Martinas Woche 24 – 2022

Eastside-Gallery, Berlin | Foto: Konstanze Kriese

Brüssel und Straßburg – Krisenmodus und Klimapakete

Martina Michels, Konstanze Kriese

Zukunft der EU – Fit for 55 – Europäische Schuldenbremse ausgesetzt – EU-Ratsgipfel in der Kritik – LUX-Film-Preis – Neues Europäisches Bauhaus

In der vergangenen Woche tagte das Plenum des Europaparlaments wieder in Straßburg. Natürlich stand erneut die Auseinandersetzung mit den Folgen des Krieges in der Ukraine auf dem Programm, dazu auch das große Klimaschutz-Paket „Fit for 55“, was wohl weit entfernt von seinen Ansprüchen geblieben ist. Neben dem EU-Türkei-Bericht wurde auch der vergangene Ratsgipfel ausgewertet, der das sechste Sanktionspaket gegen Russland verabschiedete ohne ausreichend zu klären, wie echte Kriegsgewinner, wie die Mineralölkonzerne sich an den Folgen des Krieges beteiligen.

Der LUX-Film-Preis 2022 wurde vergeben, ein europaweites Bauhausfest veranstaltet und im Plenum standen einmal mehr die Ergebnisse der Zukunftskonferenz der EU auf dem Programm, die nun weg vom Debattentisch tatsächlich auch in parlamentarischen Entscheidungen auf den Weg gebracht werden. Immerhin ist erneut ein Konvent gefordert, der an die EU-Verträge ran muss.

EU-Haushalt öffnet die Fenster für Investitionen

Die Euriopabrücke zwischen Kehl und Straßburg | Foto: Konstanze Kriese

Am 23. Mai 2022 hatte die Kommission Empfehlungen für die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten vorgelegt und das verheißt oft nichts Gutes. Ohnehin sind Energiepreissteigerungen oder die Verteuerung der Lebensmittel infolge des Krieges in der Ukraine für uns alle spürbar. Und dabei wird man das Gefühl nicht los, dass es alles andere als gerecht zugeht bei der Verteilung der Lasten der Krise. Ölkonzerne machen noch mehr Profite als sonst, während nach der Pandemie und mit Beginn des Krieges in der Ukraine in manchen Branchen, bei kleinen Unternehmen und in den Kommunen von Erholung keine Rede sein kann.

Nun soll der Stabilitäts- und Wachstumspakt noch bis Ende 2023 ausgesetzt bleiben, was nun endlich einmal eine gute Nachricht ist, damit Investitionen nicht weiterhin ausgebremst werden, vor allem solange der Klimawandel voranschreitet ohne nachhaltige politische Gegensteuerung. Wir könnten auch gut ohne diese Europäische Schuldenbremse leben und würden nicht nur antizyklisch in harten Krisenzeiten auf mehr staatliche Investitionen setzen. Auf jeden Fall will die Kommission nach der Sommerpause Leitlinien für mögliche Änderungen für die wirtschaftspolitische Steuerung vorlegen. Genau genommen sollten wir hier dranbleiben, das historische Fenster nutzen und nicht erst im Europawahlkampf linke Perspektiven für eine finanz- und wirtschaftspolitische Steuerung der EU stark machen, um nicht auf Krisen- und Sonderklima-Programme angewiesen zu sein, sondern auf eine nachhaltige Grundsteuerung einer investitionsfreudigen Politik, die öffentliches Eigentum an Infrastrukturen stärkt und Beschäftigung stützt.

Plenum I: Fit for 55

Martin Schirdewan | Foto: © EUROPEAN UNION 2020

„Das ganze Paket, so wie es jetzt auf dem Tisch liegt, ist enttäuschend und einfach nicht ambitioniert genug, um wirklich etwas beim Klimaschutz zu bewirken. Vor allem die soziale Dimension wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Der Sozial- und Klimafonds entpuppt sich als Feigenblatt, wenn es darum geht, Haushalte mit kleinen Einkommen zu entlasten.”, konstatierte Cornelia Ernst, unsere energiepolitische Sprecherin, schon vor der Debatte und der Abstimmung im Europaparlament in der vergangenen Woche. Die Plenarwoche sollte dann auch noch genutzt werden, um weitere Interessen der Lobbyisten gegen das Klimapaket durchzusetzen. Am Ende blieben die Enttäuschung und die Einschätzung: „Das angeblich ambitionierteste Klimaschutzpaket der EU ist so bis zur Unkenntlichkeit verwässert und dem Klimaschutz ein Bärendienst erwiesen worden. Das war für DIE LINKE untragbar. Zum Glück konnten wir den Angriff der Lobby und der Antiklimaallianz vorerst gemeinsam mit anderen Progressiven abwehren. Jetzt muss wieder neu verhandelt werden.“

