Martinas Woche 28 – 2019

Abend in Brüssel vorm Königspalast, 10.7.2019 | Foto: Konstanze Kriese

Ursula von der Leyen auf Werbetour

Ursula von der Leyen auf Werbetour I

Sie ist in Brüssel geboren, hat 7 Kinder und spricht fließend Französisch und Englisch…  Ehrlich, kein Mann dieser Welt würde mit solchen Etiketten in eine Werbetour für einen politischen Spitzenposten in der EU gesandt werden. Orban, der sich rühmt, dass sie seines Gnaden Vorschlag ist, macht damit Politik und auch sonst erleben wir gerade eine wilde Mediendebatte über die Nominierung Ursula von der Leyens zur Kommissionspräsidentinnenkandidatin. Ja, die wurde von Marcon im Verein mit Orban in der internen Ratsdebatte vorgeschlagen und Merkel musste mit Enthaltung für ihre Parteikollegin stimmen, weil die SPD, die Noch-Koalitionspartnerin nicht zustimmte.

Ursula von der Leyen hat genau einen Wahlgang am kommenden Dienstag, braucht 376 Stimmen der Abgeordneten des Europaparlaments, um nach Juncker Chefin der Europäischen Kommission zu werden. Nachdem die Grünen laut klapperten, dass sie ihre Anhörung live-streamen und sie die einzigen wären, die diese Debatte auf diese Weise transparent machen, waren schon längst die Liberalen mit einer ähnlichen Verfahrensweise im Boot und auch die Einladung der linken Fraktion ausgesprochen. Letzterer wurde am Mittwoch um 23 Uhr für Donnerstag um 9 Uhr entsprochen, so dass die dritte Anhörung infolge für die öffentliche Meinungsbildung zur Verfügung stand.

Ursula von der Leyen zu Gast in der GUENGL-Fraktion, 11.7.2019 | Foto: Konstanze Kriese

Ursula von der Leyen bei der GUENGL-Fraktion – Fragen und Antworten

Querbeet wurde Ursula von der Leyen, die sich eingangs vorstellte, befragt. Sie hob häufig darauf ab, dass sie in Deutschland den Mindestlohn eingeführt hatte, das Elterngeld und viele weitere soziale Pakete und versuchte das, was die Sozialdemokraten wohl vermissten, besonders zu betonen. In den Fragen wurde sie dann nicht nur nach den Beraterverträgen beim Bundesverteidigungsministerium befragt, sondern natürlich zu ihren Auffassungen zur NATO, einer europäischen Armee und dem Verteidigungsfonds. An diesen Stellen machte sie dann auch kein Hehl mehr daraus, dass sie da sei, um die Herzen der Linken zu erobern, sondern sah sich klar an der „anderen Seite des Tisches“. Als sie dann über den deutschen Einsatz in Mali sprach, war auch zwischen allen Zeilen klar: Für Europäische Werte lassen sich immer die schönsten Worte finden, das beherrschte auch Juncker ganz beeindruckend, doch das hat wer den alten noch (den oder) die neue Kommissionspräsidentin bisher gehindert, knallharte Abschottung zu unterstützen und Tritte gegen Menschenrechte in der Europäischen Politik zu etablieren. Nie wurde dem Europäischen Rat Druck gemacht, der inzwischen seit 2 Jahren eine Reform der Dublin-Verordnung aussitzt, für die eine komplette Parlamentsposition vorliegt, die von den Konservativen bis zu Linken getragen wurde.  

Hier ist die Debatte in der Fraktion nachhörbar. Unserer Interimsfraktionsvositzender Martin Schirdewan kommentierte unmittelbar nach der Anhörung, warum die linke Fraktion Frau von der Leyen nicht wählen wird. Özlem Demirel machte aus ihrem Herzen ebenfalls keine tiefe schweigende Grube und legte mit einer Pressemeldung nach, die auch Widerhall in der medialen Widerspiegelung fand.

