Martinas Woche 12/13 – 2022 

Die Sterne der EU, Skulptur unweit des Parlaments in Straßburg | Foto: Konstanze Kriese

Martina Michels, Konstanze Kriese

Europaparlament tagt in Präsenz

Plenum: Ukraine, Sanktionen, Frauen in Afghanistan, Care+ – Regionalpolitik & Plattform „Kohesio“ – Frankreichwahl – Lux-Filmpreis

In der vergangenen Woche fand das erste Plenum in Strasbourg wieder so statt wie vor der Pandemie. Die Abstimmungen füllten wie einst die Mittagszeit der Abgeordneten. Nach der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2022 fand am Dienstag die Aussprache mit der Kommission und dem Rat zu deren Antworten auf den Krieg in der Ukraine statt. Nachdem der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, an russische Soldaten appellierte, sich nicht an Kriegsverbrechen zu beteiligen, stand immerhin die seit zwei Wochen schon von ProAsyl stark gemachte Frage nach Asylregelungen für Deserteure im Raum. Die Bilder aus Butscha verlangen dringend nach Aufklärung, mit welchen Mitteln die russische Kriegsführung gegen Zivilist*innen vorgeht. Man fühlt sich tatsächlich an die Massaker in Srebrenica im Juli 1995 erinnert, dessen Aufklärung bis heute – auch insbesondere der Rolle der UN-Truppen dabei – nicht beendet ist. Derzeit mehren sich Anzeichen, dass russische Soldaten Befehle verweigern. Hier muss das Recht auf Asyl sofort greifen.

Plenum I: Das 5. Sanktionspaket und die Vorsorge für Gasspeicherung in der EU

Strasbourg: Europaparlament, Blick vom Gerichtshof für Menschenrechte | Foto: Konstanze Kriese

Sanktionen und Waffenlieferungen standen ebenfalls erneut im Fokus der Aussprache, ebenso die weltweiten politischen, ökonomischen und sozialen Folgen des Krieges, insbesondere die drohenden Hungersnöte in Afrika. Und natürlich ging es um die Unabhängigkeit besonders von russischem Öl und um die vielen Baustellen, die durch das derzeitige Ausbremsen einer nachhaltigen Klimapolitik und einer abenteuerlichen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, wie sie mit dem „strategischen Kompass“ begonnen wurde, entstanden bzw. geblieben sind. Von der Leyen stellte Einzelheiten des 5. Sanktionspaketes vor, mit dem Kohle- und Holzimporte gestoppt werden, weitere Transaktionsverbote für russische Banken ausgesprochen wurden sowie ein Anlegeverbot für russische Schiffe in europäischen Häfen verbunden ist und der weitere Verzicht des Exports von Hochtechnologie erweitert wurde. Um den Folgen der Sanktionen für die Mitgliedstaaten in der EU zu begegnen, stimmte das Parlament über Pläne der Kommission ab, wonach die Gasspeicher in den Mitgliedsstaaten der EU bis November 2022 zu 80 Prozent gefüllt sein müssen. Dieser Wert soll in den Folgejahren auf 90 Prozent ansteigen. Ziel müsse sein, dass private Haushalte und Unternehmen für die nächste Heizperiode über ausreichend Gas verfügen. Özlem Demirel kritisiert die Sanktionspakete und die damit verbundenen neuen Weichenstellungen in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU.

Plenum II: Schutz von Kindern in der Ukraine und in den Zufluchtsländern

„Die EU-Mitgliedsstaaten müssen alles dafür tun, Kinder und junge Menschen auf der Flucht besonders vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu schützen. Ein Kind ist ein Kind, unabhängig davon, warum es sein Zuhause verlässt oder woher es kommt. Wichtig ist, dass besonders schutzwürdige Gruppen, wie LGBTIQ-Kinder, staatenlose Kinder und Kinder aus der Roma-Gemeinschaft nicht vergessen werden und angemessen ihrer Bedürfnisse betreut werden, bei der Registrierung, Unterbringung und Versorgung in der EU.“, kommentiert Cornelia Ernst die Debatte am Dienstag zum besonderen Schutz von Kindern, die aus der Ukraine mit ihren Familien, aber auch als unbegleitete Minderjährige fliehen. Europol hat zudem eine Taskforce gegen Menschenhandel eingerichtet. Kommissarin Johansson forderte einen Aktionsplan gegen Menschenhandel. Das Parlament hat dazu am Donnerstag eine Entschließung verabschiedet.

