Martinas Woche – 21/2021: Links wirkt – Europaparlament will Impfpatente freigeben

„RONDO“, die futuristische Passerelle vor´m Belgischen Nationalparlament, Büssel | Foto: Konstanze Kriese

Martina Michels, Konstanze Kriese

Pandemie – Seenotrettung – IDAHOBIT2021 – Belarus – Israel-Palästina – KI und Kultur – Creative Europe – Just Transition Fonds – Facebook und der Datenschutz

Wir melden uns nach einer kleinen Pause zurück.

Unser Büro war etwas unterbesetzt, so dass wir zwar die laufenden Arbeiten in den Ausschüssen und Veranstaltungen gestemmt haben, aber zusammenfassende Berichte liegen bleiben mussten.

Letzte Woche tagte des Europaparlament, so die Planung, ein letztes Mal in Brüssel, bevor es wieder nach Straßburg gehen soll. Und das Programm hatte es in sich.  

Martina fuhr allein mit vier Reden im Gepäck zum Plenum und startete gleich am Montag in einer Aussprache zum Just Transition Fonds. Am Dienstag folgte dann, nach der Aussprache zu den EU-Türkei-Berichten, eine Debatte zum eskalierten Nah-Ost-Konflikt, zu dem Ende der Woche mit einem Waffenstillstand vorerst Raum für die ausbleibenden Lösungen geschaffen worden ist.

Der Dienstagabend dann stand ganz im Zeichen der Kultur-,  Jugend- und Bildungsprogramme für die Jahre 2021-2027 und eines Berichts zur Künstlichen Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien.  

Die Woche selbst begann mit dem Internationalen Tag gegen Homo- & Transphobie, dem IDAHOBIT, für die Anerkennung queerer Lebensweisen, was mehr verlangt als nur ihre rechtliche Gleichstellung im Personenstandwesen. Es geht auch um mehr als um Adoptionsrechte und Aufklärung über sexuelle (und auch reproduktive) Selbstbestimmung. Es geht darum, den Nährboden für Hass und Diskriminierung gegen queere Menschen auszutrocknen. Der Deutsche Bundestag verhinderte zwei Tage, nachdem von fast allen Parteien die Regenbogenfahnen geschwenkt wurden, durch die Abgeordneten der Regierungskoalition der CDU/CSU mit der SPD gemeinsam mit Stimmen der AfD, dass das entwürdigende Transsexuellengesetz endlich abgeschafft wird und einer juristisch stabilen Selbstbestimmung, mit entsprechender gesundheitlicher Versorgung, Platz macht. Im Plenum des Europaparlaments sieht es bei der Antidiskriminierungspolitik trotz des wachsenden konservativ-nationalistischen Blocks zumeist besser aus. Doch auch da ist das Erkämpfte nicht in Stein gemeißelt und braucht unsere alltägliche Unterstützung, denn queere Themen sind auch Querschnittthemen: Sie betreffen Bildung, Kultur, Medien genauso wie Gesundheits- und Antidiskriminierungspolitik im engeren Sinne.

Das zentrale Mittelmeer ist seit langem die tödlichste Migrationsroute der Welt, auf der zwischen 2014 und 2020 über 17.400 Menschen ums Leben kamen. Im Plenum gab es dazu eine Debatte, die sich logischerweise besonders mit den eigenen Versäumnisse einer humanitären Migrationspolitik der EU auseinandersetzte und auch die jüngsten Verfehlungen von Frontex zur Sprache brachte. Özlem Demirel fasste die politischen Forderungen in der politischen Debatte zusammen: Seenotrettung statt Frontex finanzieren! 

Innerhalb der EU brodelte es politisch mit Beginn des Pfingstfestes. Einerseits freuten sich viele auf den European Song Contest, der besonders pointiert aus deutscher Perspektive von der Berliner Queergemeinde in der Siegessäule kommentiert wurde, andererseits mussten wir über die Nachrichten mit ansehen, wie in einem bisher unbekannten Akt des Staatsterrorismus die Belorussische Führung einen Journalisten verhaftet, indem sie eine Maschine zur Notlandung zwingt, die innerhalb der EU unterwegs war. Sofort ist der nachvollziehbare Ruf nach Sanktionen da, doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Um erfolgreich gegen die Verletzung von Medienfreiheit zu kämpfen, kann die EU getrost in den eigenen Mitgliedsstaaten anfangen und sie muss endlich mehr tun, damit Redaktionen sicher und Journalist*innen ohne Bedrohung und Verfolgung arbeiten können, nicht nur in Belarus. 

Pandemie: Impfpatente freigeben! Das Parlament schließt sich der linken Fraktion an

Links wirkt. Wer hätte es gedacht, dass das Parlament, wenn auch knapp, einem Änderungsantrag der Linken zur Aussetzung der Patente für die Covid19-Impfstoffe zustimmt, dann aber auch mit sehr großer Mehrheit der gesamten Resolution sein Votum gibt, indem es um den gesundheitspolitischen Umfang mit Aids ging?