„Dadurch verlieren wir wichtige Zeit im Kampf gegen den Klimawandel. Auch der so wichtige ‚Soziale Klimafonds‘ konnte deshalb nicht beschlossen werden. Es ist eine Schande, wie die Antiklimaallianz von Konservativen, Liberalen und Rechten auf Geheiß der Wirtschaftslobby agiert hat im EP. Wir werden weiter mit an der Seite der Klimabewegung für entschlossenen und sozialen Klimaschutz kämpfen.“

Plenum II: Ratsgipfel Ende Mai 2022 in der Kritik

Demonstration gegen den Krieg, Brüssel 27. März 2022 | Foto: LINKE BO Brüssel, Roland Kulke

Am Mittwochvormittag standen Ergebnisse der jüngsten Ratssitzung auf dem Programm der Debatten und Abstimmungen im Europaparlament. Nach dem Beschluss des 6. Sanktionspakets gegen Russland müssen Sanktionen immerhin auch danach bewertet werden, was sie tatsächlich leisten und wie wir in den Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit von russischem Öl bewältigen. „EU-Sanktionen müssen ganz klar auf Putin und seinen Machtapparat zielen. Für die Sanktionen sollen nicht die Einwohner*innen in Städten wie Schwedt und Leuna bezahlen müssen. Deshalb brauchen wir staatliche Garantien, die den Menschen in den Regionen der EU helfen, die am meisten von den Sanktions-Paketen gegen Russland betroffen sind.“, so Martin Schirdewan.

In diesem Zusammenhang machte er einmal mehr die Übergewinnsteuer stark, die nicht nur in einzelnen Mitgliedstaaten, sondern europaweit ein sinnvolles Instrument wäre, um die Krisenbewältigung gerechter zu gestalten. Immerhin war der Europäische Rat am 30. Mai 2022 übereingekommen, das sechste Sanktionspaket gegen Russland sowohl auf das Rohöl als auch auf Mineralölerzeugnisse anzuwenden. Für Rohöl, das über Pipelines geliefert wird, wird eine vorübergehende Ausnahme gelten. Im Falle plötzlicher Lieferunterbrechungen werden Sofortmaßnahmen ergriffen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

LUX-Film-Preis: The winner is „Quo vadis, Aida?”

VA-Ankündigung 13:April 2022 | STÄNDIGE VERTRETUNG DES EP IN BERLIN

Einerseits waren in diesem Jahr alle nominierten Filme ganz besondere Produktionen. Andererseits ist es angesichts des Krieges in der Ukraine kaum verwunderlich, wenn ein Film über die Massaker 1995 in Srebrenica gewinnt. Damals schauten sogar internationale Organisationen weg, wie die stationierten Blauhelme in Bosnien, als schwere Kriegsverbrechen begangen wurden und zugleich wurde dieser Krieg schneller als erwartet auch aus den Europäischen Erinnerungen gelöscht. Allein deshalb ist es wichtig, dass es diesen Film gibt, und wir aus unseren Fehlern gemeinsam lernen. Martina hatte Mitte April zum LUX-Film-Tag in Berlin zur Geschichte des LUX-Preis und auch speziell zum Gewinnerfilm im Berliner Kino Babylon gesprochen. Die Preisverleihung des LUX-Publikumspreises fand am 8. Juni 2022 im Europäischen Parlament in Straßburg statt.

Nach „Quo vadis, Aida?” ging der animierte Dokumentarfilm „Flee” auf das “Treppchen” und der 3. Platz ging an „The great freedom“, ein schwerer und düsterer Film über einen Protagonisten, der sein Leben im KZ und nach dem Krieg im Knast verbrachte, nur weil er schwul war. Als der 175er Paragraph dann fiel und er plötzlich frei war, geschieht etwas Unglaubliches…

Alle Filme können in Streams und auch Kinos europaweit gesehen werden. Martina kommentierte das 2022er Filmpreisjahr: „Krieg, Flucht, queere Geschichte und politische Herausforderungen in starken Erzählungen und Bildern zeigen erneut: EU-Filmförderung braucht unseren Einsatz!“

Bauhaus-Fest in Brüssel

Nein, es geht nicht um das historische Bauhaus, sondern das Neue Europäische Bauhaus, eine Initiative der EU-Kommission, die städtische, gebaute Umwelt in inklusive Konzepte verwandeln will. Martina war hier Berichterstatterin des Regionalausschusses, in dessen Stellungnahme besonders die Rolle der Kommunen, des öffentlichen Raumes und des bezahlbaren Wohnens im Mittelpunkt standen. Der große gemeinsame Bericht des Industrie- und Kulturausschusses ist noch in Arbeit und wird in Kürze dann auch dem ganzen Parlament vorgelegt. Nach der Erprobungsphase und ersten Beteiligungsaufrufen gab es in der vergangenen Woche erstmalig ein Fest mit Symposien und Ausstellungen, um dies nun fortgesetzte Programm bekannter zu machen, aber zugleich auch europaweit zu zeigen, woran die Initiative anknüpfen kann und was alles schon entstanden ist.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.