Martinas Woche 10 / 11 – 2024

Phönix Europatalk – Making of, 13.3.2024 | Foto: Konstanze Kriese

Die EU inmitten merk- und denkwürdiger Weichenstellungen

Plenartagung – Ukraine – Medienfreiheit – Künstliche Intelligenz – Regionalpolitik – Wohnen – Frauentag – Sicherheit

Martina Michels, Konstanze Kriese

Wir dokumentieren diesmal zwei volle Wochen Europapolitik. Sowohl Entscheidungen in Brüssel, die der Europäische Rat und die Kommission vorantrieben, als auch solche, die das Plenum vergangene Woche in Straßburg traf, werden mit viel Hintergrundinformation und einer kleinen Vorausschau komplettiert. Man wird das Gefühl nicht los, dass noch einiges vor der kommenden Legislaturperiode „eingetütet“ werden soll, um zumindest schon einmal strategisch nach vorn zu schauen. Am auffälligsten geschieht dies in der Sicherheitspolitik, die beinahe komplett auf das Militärische reduziert wird. Das Ankurbeln der Rüstungsproduktion als waghalsiges Nonplusultra einer Sicherheitsstrategie, die europäische Souveränität auch über eine eventuelle Trump-Wahl hinaus sichern soll, ist unübersehbar. Die deutsche Politikerin der FDP lässt sich als „Oma Courage“ ablichten und man fragt sich wirklich, ob deren Marketing-Abteilung Brecht absichtlich missverstehen wollte oder nie gelesen oder im Theater gesehen hat. „Mutter Courage“ ist eine bittere Warnung vor dem Heil des Krieges und keine Ermutigung für immer mehr Waffen. 

Wir starten mit dem Plenum der vergangenen Woche und werden dort nur ganz wenige Entscheidungen kommentieren. Dafür gehen wir etwas ausführlicher auf eine Entscheidungen des Rates und der EU-Kommission ein, die in der ersten Märzwoche umfangreich tagten. und dabei vom ersten Gipfel für bezahlbares Wohnen, über sinnvolle Regelungen zur Ausbildung in der Pflege bis zu viel Fragwürdigem in der Sicherheits- und Energiepolitik allerhand Konzeptionelles verabredeten, was uns auch in Zukunft beschäftigen wird.

Alle Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik dokumentieren wir nicht in dieser Ausgabe, sondern erst in der zweiten Aprilwoche, wenn das gesamte Migrations- und Asylpaket dem Europaparlament nach der ersten Lesung vorgelegt wird. Dies wird am 10. und 11. April 2024 der Fall sein und hier könnt Ihr euch schon ein Bild vom Umfang- und der Tragweite der Entscheidungen machen, die die völlig verfehlte Abschottungspolitik der EU endgültig festzurren wird. Dagegen erwarten wir nicht nur Widerstand, sondern bessere Lösungen, zu denen wir selbst unseren Beitrag leisten werden.    

Plenum I: Krieg in der Ukraine und die Lage der Kinder

Nach Zahlen von Eurostat waren am 31. Januar diesen Jahres (2024) 4,3 Millionen Menschen (davon 98 Prozent ukrainische Staatsbürger*innen), die infolge der russischen Invasion am 24. Februar 2022 aus der Ukraine geflohen waren, in einem vorübergehenden Schutzstatus in der EU. In Deutschland sind davon 1.270.150 Personen (das sind 29,5 Prozent der gesamten EU). In Polen leben 951.560 (22,1 Prozent) und Tschechien 381.190 (8,9 Prozent). Im Vergleich zu 2023 haben Deutschland (+18.905; +1,5 Prozent), Tschechien (+8.155; +2,2 Prozent) und Spanien (+2.830; +1,5 Prozent) noch immer Zuwächse, während die Anzahl der Geflüchteten in Italien (-18.125 Personen; -11,2 Prozent), Polen (-3.235; -0,3 Prozent), Estland (-225; -0,6 Prozent), Frankreich (-205; -0,3 Prozent) und Luxemburg (-10; -0,2 Prozent) rückläufig ist. Erwachsene Frauen sind mit 46,1 Prozent die größte Gruppe der Schutzsuchenden und fast ein Drittel – 33,2 Prozent – sind Kinder. Ein Fünftel der Geflüchteten sind erwachsene Männer (20,7 Prozent).

