Martinas Woche 22 – 2021: Plattformen einhegen, aber nutzerfreundlich

MdEP Martina Michels | Foto: THE LEFT

Martina Michels, Konstanze Kriese

Medienaktionsplan – Kommissarin im Regionalausschuss zu Gast – DSA/DMA: zwei Gesetzesvorhaben zur Plattformregulierung – Regi-News – Soloselbständige in der EU

Der Plenumswoche Mitte Mai folgte eine Ausschusswoche, in der intensiv an angelaufenen Gesetzesvorhaben gearbeitet wurde. Wir wollen diesmal einige etwas ausführlicher vorstellen, z. B. den Digital Service Act (DSA) und den Digital Market Act (DMA), die uns ganz sicher die kommenden ein bis zwei Jahre ausgiebig beschäftigen werden. Dabei geht es darum, die großen Plattformen einzuhegen. Allerdings nicht so, dass dann allein andere Player „wieder Land sehen“, unabhängige Newsportale, Presseverleger u. a. Wir brauchen genauso einen Blick auf Nutzer*innen und Verbraucher*innen, auf Datensparsamkeit und -schutz, Netzneutralität und ein Urheberrecht, das so geregelt wird, dass die Zugänge zu Kultur, Bildung, Wissen und Information unkompliziert bleiben und auch nicht eine der heute üblich gewordene „Zahlungsweisen“ mit den persönlichen Daten weitergeführt wird. 

Wir schauen auch zur Aussprache zum Medienaktionsplan und zu einem ganzen Bündel von Themen, die im Regionalausschuss verhandelt wurden. 

Last but not least wollen wir nochmals die Situation Soloselbständiger beleuchten, die in dieser Woche in einer fraktionsübergreifenden Veranstaltung des Europaparlaments zu Wort kamen. 

Kulturausschuss verständigt sich zum Medienaktionsplan der Kommission

Gegenüber dem Comikmuseum in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Am Donnerstag vormittag verständigte sich der Kulturausschuss zum – am 3. Dezember 2020 – veröffentlichten Medienaktionsplan der EU-Kommission. Mit dem Plan sollen gleich zwei Aufgaben gelöst werden. Einmal ist nicht zu übersehen, dass auch der Mediensektor in mehrfacher Hinsicht während der Corona-Pandemie gelitten hat. Werbeeinbrüche der Filmproduzenten und Newsmedien belegen die Schwierigkeiten, die nicht erst seit der Pandemie existieren, nun aber den Trend verstärkten, dass die großen Plattformen ihre Marktmacht weiter ausbauen konnten. Zugleich beobachten wir – auch unabhängig der Pandemie –, dass Printsparten und ein Teil der analogen Medien zwar Online-Geschäftsmodelle entwickelt haben, aber ihren Platz im Netz kaum ausbauen können. Die audio-visuellen TV-Medien sind hier sogar in besonderer Weise in einem Zangengriff zwischen traditionellen Playern und Plattformen, da sie in vielen Ländern einen Teil der Filmproduktion entweder durch Werbeeinnahmen oder eine besondere Produktionsförderung mitfinanzieren.

Der Aktionsplan versucht nun, sowohl die pandemiebedingten Einbrüche durch Recovery- und Investitionsfonds wie ReactEU u. a. aufzufangen, als auch die langfristigen Veränderungen in den Geschäftsmodellen von Presseverlegern bis zu TV-Medien anzugehen. Doch der Plan und auch der vorgelegte Berichtsentwurf des Kulturausschusses lassen eine andere Seite der Medienentwicklung etwas unterbelichtet, nicht in den Worten, doch am Ende in den vorgeschlagenen Maßnahmen. Es geht um die Förderung jener Medienfreiheitsprojekte, die sich europaweit mit der bedrohten Medienlandschaft, der Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten verschrieben haben. Das sind selbstredend niemals kommerziell tätige Initiativen und trotzdem unbedingt notwenige Einrichtungen, genau wie der Erhalt einer öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft, um substantiell auch Fakenews und einem Journalismus der reinen Quote den Kampf anzusagen. Ohne deren Förderung berauben wir uns wichtiger Kontrollinstanzen demokratischer und unabhängiger Medien. Martina sprach deshalb in der Debatte am Donnerstag (hier im Video) zu notwenigen Änderungsanträgen, die sie in die Erarbeitung dieses Berichtes einbringen wird.