Die Ausschüsse konstituieren sich: REGI und CULT

Sabine Verheyen wird Ausschussvorsitzende im CULT-Ausschuss | Foto: Konstanze Kriese

In der letzten Woche haben sich viele Ausschüsse konstituiert und ihre Vorsitze gewählt. Martina nahm als ordentliches Mitglied im Regionalausschuss bei der Wahl des einzigen linken Ausschussvorsitz teil, der an Younous Omarjee von La France Insoumise ging. Im Kulturausschuss, dem Martina auch wieder angehört, wurde die deutsche Konservative Sabine Verheyen zur Ausschussvorsitzenden gewählt. Sie ist eine gestandene Medienpolitikerin aus Nordrhein-Westfalen und auch wenn wir besonders beim Urheberrecht weit auseinanderliegen, hat sie die Stimmen der linken Abgeordneten bei der Wahl bekommen. Bei vielen kulturpolitischen Themen arbeiten wir trotzdem konstruktiv zusammen.

Ursula von der Leyens Werbetour – Teil II – Aus der medialen Wiederspiegelung

Blick aufs Europaparlament vom Place Luxemburg | Foto: Konstanze Kriese

Natürlich wurde auch Martina angefragt, wie sie den Vorschlag für die Kommissionspräsidentin findet. Die Magdeburger Volksstimme stellte viele, viele Fragen und verarbeitete sie in einem Artikel, in dem Europaabgeordnete zu Wort kamen, die oft in Sachsen-Anhalt unterwegs sind. Hier wird Martina u. a. zitiert: „Überdies habe sie es bemerkenswert gefunden, „dass Orban & Co Frau von der Leyen gegenüber Timmermans als das kleinere Übel sahen und ihr das Vertrauen aussprachen.“ (12.7.2019)

Während die einen zurecht nach dem verletzten Spitzenkandidatinnen-Prinzip fragten, dass durch die Ratsentscheidung, erneut weiterdiskutiert wurde und eine Zustimmung des Parlaments als klaren Ausweis seiner realen Schwäche innerhalb des Insitutionengefüges der EU ansehen, schreien andere von ideologisch anderen Ufern natürlich laut und vernehmlich: stimmt das Parlament dem Vorschlag nicht zu, dann wäre es eine Lachnummer. Da bietet man schon mal Labour-Mitglieder in der WELT auf, die den störrischen deutschen SPD-Abgeordneten die Leviten lesen sollen. Über das Aufklärungsschreiben der 16 deutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für ihre europäischen Fraktionskolleginnen und -kollegen regte sich ohnehin nicht nur die mediale Welt auf. Da gab es auch oberlehrerhafte Flügelschläge der derzeitigen Interimsführung der SPD, in der die Abgeordneten wie kleine Schuljungen abqualifiziert wurden, nur weil sie einen schärferen Ton für ihre ablehnende Haltung fanden. 

De facto gab und gibt es ohnehin keinen Grund, den Vorschlag am Tage der Wahl des Parlamentspräsidenten in der vergangenen Woche zu veröffentlichen. Der scheidende Präsident Juncker präsidiert ohnehin noch bis Oktober. Es wäre also genug Zeit gewesen, das Parlament, indem es immerhin 420 neue Abgeordnete mit hohen Orientierungsbedarf gibt, angemessen in die Debatte einzubeziehen, statt alle in eine Art take-it-or-leave-it-Situation zu bringen.

Neben der Anhörung in unserer Fraktion, hatte netzpolitik.org nach der Anhörung bei den Grünen auch klar zusammengefasst, dass wir industrie- und netzpolitisch mit Von der Leyen wohl wieder allerhand Geisterfahrerei bekommen werden, bei dem Lobbyisten am Ende ein leichtes Spiel haben.

Man muss  der – auch bei der Linken verständlicherweise ungeliebten – Kandidatin immerhin attestieren, dass sie nichts unversucht gelassen hatte, sich den Debatten in den Fraktionen zu stellen und wenigstens persönlich einem Scherbenhaufen der Kommissionsentscheidung entgegen zu wirken. Trotzdem ist die mediale Widerspiegelung eher Gegenwind statt offene Debattenbegleitung.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.