Baustelle Europaparlament, Februar 2024 | Konstanze Kriese

Am vergangenen Mittwoch war die Lage der zwangsdeportierten Kinder in Russland Thema der Aussprache im Plenarsaal in Straßburg. Kurz vor der Debatte interviewte Phönix Martina und Michael Gahler von der CDU zur Lage der Ukraine, der Haltung des Bundeskanzlers zur Lieferung von weiteren Marschflugkörpern (Taurus) und zur Kinderhauptstadt Europas. Martina kam mit gefülltem Gepäck zum Gespräch, denn in dieser Woche, am 19. und 20. März 2024 befasste sich auch der Sozialausschuss der Parlamentarischen Versammlung EuroNest u. a. mit deportierten ukrainischen Kindern.

Martina Michels & Helmut Scholz, 13.3.2024 EuroNest | Foto: Konstanze Kriese

„Kindheit ist selbst in Friedenszeiten und insbesondere in Kriegszeiten die verletzlichste Zeit im menschlichen Leben“ und verdient „daher jederzeit besondere Aufmerksamkeit, Fürsorge und Schutz … dies umso mehr in Kriegszeiten.“

steht im Bericht, den Martina Michels gemeinsam mit ihrer armenischen Kollegin Maria Karapetyian eingereicht hat (Bericht noch nicht online verfügbar). Darin werden die Deportation und Zwangsadoption ukrainischer Kinder im Zuge des russischen Angriffskrieges verurteilt und darauf gesetzt, dass alles getan wird, dieses entsetzliche Unrecht rückgängig zu machen. Doch der Bericht behandelt auch die weitreichenden Fragen der Lage der geflüchteten Kinder, die in einer Art „Wartedilemma“ zwar zumeist unterschiedliche Bildungsangebote wahrnehmen können. Andererseits entsteht durch die Flucht, die aktuelle Familiensituation, die Angst um Angehörige in der Ukraine, die Ungewissheit für viele Kinder enormer Stress und ein großer Bedarf an psycho-sozialer Betreuung. In diesem Bericht wird auch auf die Zwangsadoptionen von Kindern in Russland eingegangen. Neben der Verurteilung dieser grauenvollen Kriegstaten, geht es auch um die wenigen Schritte, die derzeit unternommen werden können, um dieses entsetzliche Unrecht rückgängig machen zu können, indem Informationen in Suchportalen zusammengetragen werden.

Plenum II: Pressefreiheit in der EU und Abstimmung zum Medienfreiheitsgesetz

Foto: EUROPEAN UNION/EP

Der Europarat verständigte sich am 5. März 2024 gemeinsam mit der Sicherheitsplattform für Journalisten zum Stand der Medienfreiheit. Die Zunahme von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation/Klagen gegen Journalist*innen und Medien), um ihnen die Arbeit zu erschweren, der Einsatz von Spionagesoftware und die mangelnde Umsetzung der Gesetzeslagen standen im 2024er-Bericht im Mittelpunkt. Die Bedrohung durch kriminelle Organisationen, das Medien-Bashing durch Politiker*innen bis hin zu Gewalt auf Demonstrationen und im Netz sowie die Einschränkung der Unabhängigkeit von Medienregulierungsbehörden bedrohen die Medienfreiheit auch in den EU-Mitgliedstaaten. Erstmalig wird im Bericht bei der Analyse der sozialen, oft wirtschaftlich prekären Lage der Journalist*innen die Bedrohung durch künstliche Intelligenz und die Auswirkungen von Desinformation und unterdrückter Berichterstattung in sozialen Netzwerken umfangreich eingefügt. Die Unterdrückung der Berichterstattung über den Klimawandel – oder umweltbezogene Ereignisse – ist inzwischen manifest nachweisbar und ebenso spürbar sind eine Radikalisierung und Polarisierung in den sozialen Medien, die einem freien und unabhängigen, sachlichen Journalismus regelrecht feindlich gesonnen sind.

