Martinas Woche 25 – 2022

Charleroi: Bergbau-Museum (Bois du Cazier) | Foto: Konstanze Kriese

Künstliche Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien

Martina Michels, Konstanze Kriese

KI in der Kultur – Medienfreiheit – Veranstaltungstipp – Bergbaugeschichte – Kinderarbeit

In Brüssel tagten in der vergangenen Woche die Ausschüsse und das sogenannte Miniplenum für diese Woche wurde vorbreitet, wobei die praktischen Hürden dabei ihren Lauf nahmen, denn belgische Gewerkschaften haben in dieser Woche zum Streik aufgerufen. Gleich heute am Montag geht es los und am Donnerstag geht es weiter. Das trifft in dieser Woche alle Abgeordneten, die an- und abreisen sowie auch lang geplante Veranstaltungen. Aber nichtsdestotrotz wünschen wir den Streikenden im öffentlichen Nahverkehr volle Erfolge.

Kulturausschuss I: Künstliche Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien 

Am Mittwoch der vergangenen Woche entschied der Kulturausschuss über eine Stellungnahme zum Künstlichen Intelligenzgesetz, welches die Kommission im Entwurf vorgelegt hat. Das Gesetz wird innerhalb des Parlaments vor allem abschließend im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) und im Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss (IMCO) verhandelt und man kann davon ausgehen, dass dort die längst etablierte Anwendung derartiger Technologien in Bildung, Kultur und Medien weniger zur Debatte steht. Noch im Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz, das die Industriekommissarin Vestager am Ende der vergangenen Legislatur vorstellte, kam die Kultur eigentlich gar nicht vor. Auch der Ansatz, überhaupt nur künstliche Intelligenz politisch regulieren zu wollen, soweit man ihr einen Status des Hochrisikos zugesteht, wurde damals kritisiert. Die Debatte entwickelte sich dann aber umgekehrt: Es wurden einfach viel mehr Bereiche identifiziert, die in diesen Hochsicherheitsbereich gehören. Dies ist zuerst nichts Dramatisches, sondern soll am Ende nur bedeuten, dass diese Bereiche überhaupt einer Regulation unterliegen sollen.

Graffito, Kino Ixelles in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Der tschechische Pirat Marcel Kolaja, der der Grünen Fraktion angehört, war der Berichterstatter der Stellungnahme im Kulturausschuss und er hatte zu Beginn der gemeinsamen Debatte interessante Gesprächspartner*innen eingeladen, z. B. von Hochschulen und von Datenschutz-NGOs. Dabei stellte sich schnell heraus, dass einerseits gerade in der Pandemie der Einsatz von Prüfungssystemen, die durch künstliche Intelligenz überwacht werden, massiv zugenommen hatte, doch andererseits empfindliche Störungen dieser Technologien damit deutlicher wurden. Das sogenannte e-proctoring diskriminierte Prüfungswiederholungen, sperrte unberechtigt Zugänge und schloss Menschen damit aus. Ebenso dramatisch müssen alle Systeme des social scoring bewertet werten, die Menschen nach Aussehen, Geschlecht, biografischen Verläufen beurteilen und dabei nicht selten diskriminieren können.

Die Debatte gestaltete sich an einem Punkt, dem Verbot von Fernidentifizierungssystemen, ungewöhnlich schwierig, obwohl diese z. B. Demonstrationen und damit auch Journalist*innen behindern könnten. Doch die Mehrheit im Ausschuss bevorzugte hier die Klärung im LIBE-Ausschuss. Das fanden die Grünen und wir reichlich skurril, denn Medienfreiheit wird auch in unserem Ausschuss häufig verhandelt und ebenfalls durch Creative Europe unterstützt. Doch zugunsten der anderen Vereinbarungen wurde dies dann so gehandhabt, so dass der Kulturausschuss am Ende keinerlei Votum zum Art. 5 des Künstlichen Intelligenzgesetzes abgab, in dem es um die Techniken geht, die tatsächlich verboten werden sollen, dafür dann aber den Bereich der Hochrisiko-Technologien enorm erweiterte.