Plenum III: Frauen in Afghanistan – „Ich will gar keine Freiheit, ich will nur in die Schule gehen“

Filmplattform für Frauen aus Afghanistan – Fraktionssitzung The Left, 5.4.2022 | Foto: Konstanze Kriese

Unser Fraktion begrüßte am Dienstag Sahar Nasiri, die als Mitarbeiterin unserer linken Abgeordneten für den LIBE-Ausschuss tätig ist und uns schon lange zur Lage von Frauen in Afghanistan informiert, da sie zugleich die EU-Afghanistan-Delegation von Staff-Seite aus betreut. Das Parlament verhandelte eine gemeinsame Resolution zu den Frauenrechten in Afghanistan.

Sahar Nasiri zeigte uns eine Film, in dem Frauen aus Afghanistan selbst zu Wort kamen. Sie bezogen sich dabei auf die inzwischen erlassenen Dekrete in Afghanistan, die Mädchen das Lernen und Lehrerinnen das Unterrichten verbieten. Sahar berichtete, dass die Taliban in dieser repressiven, patriarchalen Strategie erst selbst zerrissen waren, doch der noch traditionellere Süden setzte sich durch. Nun fragen sich Eltern, ob sie überhaupt im Land bleiben sollen oder besser auswandern, um ihren Kindern Bildung zu ermöglichen. Das Verbot, so Sahar, lässt sich in keiner Weise durch den Islam begründen. Geistliche Führer haben diese neuen Dekrete weltweit verurteilt. Das Ergebnis: Frauen „können“ nur Kinder bekommen und das Haus putzen in dieser politischen Landschaft, und so verwundert es kaum, wenn eines der jungen Mädchen im Film sagt: „Ich will gar keine Freiheit, ich will nur in die Schule gehen.“

Care+ im Regionalausschuss, Neues Europäisches Bauhaus und die Plattform „Kohesio“

Städte wie Berlin und Köln sind erprobt bei der Hilfe für Flüchtende. Doch wenn, wie in Berlin, täglich fast 10.000 Menschen in die Stadt kommen, dann bedarf es zusätzlicher Plätze für die Unterbringung, Beschäftigungsangebote, Willkommensklassen in den Schulen, mehr Gesundheitsversorgung, sowie Betreuungsangebote für kleine Kinder. Das gilt auch in den baltischen Staaten, in Polen, Tschechien u. a. ganz besonders. Das Europaparlament entschied in dieser Plenarwoche in Strasbourg über seine Zustimmung zu einer Gesetzesänderung für das Care+-Programm. Damit wird es möglich, dass mehr Mittel aus dem REACT-EU Programm ausgezahlt werden, ein Programm, das als Antwort auf die Herausforderungen der Pandemie entstanden ist. Zusätzlich wird auch die Abrechnung der Förderungen vereinfacht.

Bei der sozialen Integration soll auch das Neue Europäische Bauhaus, eine Initiative, die auf die Kommission zurückgeht, in Zukunft einen wichtigen Platz einnehmen. Martina war hierbei die Berichterstatterin für eine Stellungnahme des Regionalausschusses und hat dafür den Entwurf einer Stellungnahme vorgelegt.

Auf einer Informationsplattform mit dem Namen „Kohesio“ kann man erstmalig die EU-geförderten Projekte aller 27 Mitgliedsländer finden. Das ist anregend und zeigt zugleich, welchen Umfang die Förderung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dem Kohäsionsfonds und dem Europäischen Sozialfonds ESF haben.