Das war nicht nur eine Überraschung. Es war schon eine kleine Sensation! Denn nun ist der Ball klar bei der Kommission und den – auch international – auf die Bremse drückenden Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland und Frankreich. Vor der Abstimmung gab es schon eine Aussprache zum Umgang mit der Pandemie, weltweit, in der Helmut Scholz gesprochen hatte. Die Abstimmung für die Freigabe wurde dann nach den Abstimmungsergebnissen vom Mittwochabend am Donnerstag-vormittag bekannt gegeben.

Oft wird zur Patent- und Lizenzfreigabe argumentiert, dass diese Forderung plumper Populismus sei, denn die Produktion ist derart aufwändig, dass das Wissen um die Patente das Problem des Impfstoffengpasses nicht lösen könnte. Das ist eine ziemlich verkürzte Argumentation, weil man mit der Freigabe ganz genauso die Förderung einer hochqualifizierten Produktion politisch unterstützen kann und muss. Die Pandemie wirklich weltweit anzugehen, erfordert natürlich auch den politischen Willen dazu. Es ist eben nicht damit getan, nur die Impfstofferforschung mit öffentlich Geldern zu unterstützen. Die Politik muss eine Produktionsförderung und eine Liefervertragsgestaltung mit den Pharma-Herstellern in Angriff nehmen, die eine gerechte Verteilung weltweit nach sich zieht. Sonst ist auch alle Mühe für die Beschaffung der neuen Impfstoffe in der EU umsonst gewesen, wenn der globale Süden zu wenig Impfstoffe bekommt und damit die Pandemie am Ende unendlich verlängert wird, ganz abgesehen von der verantwortungslosen Verweigerung, Menschen in ärmeren Regionen mit Impfstoffen und Medikamenten in ausreichender Menge zu versorgen.  

Fonds für den gerechten Übergang (JTF): besonderes Programm für eine CO2-neutrale EU

Klimaneutrale Kreislaufwirtschaft wird ohne den Ausstieg aus der Verstromung fossiler Brennstoffe nicht möglich sein. Der Abschied von Kohle und Gas ist zugleich eine soziale und wirtschaftliche Herausforderung, denn der Strukturwandel betrifft immer ganze Regionen, die eineinhalb Jahrhunderte der Erde die Kohle entrissen und deren Wohlfahrt oft mit den Tage- und Tiefbauen eng verknüpft waren. Sie brauchen Zukunft, neue Jobs, keinen Ersatz, sondern eine komplette Neuorientierung, die von den Menschen getragen werden muss, im Alltag, wirtschaftlich, sozial und kulturell. Der JTF soll helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Martina sprach in der Debatte darüber, wo es besonders klemmt, nämlich an der unzureichenden Finanzierung. Sie betonte auch, an welcher Stelle die Debatten zu sinnvollen Lösungen gekommen sind, nämlich keine sogenannten Brückentechnologien, wie Gasförderung weiter zu fördern. Die Rede von Martina und die angenommenen Dokumente, sowie den Verteilschlüssel auf die Europäischen Mitgliedsstaaten findet ihr im Link.

Naher Osten – Israel-Palästina: im Fokus die Strategie der EU

Am Dienstag, am späten Nachmittag, begann die Debatte um Lösungen angesichts der erneuten Eskalation im beinahe klassischen Teil des Nah-Ost-Konflikts, den Konflikten zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebiete, speziell in dem von der Hamas dominierten Gazastreifen. Die Kurzzusammenfassung des Zugangs von Martina lautet: Raketenbeschuss aus GAZA und von der IDF stoppen! – Antisemismus stoppen! – Vertreibung stoppen! – Friedenskräfte auf allen Seiten stark machen! In eine einmütige Rede passt nicht die Vielschichtigkeit des Konflikts, die seit 15 Jahren vorenthaltenen Wahlen in Palästina, die unendlichen Wahlen in Israel ohne stabile Regierung – das ist nur ein Ausdruck der ungelösten politischen Konflikte und der Zerrissenheit auch jeweils im Inneren der Gesellschaften, die sich – leider nicht nur bei den politisch Herrschenden – so verfeindet gegenüberstehen. Doch es gibt auf beiden Seiten Menschen, die die Eskalationen satt haben, die vor allem die Lösungsverweigerung der Regierungen nur noch abstößt, denn sie sind am Ende auch die Leidtragenden. In Tel Aviv gingen inzwischen Zehntausende auf die Straßen und demonstrierten für ein Ende der Gewalt, für einen Waffenstillstand, aber auch für tragfähige Lösungen. Doch genau bei Letzterem bewegt sich seit Jahren nichts. Trump hat mit seiner Israel-Politik Flurschäden hinterlassen, Netanyahus neue Freunde im Nahen Osten haben sich aus der Eskalation rausgehalten. Die EU setzt auf Oslo ohne endlich zu hinterfragen, wie die Zweitstaatenlösung aktuell noch tragfähig gestaltet werden kann und wer sie vor Ort mitträgt. Martina betonte daher in ihrer Rede, dass es keine Lösung geben wird, die die Sicherheit Israels nicht mit den Rechten der Palästinenser*innen zusammen denkt. Ihre Rede wurde auch bei Phönix übertragen.