Regionalpolitik im Mai: Stand der Kohäsionspolitik – Just Transition Fonds – Brexit Reserve – Neue Bauhaus Initiative   

In einem ganzen Bündel berichten Nora Schüttpelz und Martina Michels von den laufenden Arbeiten des Regionalausschusses und Ihr könnt im Detail weiterführende Informationen hier finden.

Aussprache mit Kommissarin Elisa Ferreira zum Stand der Kohäsionspolitik

Die für Kohäsion und Reformen zuständige EU-Kommissarin Elisa Ferreira und die Europaabgeordneten im Ausschuss für regionale Entwicklung (REGI) kamen am Dienstag, 25. Mai 2021 zu einer Aussprache über den Stand und Perspektiven der Kohäsionspolitik zusammen. Die Besorgnis über die Verzögerung bei der Programmplanung der Kohäsionsfonds war sowohl auf Seiten der Kommission als auch bei den Parlamentarier*innen der entscheidende Diskussionspunkt.

„Leider gibt es Verzögerungen bei den Programmen für den Zeitraum 2021-2027, da sich die Mitgliedstaaten bislang auf ihre Aufbau- und Resilienzpläne konzentriert haben“, sagte die Kommissarin den MdEP. Sie betonte außerdem, wie wichtig es sei, regionale Akteure in die Planung und Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität einzubeziehen. 

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Userrechte stärken – BigTech breche | MARTIN SCHIRDEWAN

Was verbirgt sich hinter Digital Service Act (DSA) und dem Digital Market Act (DMA)

Nachdem die EU-Kommission 2014 verstärkt die Digitalisierung entdeckt hat, vieles, vom einfachen elektronischen Geschäftsbetrieb, über Roaming-Gebühren, den Schutz der Netzfreiheit und den Datenschutz bis zum Urheberrecht, neu regelte, steht sie mit dieser Legislatur vor zwei neuen riesigen Aufgaben, die eng mit der Digitalisierungspolitik verknüpft sind. Einmal geht es um den Umgang mit Künstlicher Intelligenz, zum Kulturbereich haben wir dazu schon berichtet, und zum zweiten musste sich auch die Kommission der Tatsache zuwenden, dass der detaillierte Regelungsbedarf bei immer ein und demselben Problem an seine Grenzen stößt. Es geht um die überfälligen Regulierung der großen Plattformen, der Big Five oder auch GAFAM-Imperien (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft). Diese sind längst so riesig, dass nationalstaatliche Regulierung ohnehin absurd erscheint, aber selbst der Binnenmarkt der EU hier spät „aus den Puschen“ kommt, wie man mal lapidar formulieren könnte. In der Grenzgängerin Nr. 3 hatte Markus Baum (ab S. 92) einen Essay zur entstandenen Marktmacht der GAFAM-Konzerne vorgelegt, der vor allem verdeutlich, wie tief die Herrschaft von Daten und Algorithmen längst unseren Alltag bewegt.

Wie demokratiegefährdend diese Situation ist, zeigt sich nicht nur in dem vorangegangenen Punkt, der veränderten Medienlandschaft, deren komplette Auffindbarkeit im Netz vom Wohl und Wehe der großen Plattformen abhängig ist. Die großen Plattformen haben schon mehrfach „die Instrumente gezeigt“, wenn ihnen Regulierungen nicht passten. So beim Leistungsschutzrecht in Spanien, indem sie Google News einfach schlossen und damit Umsatzeinbrüche der Tagespresse zeitigten (was an dieser Stelle jedoch keine Befürwortung eines Leistungsschutzrechtes als passende Regulierung einschließt) oder in Australien, wo die Regelungen zwischen Murdoch und Facebook zu Einigungen führten, die derart nutzerunfreundlich sind, dass sie hoffentlich in Europa keine Nachahmung finden. Unterm Strich darf nämlich nicht passieren, wenn wir Plattformen regulieren wollen, dass nur am Markt zu den traditionellen Playern (Zeitungen, TV-Stationen, Filmproduzenten) hin umverteilt wird, aber der Zugang und die Datensicherheit für Nutzerinnen und Nutzer dabei am Ende auf der Strecke bleiben. Diese Debatte kennen wir schon aus den Gesetzgebungen zum Urheberrecht. Und auch das kocht derzeit in den geplanten Regulierungsvorhaben DSA (Digital Single Act) und DMA (Digital Market Act) wieder hoch. Und da sind sie also auch alle wieder im Anmarsch, die gut vernetzten Lobbyisten der Presseverleger, der Filmindustrie, der Radio- und TV-Kanäle, aber auch (und zu Recht) der Daten- und Verbraucherschützer und viele mehr.

