Martinas Woche 17 – 2023

Gewerkschaften luden zum 1. Mai in Brüssel auf den Mont des Arts | Foto: Konstanze Kriese

Macht und Herrschaft im europäischen Film und in der Politik

Regionalpolitik kämpft gegen Ungleichheit – Kulturpolitik mit Interessenskonflikten – LUX-Filmpreis in Berlin – Lindner bremst europäische Investitionspolitik

Martina Michels, Konstanze Kriese

Die Ausschüsse tagten und der LUX-Filmpreis hatte, organisiert von der Vertretung des Europaparlaments in Deutschland, ein eigenes lokales Festival in Berlin im Traditionskino Babylon. Wir berichten aus allen Ausschüssen, vom Filmfest und erneut von Lindners Blockaden in der Europäischen Politik.

LUX-Filmpreis in Berlin – Martina in der Debatte um Filmförderung

Debatte zu „Triangle of Sadness“ im Kino Babylon mit Martina Michels, 27.4.2023 | Foto: Konstanze Kriese

Am Mittwoch und Donnerstag zeigte das Kino Babylon in Berlin die fünf nominierten Filme des diesjährigen LUX-Filmpreises. Martina war, wie im vergangenen Jahr, zur Podiumsdiskussion am Donnerstagabend geladen, die im Anschluss an den Film „Triangle of Sadness“ von Ruben Östlund stattfand. In der Debatte ging Martina zuerst auf den Film selbst ein. Er hat viele interessante Szenen, die sofort an Themen der letzten Jahre erinnern. Zum Beispiel: Wer ist eigentlich systemrelevant und sichert real unsere Existenz, wenn wir krank oder in lebensbedrohlichen Nöten sind? Die bitter-komische Robinsonade bringt es auf den Punkt, wenn alle Schiffbrüchigen Hunger und Durst haben. Dann zählt nicht die Höhe des Bankkontos, sondern die praktische Fähigkeit, Nahrung zu besorgen, Feuer zu machen, sich zu versorgen und zusammenzuhalten. Doch der Film macht es sich nicht leicht und liefert gleich noch die Frage mit, wann Ermächtigung und Macht in Herrschaft umschlagen. Im zweiten Teil der Filmdebatte ging es auch um den Sinn des Filmpreises selbst. Der LUX-Filmpreis des Europäischen Parlaments wird seit 2007 vergeben. Für die Bewerbung und Nominierung für den LUX-Preis ist wichtig, dass die Filme aus europäischen (Ko-)Produktionen stammen und sich mit aktuellen politischen und sozialen Fragen befassen.

Vor der Debatte im Kino Babylon, Martina Michels, 27.4.2023 | Foto: Konstanze Kriese

„Dank“ der Corona-Pandemie wird der Gewinner der fünf Finalistenfilme (früher waren es drei Filme), der den Preis erhalten soll, durch die Stimmen des Publikums sowie der Abgeordneten des Europäischen Parlaments bestimmt. Das breite Publikum und die Abgeordneten zählen zu je 50 Prozent. Am 14. Juni 2023 wird die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, in der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg verkünden, wer den LUX-Publikumspreis 2023 gewonnen hat.

Auf der Seite des LUX-Publikumspreises könnt ihr alle zur Jury der nominierten Filme sehen und alle fünf Filme des diesjährigen Wettbewerbes noch einige Wochen verfolgen und bewerten.

Die Abgeordneten haben den LUX-Filmpreis im Programm Kreatives Europa gesichert, für das Martina eine der Schattenberichterstatterinnen war, somit von 2021 bis 2027, und für das demnächst die Halbzeitbilanz ansteht. Das Kultur- und Medienprogramm ist inklusiver geworden, was man auch der Filmauswahl der letzten Jahre anmerkt. Trotzdem ist das Programm Kreatives Europa hoffnungslos unterfinanziert und wir können nicht so tun, als ob es die Pandemie oder steigende Energiekosten nicht gegeben hätte und gerade die Kulturbranche davon unberührt geblieben sei. Deshalb müssen wir weiter für Aufwüchse des Programms kämpfen.

Lindner blockiert europäische Politik und ist damit eine Gefahr für die Demokratie

Martin Schirdewan | Foto: Daina Le Lardic

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner isoliert Deutschland erneut nach dem „Aus für den Verbrennermotor“ in den Einigungen des Europäischen Rates.

„Herr Lindner steht mit seiner irrsinnigen Forderung nach unflexiblen Einheitsregeln zum Schuldenabbau so gut wie alleine da. Er setzt die Kommission unter Druck, isoliert Deutschland jedoch politisch in der EU. Nach dem Debakel zum Verbrenner-Aus ist dies nun der nächste Vertrauensverlust auf EU-Ebene, den die Ampel zu verantworten hat. Die Blockadehaltung der Bundesregierung ist kein Zeichen ihrer Stärke, sondern vor allem ihrer Schwäche.“

analysiert Martin Schirdewan diese Brechstangen-Politik der Heiligkeit der Schuldenbremse.