Kulturpolitik I – Creative Europe 2021-2027 kann starten

Drache am Strand | Foto: Konstanze Kriese

Lang hat es gedauert. Seit 2018 wird das neue Programm diskutiert und die Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission dauerten selbst eineinhalb Jahren, wurden zwischendurch unterbrochen und endlich, im November 2020, mit einem achtbaren Ergebnis bei einer etwas besseren Finanzierung als in den letzten sieben Jahren abgeschlossen. Creative Europe ist das einzige Kulturprogramm der EU, was allerdings nicht bedeutet, dass Kultur nicht auch aus anderen Töpfen gefördert wird. Trotzdem: Es ist unterfinanziert, auch wenn Kultur in die Hoheiten der Mitgliedsstaaten gehört. Der europäische Kulturaustausch ist kein Selbstläufer, das hat die Pandemie doppelt gezeigt und: Soll Kultur ein echter Motor unserer demokratischen Debatten sein, auch verstören, zuspitzen und Zukünfte durchspielen, dann brauchen wir mehr als Lux-Filmpreise, gut ausgestattete Festivalbegegnungen und die vielen nützlichen Möglichkeiten, die mit dem inklusiveren und geschlechtergrechteren Programm jetzt in der Filmproduktion, in Musik, Theater, Literatur, Kulturerbe, Architektur- und Medienprojekten fortgesetzt werden können. Martina fasste diese Quadratur des Kreises in ihre Rede und der anschließenden Pressemeldung, aus der auch in der ZEIT zitiert wurde, zusammen.

Kulturpolitik II: Künstliche Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien

Martina Michels in der Aussprache 18. Mai 2021 im Europaparlament | Screenshot: Konstanze Kriese

Kurz vor Mitternacht sprach Martina dann am Dienstag zum Initiativbericht der Ausschussvorsitzenden Sabine Verheyen (CDU), der sich mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien auseinandersetzt. Weder naiv, noch unkritisch listet der Bericht auf, wo es hakt, was beim empfindlichen Digitalen Gender Gap bei der Programmierung von Algorithmen beginnt und bei der Platzierung und rasanten Verbreitung von Deep Fakes im Netz längst nicht zu Ende ist. Die Pandemie hat nochmal deutlich gezeigt, was alles an Fake-News getrost verbreitet werden kann und durchaus politische Radikalisierungen nach sich zieht. Besonders empfindlich ist der Einsatz von KI in der Bildung. Sicherlich kann er segensreich zur Barrierefreiheit beitragen, Sprachenlernen unterstützen u. v. m., doch Bewertungen müssen in der Hand der Lernenden und Lehrenden bleiben und ersetzt werden können die analogen Lernerfahrungen auch nicht.

Deshalb gibt es im Bericht auch einen klaren Vorschlag an die Kommission: Erkennt den Bildungsbereich als Hochrisikobereich an, damit er strengen politischen Regulierungen unterworfen wird! Die Berichterstatterin ruderte in der Aussprache angesichts der Mehrheit für diesen Vorschlag fast ein wenig zurück, doch es wird einfach Zeit, dass sich die Kommission mit einer ethischen, transparenten, diskriminierungsfreien und datenschutzsicheren KI nicht nur bei selbstfahrenden Autos, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen, in denen KI längst im Einsatz ist, beschäftigt. Martinas Rede könnt ihr hier hören und die Presseerklärung zur Abstimmung nachlesen

Datenschutz-Kommissar gegen Facebook – Wie weiter mit dem Datenschutz in der EU?

Die Plattformregulierung ist ein Dauerthema in der EU, vor allem in den beiden kommenden Gesetzesvorlagen, dem DSA (Digital Service Act) und der DMA (Digital Market Act), der – wie oft bei solchen Themen – derzeit viele Ausschüsse beschäftigt, nachdem die Kommission hier im Dezember ihre Regulierungsvorschläge auf den Tisch legte. Am Donnerstag fand jedoch eine Aussprache zum Thema „Angemessener Datenschutz“ statt, der letztlich auch in den genannten Regulierungen vorkommt, jedoch auch weit darüber hinaus geht.

Im Fokus standen zwei Resolutionen des Innenausschusses (LIBE). Die erste Resolution beschäftigte sich mit dem „Schrems II“-Urteil (Data Protection Commissioner gegen Facebook Ireland Limited und Maximillian Schrems („Schrems II“) – Rechtssache C-311/18). Sie begrüßte, dass das Gericht frühere Urteile bestätigt hat und stellte erneut fest, dass die Gesetze und Praktiken der Massenüberwachung in den USA nicht mit der EU-Grundrechtecharta übereinstimmen. Was noch diskutiert wurde, fasste Cornelia Ernst, die in der Debatte zu Wort kam, zusammen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.