Beinahe nebenbei gelang Martina in diesem Zusammenhang eine Definition von Kulturinstitutionen im Art. 3 festzuschreiben, die man in ihrer Komplexität eine kleine Revolution nennen könnte. Der ganze Kulturausschuss stimmte dieser Definition zu und wir hoffen sehr, dass diese auch die Hauptausschüsse für dieses Dossier überlebt. Jetzt heißt es dort: „44 a. „Kulturinstitutionen“ (sind) Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Theater, Konzerthallen, Ausstellungszentren, Architektonische Ensembles und kulturelle Mehrzweckhäuser sowie deren virtuelle Dependancen, die kulturelle Bildung und demokratischen Austausch, Forschung und Auseinandersetzung mit Kulturerbe organisieren;“

Der Haupterfolg in der Abstimmung zu dieser Stellungnahme ist insgesamt der hochrangige Fokus auf Systeme der künstlichen Intelligenz in der Bildung. Hier hat der Kulturausschuss nun deutlich gemacht, was wir alles regeln müssen, wenn wir solche Hochrisikotechnik zusätzlich und nicht selbstverständlich in der Ausbildung und in Prüfungssituationen einsetzen. Nun müssen wir darauf hinarbeiten, dass die federführenden Ausschüsse diese Meinung integrieren.

Eine weitere wichtige Debatte in dieser Stellungnahme war die Beziehung zwischen KI-Systemen und dem Mediensektor. Am Anfang gab es die Tendenz, dass Sozialdemokraten und Konservative sich, ähnlich wie beim Digital Service Act, wieder für eine Medienausnahme stark machen würden und jeglichen Regulierungsbedarf ablehnten, da Vieles schon mit der Audio-Visuellen Mediendienste-Richtlinie geregelt sei. Doch mit dem umfangreichen Kompromiss zum Artikel 52 gibt es nun klare Transparenzpflichten für alle Medienanbieter gegenüber natürlichen – und besonders gefährdeten – Personen bei der Nutzung von KI und wir denken, dieser Zugang ist bei dieser besonderen Technologie auch vernünftig. 

Veranstaltungstipp für Mittwoch: Die Europäische Linke vor neuen Herausforderungen                       

Veranstaltungsplakat – 22. Juni 2022 | PRESS UNIT THE LEFT

Stelios Kouloglou von Syriza und Marisa Matias von Bloco haben gemeinsam mit unserem Büro am Mittwochnachmittag (22.06.2022) eine Konferenz unter dem Titel: The European Left ahead of new challenges“ organisiert. 16.30 bis 19 Uhr live in unserem Fraktionssaal können wir unter anderem Gabi Zimmer, unsere ehemalige langjährige Fraktionsvorsitzende, und Jeremy Corbyn begrüßen, die sich beide den kommenden Herausforderungen mit ihren Beiträgen stellen werden. Doch zuvor werden wir mit viel praktischer Politik konfrontiert, nämlich mit Erfahrungen, die Linke in Regierungen und in Regierungsbündnissen gemacht haben. Natürlich könnt ihr, auch wenn ihr nicht in Brüssel seid, zuhören. Die Verdolmetschung ist auch in Deutsch.