In der vergangenen Woche stimmte das Parlament dann dem Trilog-Ergebnis des Medienfreiheitsgesetzes zu, auch mehrheitlich die linke Fraktion, obwohl große Bauchschmerzen hinsichtlich der löchrigen Ausnahmeregelungen beim Einsatz von Spyware – aufgrund nationaler Sicherheitsinteressen – bleiben. Die Zustimmung galt ausschließlich dem erreichten Stand nach dem ersten Vorschlag der Kommission, den Martina schon vorm Trilog als positiv einschätzte, und der sich nach dem Trilog, trotz heftiger Auseinandersetzungen, nicht verschlechterte. Sie kommentierte damals:

„Das Parlament ist weit über den Kommissionsvorschlag hinausgegangen und hat die Unabhängigkeit eines Europäischen Aufsichtsgremiums von politischer Beeinflussung überhaupt erst umfassend vorgeschlagen.“

Weitere staatliche Eingriffe in journalistische Arbeit sind jetzt massiv begrenzt, wenn auch mit Ausnahmen, wie dem Richtervorbehalt. Der Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalist*innen und ihre Quellen ist weitgehend untersagt, wobei ich mir hier das komplette Verbot gewünscht hätte.“

Während Organisationen, wie netzpoliti.org, die jetzigen Fassungen des Gesetzes beim Einsatz von Spyware in Mitgliedstaaten für verheerend halten, begrüßte zum Beispiel der Deutsche Journalistenverband das Gesetz im Ganzen und auch den umstrittenen Artikel 17 (Verhältnis tradierter Medien und Plattformen). Die Quadratur des Kreises, europäisch Medienpluralismus und Medienfreiheit zu sichern und gleichzeitig die Regelungskompetenz für Medienpolitik der Mitgliedstaaten zu achten, begleitete den Gesetzentwurf seit 2022.

„Der umstrittene Artikel 17, der die ungehinderte Garantie der Veröffentlichungsrechte und die Streitbeilegung zwischen Medienproduzent*innen, die teilweise national schon stark reguliert sind, und besonders großen Online-Plattformen regeln wird, ist ein tragfähiger Kompromiss, der an Regelungen aus der audio-visuellen Mediendienste-Richtlinie und aus dem Gesetz über digitale Dienstleistungen anknüpft. Er enthält erneut tendenziell eine Medienausnahme, die den großen öffentlich-rechtlichen Produzent*innen nützlich sein sollte und zugleich die modernen, gewachsenen Medienlandschaften respektiert.“

Wichtig war uns überdies, dass es erstmalig Regulierungen zur Medienkonzentration geben wird. Offen bleibt auch mit diesem Gesetz, wie in Zukunft Europäischen Medienfreiheitsinitiativen, ein breites gesellschaftliches Engagement in Bildung, Medienkompetenz und demokratischer Kontrolle durch die Zivilgesellschaft sowie mehr Forschungskapazitäten über die Entwicklung moderner, demokratischer Medienlandschaften vernünftig ausfinanziert werden. 

Plenum III: Erste weltweite KI-Regulierung mit erheblichen Macken bei der Überwachung

Der Blätterwald rauschte vergangene Woche durchaus, denn die EU wird die erste Weltregion sein, die ein Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz entworfen und verabschiedet hat.

Brüsseler Bright Festival, Februar 2024 | Foto: Konstanze Kriese

Am Anfang waren das „selbstfahrende“ Auto und der Verbraucherschutz á la „Wer haftet, wenn das Ding einen Unfall baut?“. Es dauerte einige Zeit bis auch andere gesellschaftliche Bereiche überhaupt in diese Regulation aufgenommen wurden. Im ersten EU-Weißbuch zur KI, mitverantwortet von der Industrie- und Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager, gab es keine KI, die längst Literaturwettbewerbe in Japan gewann, Wetterberichte in Zeitungen schreibt oder ganze Prüfungssysteme an Hochschulen überwacht. Das sieht inzwischen anders aus. Auch im jetzt vorliegenden Gesetz, indem es die Bildung vollständig in die sogenannten Hochrisikobereiche geschafft hat. Das bedeutet, dass hier ist höchster Regelungsbedarf besteht, damit Diskriminierungen ausgeschlossen werden. Schon im CULT-Ausschuss haben wir den Pferdefuß zugelassener Gesichtserkennungssystem heiß diskutiert, dann deren gesetzlichen Details dem verantwortlichen LIBE Ausschuss überlassen, um den Erfolg bei der Bildung nicht zu beschädigen.

Doch dabei blieb es, es wurde auch im LIBE-Ausschuss und in der Gesamtanlage nicht besser.