Ausführlicher widmet sich die Zeitschrift Jacobin diesem Gebaren Deutschlands in der EU: Bereits vor dem Amtsbeginn der Ampel-Koalition warnten die Ökonomen Adam Tooze und Joseph Stiglitz vor Christian Lindner:

„Die größte Bedrohung für Europas Demokratie“, schreiben sie, „ist nicht die Einmischung durch Internet-Trolle oder andere Außenstehende, sondern eine unangemessene und zum falschen Zeitpunkt durchgesetzte Haushaltsdisziplin, die ein Minderheitsbündnis von ›Nordstaaten‹ einer Mehrheit der europäischen Wählerschaft zwangsverordnet.“,

erinnern Daphne Weber und Alban Werner in einem aktuellen Aufsatz, in dem Lindners Investitionsbremse als mehr erkannt wird, als nur eine fiskalpolitische Verirrung. Lesenswert, wie die Autor*innen herausarbeiten, worin die postulierte Gefahr dieser Politik letztlich besteht. Ihr asozialer, wirtschaftsliberaler und investitionsfeindlicher Impetus bereitet letztlich mit den Boden für rechtsradikale Verkünder*innen einfacher Lösungen, wenn Ungleichheit und soziale Spannungen zunehmen. Lindners Positionen sind damit nicht nur ein fiskalpolitisches Problem, sondern eine Bedrohung der Grundlagen eines demokratischen und sozialen und wie wir längst wissen auch eines ökologischen Europas.

Europasignet am Plenarsaal | Foto: Komstanze Kriese

Regionalpolitik – Fördern EU-Hilfen Ungleichheit? 

In der vorletzten Woche wurde im Plenum in Straßburg die Frage gestellt, ob es ungewollte Nebenwirkungen des EU-Beihilferechts für die wirtschaftliche Entwicklung in Regionen und Kommunen gibt. Dazu sprach Martina im Plenum, wir haben dazu schon berichtet.

Europa und der Stier, Skulptur im Gare Maritim, Bruxelles | Foto: Konstanze Kriese

Ebenfalls trafen sich vier Regionen, Hessen, Nouvelle-Acquitaine, Emilia Romagna und Wielkopolska, in einer Podiumsdiskussion mit der Kommissarin Elisa Ferreira. Diese Regionen haben alle von den EU-Fördermitteln profitiert, doch sie schauten auch nach vorn und damit auf anhaltende Probleme der Förderpolitik. „Denn trotz verbesserter Ansätze, Projektkosten beispielsweise verstärkt über Pauschalen abzurechnen, verschiedene Fonds kombinieren zu können und verbesserte Online-Informations-Portale, lassen sich die Strukturfondsmittel nur mit einem gewissen Maß an Expertise umfassend nutzen und letztlich auch nur mit hinreichend gut geschultem Personal.“ Weitere Problemlagen, die dem Anspruch der Angleichung der Lebenslagen in den Regionen zuwiderlaufen, skizzierten Nora Schüttpelz und Martina Michels in den REGI-News und nahmen dort auch das „Jahr der Kompetenzen“ unter die Lupe.

Kulturausschuss:  Medienpolitik und Interessenskonflikte 

Gegenüber dem Comikmuseum in Brüssel | Foto: Konstanze Kriese

Eine Woche vor dem Mai-Plenum in Straßburg, auf dem der Implementierungsbericht der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMSD-RL, engl. AVMD) abgestimmt wird, meldet sich mal wieder Politico zu Wort und fragt, ähnlich wie 2016/2017, ob es legitim ist, als Abgeordnete einen gesetzgebenden Bericht zur Medienpolitik mitzuverantworten, wenn man Mitglied in einem Rundfunkrat in Deutschland ist. Damals, zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Richtlinie war dies durchaus mehr als kompliziert, zumal der WDR-Rundfunkrat im Zuge der Konsultationen zur Richtlinie eine eigene Stellungnahme verabschiedet hatte. Für den jetzigen Implementierungsbericht hat die damals transparent und konfliktreich im Ausschuss ausgetragene Problematik eines Interessenkonflikts eigentlich keine Relevanz. Doch demnächst steht auch der wiederum gesetzgebende Medienfreiheitsakt zur Befassung im Ausschuss an, so dass die Abgeordneten, die in anderen beratenden Mediengremien tätig sind, sicher erneut die Fragen beantworten müssen, wie sie ihr Mandat davon unbeeindruckt ausüben, wenn der Rundfunkrat an den Konsultationen der Kommunikation beteiligt ist. In Politico wird aus Kammeverts aktueller Stellungnahme dazu zitiert:

Ich bin kein Aufsichtsratsmitglied in einem privaten Unternehmen. Dies scheint von Kritikern ständig verwechselt zu werden“, sagte sie in einer schriftlichen Antwort. „Die Aufgabe von Rundfunkräten ist es zu kontrollieren, ob eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt den ihr gesetzlich zugewiesenen Programmauftrag erfüllt. Bei der Ausübung dieser Kontrollfunktion sind mir die Interessen des WDR und seiner Geschäftsführung völlig egal.“ (Übersetzung: K. K.)

Die sozialdemokratische Abgeordnete Petra Kammerevert wehrt sich demnach erneut gegen die Kritik. Doch vor dem Hintergrund der jüngsten Korruptionsfälle im Europäischen Parlament, die sicher unvergleichlich zum hier von Politico erneut aufgeworfenen Problem stehen (alle Aufwandsentschädigungen der Abgeordneten waren transparent und damit ordnungsgemäß abgegeben), muss die S&D-Fraktion klare Entscheidungen treffen, die den Verdacht des Interessenkonflikts ausräumen. Denn selbst wenn hier sachlich ein Interessenkonflikt ausgeräumt werden kann, schwebt er dann doch über dem ganzen Kulturausschuss und seiner gemeinsamen Erarbeitung und  Entscheidung. Zumal, wenn man bedenkt, welche Interessen hier auch Politico als eigenes Medienunternehmen verfolgt, nämlich als US-amerikanischen Unternehmen weitere europäische Regulierungen nicht wirklich zu begrüßen. Politico wird sich hier nicht scheuen, den Machtkampf auf offener Bühne fortzusetzen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.