Kulturausschuss II: Aussprache mit Kommissar Breton zur Medienfreiheit 

Thierry Breton im Kulturausschuss, 15. Juni 2022 | Screenshot

Der für Medien zuständige Kommissar Thierry Breton war nach über einem Jahr am vergangenen Mittwoch wieder zu Gast im Kulturausschuss. Dafür, dass wir uns gerade beim Künstlichen Intelligenzgesetz als ganzer Ausschuss entschieden hatten, die Medienfreiheit dem Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten zu überlassen, wurde de facto, nur wenige Stunden nach der Abstimmung zum Künstlichen Intelligenzgesetz, wieder laut und vollmundig betont, wie intensiv doch dieser Ausschuss zur Medienfreiheit arbeitet, was auch praktisch richtig ist, aber nach der Entscheidung vom Vormittag doch irgendwie komisch klang. Wie auch immer, real stimmt es: Von der Audio-Visuellen Medien Dienste-Richtlinie, über Berichte zum Whistleblowing, zum Medienfreiheits-Aktionsplan oder zur Förderung von Medienfreiheitsinitiativen durch das Programm Creative Europe – der Ausschuss muss sich nicht verstecken, wenn es um seinen Einsatz für Medienfreiheit geht. Der Kommissar kündigte das geplante Medienfreiheitsgesetz noch einmal an, indem es ganz sicher auch um die SLAPP-Klagen („Strategic Lawsuit against Public Participation“) gehen wird, die freien Journalist*innen und Medienhäusern das Leben schwer machen. Sogar die Konferenz zur Zukunft Europas, in der Bürgerinnen und Bürger ihre Vorstellungen über die EU und deren Entwicklung niederlegten, betonte den Ausbau des Engagements der Europäischen Institutionen für Medienmacher und Journalist*innen, damit europäische Öffentlichkeit wirklich funktionieren kann. Die Baustellen wachsen, nicht nur in Polen und Ungarn, wie die Debatte zeigte. Auch in vielen anderen Mitgliedstaaten sind Journalist*innen bei der Arbeit bedroht.

Ausflug in die Geschichte Belgiens und ein dunkles Kapitel der Gegenwart: Kinderarbeit      

Fotos in Museum Charleroi (Bois du cazier) | Foto: Konstanze Kriese

Böse Zungen behaupten, eine der hässlichsten Straßen der Welt liege in Charleroi, einer Stadt unweit Brüssels. Die Rue de Mons entlangfahrend, wird man begrüßt von drei martialischen Schornsteinen und einer nicht enden wollenden Ansammlung von Fabrikgebäuden, Maschinenparks, Förder- und Krananlagen und alles wird durchkreuzt von einer Hochbahn, die eher an eine Neuverfilmung von „1984“ erinnert als an Schönheit, Leichtbau und architektonischen Wagemut. Am Wochenende war in Charleroi die landesweit wechselnde Fête de la Musique und wir fuhren neugierig in die alte Bergbaummetropole, eine Stadt, der die Armut nach dem Niedergang der alten Kohlezechen ziemlich unübersehbar ins Gesicht geschrieben steht. Der Sonntag stand dann – nach dem bisher heißesten Tag des Jahres, der uns mit 34 Grad zum Pausieren zwang – ganz im Zeichen der Geschichte der Zeche nahe Charleroi, in Marcinelle, dem Bois du Cazier, im Museum Charleroi. 200 Menschen kamen in dieser Grube 1956 bei einer furchtbaren Katastrophe um. Es traf besonders viele Italiener, die in der Grube arbeiteten. Heute erinnert eine eigene Halle des Gedenkens an alle. Im Museum erinnern überdies viele Fotos und die baulichen Hinterlassenschaften an die gesamte Geschichte der einst stolzen, doch immer harten Bergbauindustrie und an das Leben der Familien, die nahe an den Arbeitsstätten wohnten. Überdies überraschen ein Glasmuseum und ein Museum der Industriearbeit. In einem kleinen Raum wird sich eines besonders grausamen Themas der Arbeit gewidmet: der weltweiten Ausbeutung von Kindern. In der Landwirtschaft, im Handel und auch im Bergbau war dies noch im vorigen Jahrhundert in Mitteleuropa keine Seltenheit. Erzählt wird jedoch auch von aktuellen Kinder-Arbeitsplätzen, von Einzelschicksale, wovon das jüngste Kind acht Jahre alt war.

Am 12. Juni 2002 wurde der weltweite Tag gegen Kinderarbeit ins Leben gerufen.  

Rue de Mons – Industriestraße in Charleroi | Foto: Konstanze Kriese

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.