Auch wenn es nun Regulationen für Beschäftigte gibt (man möchte sagen endlich, UNI Global hat dafür ewig gekämpft), ist das Gesetz so durchwachsen, dass unsere Fraktion sich enthalten oder gar nicht erst zugestimmt hat.    

Plenum IV: „Hände weg von der Regionalpolitik“ – keine Rüstungsproduktion mit EU-Strukturmitteln 

Am Mittwochabend diskutierte das Europaparlament wieder über die Zukunft der Kohäsionspolitik. In ihrer Rede betonte Martina:

Martina Michels im EP-Plenum in Strasbourg @EUROPARL

„Die Rüstungsproduktion mit EU-Strukturfonds anzukurbeln, das mag den einen oder anderen Arbeitsplatz schaffen. Doch Rüstungsproduktion leistet nichts für die ökologische Transformation und bringt langfristig keine Sicherheit.  Wenn uns bei der Lösung internationaler Konflikte nur noch militärische Aufrüstung, militärische Mobilität und Grenzsicherung einfallen und kein Sicherheitskonzept, das über das Militärische hinausgeht, werden wir die ökologischen und sozialen Krisen europa- und weltweit verschärfen. Komplett zivil genutzte EU-Strukturmittel sind nicht nur das Gebot der Stunde, sondern auch der Kompass für ihre nachhaltige Wirkung.“

Zu weiteren Hintergründen der strategischen Orientierungen in der Regionalpolitik findet ihr alles in diesem aktuellen Bericht von Martina und Nora Schüttpelz.  

Bezahlbarer Wohnraum: Europäischer Rat veranstaltet erste Konferenz 

Der belgische Ratsvorsitz hatte auf Einladung des wallonischen Ministers für Wohnungswesen, Christophe Collignon, am 5. März 2024 ins schöne Lüttich zu einer europäischen Konferenz aller Wohnungsbauminister*innen eingeladen. Überraschend und erstmalig gaben die Minister am Ende der Konferenz eine gemeinsame Erklärung ab. Darin beziehen sie sich ausdrücklich auf den Aktionsplan der Kommission zur Umsetzung der Säule sozialer Rechte (2021 bis 2030), wollen diesen Dialog in jährlichen Treffen verstetigen und forderten Lösungen zur Verbesserung des Zugangs zu erschwinglichen und angemessenen Wohnungen für alle in der Europäischen Union durch eine EU-Wohnungsplattform. Sie setzen auf einen europäischen New Deal für erschwinglichen und sozialen Wohnungsbau und schlugen vor, die Förderung des Zugangs von Organisationen des sozialen Wohnungsbaus zu langfristigen europäischen Finanzierungen durch die EIB und die EU-Kommission zu ermöglichen.

Frauentag 2024 – Fakten, Politik und ab diesem Jahr und in diesem Fall: Mehr Frankreich durchsetzen!

Der Europäische Rechnungshof (EuRH) hat der EU schon 2021 ins Stammbuch geschrieben, dass sie nicht genug für Gleichstellung der Geschlechter unternimmt. In dem Sonderbricht hieß es damals:

Helmut Scholz im Plenum

„Wir stellten fest, dass die Kommission bei Weitem nicht genug unternommen hat, um das Gender Mainstreaming im EU-Haushalt umzusetzen, und dass für alle EU-Finanzierungen geschlechterspezifische Folgenabschätzungen durchgeführt und systematisch nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten erhoben werden sollten. Die Gleichstellung der Geschlechter zählt zu den Grundwerten der EU“.

Die damalige Berichterstatterin Eva Lindström schaute auch in die eigene Behörde:

„Aber wie ist es bei uns am Europäischen Rechnungshof um die Gleichstellung der Geschlechter bestellt? Letztlich gibt es keine neuen Entwicklungen. Insgesamt ist das Geschlechterverhältnis unter unseren Mitarbeitern nach wie vor ausgewogen, wobei Frauen derzeit leicht in der Überzahl sind (53:47). Der Frauenanteil in der höheren Führungsebene hat sich zwischen 2015 und Ende 2022 deutlich verbessert, wobei sich der Anteil der Frauen unter den leitenden Managern in den Prüfungskammern mehr als vervierfacht hat. Allerdings sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert (39 % Ende 2022) und in Positionen in niedrigeren Besoldungsgruppen überrepräsentiert, da sie mehr als 66 % der Sekretariats- und Assistentenstellen besetzen. Kürzlich wurden drei Frauen zu neuen Hofmitgliedern ernannt, so dass der Frauenanteil unter den Mitgliedern auf insgesamt 40 % angestiegen ist.“