Klassisch werden diese Themen in Industrie-, Verbraucher- und Justizausschüssen behandelt. Auch das kennen wir schon vom Urheberrecht. Doch auch der Kulturausschuss ist allein wegen der Fülle der medienpolitischen und urheberrechtlichen Fragestellungen aufgefordert, an den Gesetzesvorhaben mitzuarbeiten, und hat damit auch mit gebündelten Stakeholder-Dialogen begonnen.

Martinas Delegationskollege und Fraktionsvorsitzender hat die großen Linien der Fragestellungen noch einmal in einem Video zusammengefasst.

Veranstaltungsankündigung für den 26. Mai 2021 | THE LEFT, Press Unit

Der Verfassungsblog hat eines der bisher ungelösten Probleme der europäischen Governance besprochen und hier könnt Ihr alles finden, was die Kommission bisher veröffentlicht hat. Im Juli 2021 werden die Entwürfe im Kulturausschuss vorliegen und wir werden ab da ausführlicher zu Detailfragen der Gesetzesvorhaben berichten, da Martina für beide Vorhaben Schattenberichterstatterin im Kulturausschuss ist.

Screenshot des Auftakts der Veranstaltung mit der der UNESCO-Vertreterin, 26. Mai 2021

Soloselbstständige in der EU – Aussprachen, ein Aufruf, Studien und mehr

Alexis Georgoulis spricht als MdEP und Schauspieler in der Debatte

In dieser Woche fand eine fraktionsübergreifende Veranstaltung statt, in der es – gleich einer Ausschussdebatte (auch in dieser Woche) – nochmals um die Lage der Kulturproduzenten während und nach der Corona-Pandemie ging. Nicht nur ein massiver Umsatzrückgang der Branche bis zu 70-80 % im Jahre 2020, die immerhin ansonsten über 4 % des Europäischen Inlandsproduktes erwirtschaftet, ist derzeit zu konstatieren. Die Pandemie verdeutlichte darüber hinaus, dass die Lage der Beschäftigten mit einem enorm hohen Anteil an Selbständigen dazu führte, dass diese auch noch zusätzlich von coronabedingten Sozialtransfers ausgeschlossen wurden, weil sie je nach Bedarf als Unternehmer*innen zählen und daher nicht in den Regelwerken der Arbeitslosenversicherung auftauchen. Außerdem – wie zum Beispiel in Deutschland – verloren sie ihre langjährige, besondere Krankenversicherung als Künstler*innen, weil sie anderen Tätigkeiten zur Existenzsicherung nachgehen mussten oder Grundsicherung beantragten und damit einen entscheidenden Teil ihrer sozialen Berufsanerkennung verloren.

Endlich tut sich etwas und auch hier gilt es, nicht nur Wege aus der Pandemie zu sichern, sondern nachhaltig etwas für die soziale Absicherung dieser Beschäftigungsarten zu tun. In der Veranstaltung wurde extra nochmal darauf verwiesen, dass das Europäische Recovery-Programm für Beschäftigungsförderung SURE die Soloselbständigen nicht ausschließen soll, denn genau dafür hatten wir uns vor der Verabschiedung auch eingesetzt.

Wir sind gerade in der letzten Phase einer Studie zum Thema, um mit den Ergebnissen in Veranstaltungen im 2. Halbjahr weiter zu arbeiten. Konstanze Kriese hatte zur Grundsituation dazu kürzlich in der Grenzgängerin einen längeren Artikel verfasst (im Link ab S. 56), auf den wir schon einmal verwiesen hatten, und es gibt von der anarchistischen Gewerkschaft FAU einen Aufruf, die Lage der Soloselbständigen endlich europäisch anzupacken. Hier müssen wir dran bleiben, mehr politische Öffentlichkeit schaffen, damit sich mehr bewegt als das Entsetzen im Vierteljahrestakt im Feuilleton zu formulieren. Dabei lohnt derzeit in Deutschland sicher auch ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien, aber auch in die Praxis der Bundesländer, die kulturpolitisch sehr unterschiedlich durch die Pandemie navigierten, obwohl sie die ausbleibenden Bundeshilfen damit nicht ersetzen konnten, Nun jedoch fließt auch die EU-Recovery.-Unterstützung in die Mitgliedsstaaten, auch wenn das dann die nationalen Regierungen oft gern für sich behalten, wenn Förderungen wirklich greifen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.