgerechnet längere Lebensarbeitszeiten auch nur eines der politischen Probleme der EU lösen sollten, war dann nur noch wie ein trauriger Ausläufer einer „Weiter-So-Politik“, die überdies offenbar ihre Seele an die Schwedendemokraten von Rechtsaußen verkauft hat und sich gerade europaweit mit der italienischen Regierung und anderen Rechtsauslegern feiert.

Erst in der Aussprache der Fraktionsvorsitzenden gab es Paroli gegen diese einfallslose Vorstellung: Iratxe García Pérez, Vorsitzende der S&D-Fraktion, fragte nach den ausbleibenden Lösungen gegen steigende Preise, warum bei moderner Mobilität plötzlich gespart wird und ob irgendwie noch Gleichstellung von Frauen und die Lage von Migranten in der europäischen Politik ein Thema seien. Nach den Ausführungen des schwedischen Ministerpräsidenten hatte man den Eindruck, die Politik sei zurück in die patriarchalen 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts gereist. Manon Aubry, unsere Co-Vorsitzende der Linksfraktion, befand diese ganze politische Tendenz, die die Prioritätenliste der Ratspräsidentschaft begleitete, alarmierend und brachte deren Quintessenz auf folgende Formel: „Die Migration wird abgelehnt und die extreme Rechte, die hinter diesem Zugang steht, werde banalisiert.“

Plenum II: Korruption im Europaparlament – Runde 2

Einen Monat nach der Verhaftung der Vizepräsidentin Eva Kali wählte das Parlament mit dem Sozialdemokraten Angel nicht nur einen neuen Vizepräsidenten, sondern zog Bilanz und erneuerte seine Forderungen an die Kommission, ein neues Gesetz vorzulegen, das alle Formen der Korruption unter Strafe stelle und EU-weit einheitliche Definitionen und Strafen sowie die notwendigen Instrumente für Polizei und Gerichte vorsehe. Überdies wird ein Maßnahmenpaket unter dem Titel „Verteidigung der Demokratie“ erwartet. Die konkreten Vorschläge sind:

  • Einsetzen eines Ausschusses, der sich mit diesem Thema befasst;
  • EU-Transparenzregister verbindlich machen;
  • Einrichtung eines unabhängigen Ethikgremiums für die EU-Institutionen;
  • Verbesserung der Vorschriften für die Meldung von Missständen;
  • bessere Durchsetzung der bestehenden Vorschriften und
  • volle Berücksichtigung der Beiträge der beiden Sonderausschüsse für ausländische Einmischung (INGE).

Plenum III: Ein Beispiel für unzulässige Lobbytätigkeit? – Der Fall Uber und die „Blüten“ der Plattformarbeit

Die Abgeordneten gehen klar davon aus, dass es eine missbräuchliche Einflussnahme von Uber innerhalb der EU gibt. Die Arbeit am Richtlinienentwurf zur Plattformarbeit zeigte, dass die Praktiken von Uber wie der Grundstein für aggressive Firmenpolitik einer ganzen Branche geworden sind. Daher wurde einmal mehr der Schutz von Whistleblowern gefordert und die Einflussnahme bei der Gesetzgebung besonders angesprochen. Belgien hat deswegen zum Beispiel einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um in der Gesetzgebung zur Plattformarbeit transparent voranzukommen.

Der Bericht zum Richtlinienentwurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit wurde jedoch im Januar vertagt.

Plenum IV: Südkaukasus: Lage in Berg-Karabach – Rede in der Plenartagung

Martina Michels während der Plenartagung am 18. Januar 2023 | Screenshot

„Seit dem 12. Dezember 2022 blockiert Aserbaidschan unter dem Vorwand des Protestes von Umweltschützer*innen den Latschin-Korridor nach Berg-Karabach. Das ist eine neue, unerträgliche Entwicklung in einer andauernden Verletzung des Waffenstillstands durch Aserbaidschan gegenüber Armenien. Sie wird überschattet von der Untätigkeit der russischen Friedenstruppen, die den Waffenstillstand von 2020 entgegen ihrer Verpflichtungen nicht sichern, so dass 120.000 Menschen, darunter 30.000 Kinder hungern und frieren.“, sagte Martina nochmals nach der Abstimmung der starken Resolution des Europaparlaments zur Lage im Südkaukasus. In ihrer Rede sprach sie dann besonders auch über die Versäumnisse der EU, diesen Konflikt aktiv zu befrieden.

Rede zum 30. Jubiläum des Kommunalpolitisches Forums Berlin

Martina Michels und Michael Grunst, 14.1.2023 | Foto: Peter Cichorius

Am 14. Januar 2023 beging das „kommunalpolitische forum berlin“ sein 30jähriges Jubiläum. Martina war als langjährige Vorsitzende seit der Gründungszeit zu dieser Rückschau geladen und konnte auf eine erfolgreiche und heute genauso lebendige Bildungsarbeit zurückblicken. 

Wir dokumentieren hier ihre Laudatio zu diesem Treffen, denn die Kommunalpolitik, die Martina lange aus der Bezirks- und Landesperspektive begleitete, bestimmte auch ihren politischen Blick, als sie als Europaabgeordnete 2013 nach Brüssel ging.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.