Zu den Detail der einzelnen Programme, die im Regionalausschuss behandelt wurden, findet ihr hier Details und weiterführende Dokumente.

Martina Michels im EP | Screenshot

Plenum IV: Regionalpolitik mit Care+ für Menschen aus der Ukraine

Die Aussprache zu dem bereits angeführten, sinnvollen Care+ Programm, das jetzt unmittelbar Kommunen bei der Integration von Flüchtenden helfen soll, fand dann am Donnerstagvormittag im Plenum statt. Und so sinnvoll dieses Programm ist, so muss man trotzdem die Frage stellen, warum dieses schnelle Handeln nicht generell die EU-Migrations- und Integrationspolitik bestimmt. Martina tat dies in ihrer Rede mit sehr deutlichen Worten„Ja, die Anwendung der EU-Massenzustrom-Richtlinie war ein historischer Schritt. Endlich hat sich die EU entschieden, den Ausverkauf ihrer Grundwerte zu beenden. Doch es muss an dieser Stelle gesagt werden: Menschenrechte sind unteilbar. Dieses schnelle Handeln wäre für Menschen aus den Kriegen in Syrien oder Afghanistan genauso möglich gewesen.“

Frankreich wählt die Präsidentschaft – 1. Runde

Offerbar hat es Marine Le Pen wenig geschadet, dass sie mitten im Wahlkampf tausende Flugblätter schreddern musste, auf der sie gemeinsam mit Putin zu sehen war. Die Rechtspopulistin belegt den zweiten Platz hinter Macron. Sie gehen damit in die Stichwahl„Macron kommt laut AFP nach ersten Angaben der Wahlforschungsinstitute auf 27 bis 29,7 Prozent der Stimmen. Damit liegt er in der ersten Runde vor der Rechtspopulistin Marine Le Pen, die demnach auf 23,5 bis 24,7 kommt.“ Wären sich linke Gruppierungen einig und könnten sich auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen, dann würden auch sie nahe an die 24% kommen. Immerhin erreicht Jean-Luc Mélenchon zwischen 19,8 und 20,8 Prozent der Stimmen nach den ersten Hochrechnungen kurz nach der Schließung der Wahllokale. Der Rechtsaußenkandidat, der zeitweilig Le Pen ziemliche Konkurrenz bereitete, Eric Zemmour, erreicht nur um die 7 %. Das Duell, das in 14 Tagen antritt, ist demnach dasselbe wie 2017.

Die schwierige Europäische Ratspräsidentschaft, die Macron mitten im Wahlkampf innehat, scheint von ihm fortgesetzt werden zu können. Doch sie verläuft ohnehin anders, als sich Macron dies im Januar 2022 vorgestellt hatte, als er große Pläne für den Europäischen Mindestlohn und die Digitalisierung verkündete und damals noch den Dialog zu Russland hochhielt.

Veranstaltungstipp: LUX-Filmtag in Berlin am 13. April 2022 im Kino Babylon, ab 16 Uhr

VA-Ankündigung 13:April 2022 | STÄNDIGE VERTRETUNG DES EP IN BERLIN

Alljährlich wird der Europäische Lux-Filmpreis vergeben. Und wenn wir der Pandemie etwas Positives zu verdanken haben, so ist es die Erweiterung des LUX-Filmpreises zu einem umfassenden Publikums-Preis. Alle drei nominierten Filme des Jahres 2022 sind noch bis zum 25. Mai 2022 (auch danach) online und in vielen Kinoveranstaltungen zu sehen. Jede und jeder kann darüber abstimmen, wer in diesem Jahr der Gewinner wird. 

Alle drei nominierten Filme werden am 13. April 2022 im Kino Babylon gezeigt. Hier könnt ihr euch auch anmelden. Martina wird dabei sein, um die Veranstaltung zu eröffnen und am Filmgespräch zu „Quo vadis, Aida“ teilzunehmen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.