Auch Eurostat liefert uns interessante Zahlen, zum Beispiel erfahren wir über die Jobs mit dem höchsten Frauenanteil: Im dritten Quartal 2023 waren in der EU 53,5 Prozent aller Beschäftigten Männer. Doch unter den Büroangestellten waren 65,8 Prozent Frauen. Und fast genauso sieht es mit 63,5 Prozent Frauen im Verkauf und bei den Dienstleistungen aus. Doch erstaunlicherweise sind 54,3 Prozent aller Fachkräfte weiblich, darunter z. B. Wissenschaftlerinnen und Lehrerinnen und 53,0 Prozent der Beschäftigten in einfachen Berufen sind auch Frauen. Wer hätte gedacht, dass bei Fachkräften im technischen Bereich auch 50 % Frauen vertreten sind. Krasse Abwesenheit von Frauen finden wir dann im Handwerk (11,1 Prozent) und sehr selten sind Frauen als Anlagen- und Maschinenführerinnen und Monteurinnen (17,9 Prozent) tätig. Und bei den Führungskräften sind inzwischen immerhin 34,7 Prozent Frauen.

Wie sieht es bei den MINT-Absolventinnen aus, bei Naturwissenschaften, Mathematik und Statistik, Informations- und Kommunikationstechnologien, Ingenieurwesen, Fertigung und Bauwesen? Noch immer sind Frauen hier kaum präsent, 2021 waren es 32,8 Prozent aller Absolventinnen, wobei hier Rumänien (42,5 Prozent), Polen (41,5 Prozent), Griechenland (40,9 Prozent) und Italien (39,0 Prozent) besser dastehen. In Belgien (27,4 Prozent), Spanien und Deutschland (jeweils 27,7 Prozent) sowie Österreich (28,0 Prozent) sieht es hingegen nach allerhand Nachholbedarf aus.

Frauen gehen noch immer häufiger Teilzeit arbeiten.

28 Prozent aller erwerbstätigen Frauen arbeiten EU-weit in Teilzeit. Männer liegen mit 8 Prozent weit darunter. Die Differenz wird größer, je „einfacher“ die Berufe sind: Helferin, Reinigungskräfte oder Arbeiten bei Essensausgaben (47 Prozent Frauen, 19 Prozent der Männer). Die geringsten Unterschiede gibt es in Führungstätigkeiten: 10 Prozent der Frauen und 3 Prozent der Männer arbeiten dort in Teilzeit und seltsamerweise bei den Maschinen- und Anlagenführer*innen sowie Montagebetrieben – wie allerdings ohnehin  kaum Frauen arbeiten – sieht es ähnlich aus (12 Prozent Frauen und 4 Prozent Männer).

Die Niederlande sind der Spitzenreiter bei teilzeitbeschäftigten Frauen mit 63 Prozent gegenüber 23 Prozent bei den Männern. Sehr große Unterschiede gibt es auch in Österreich (38 Prozent Unterschied) und Deutschland (37 Prozent).

Was geschah nun zum Frauentag 2024? Die Kommission und der Außenbeauftragte erklärten sich zum Frauentag:

„Der Frauenanteil in der Politik ist heute noch weit davon entfernt, repräsentativ für unsere vielfältigen Gesellschaften zu sein. Der Gesamtanteil weiblicher Abgeordneter in einzelnen Kammern oder Unterhäusern des Parlaments liegt derzeit bei durchschnittlich 33 Prozent in den EU-Mitgliedstaaten und 26,5 Prozent weltweit. An diesem Internationalen Frauentag würdigen wir den mutigen Aktivismus der europäischen Suffragetten, die für das Wahlrecht gekämpft haben, als es das Privileg der Männer war, und für jede Frau in all ihrer Vielfalt, die eine Rolle bei der Gestaltung einer gerechteren und gleichberechtigteren Gesellschaft spielt.“

Das Europäische Parlament würdigte Fußballerinnen aus Spanien in seiner Sitzung in der vergangenen Woche. Ivana Andrés, Kapitänin von Real Madrid und des spanischen Teams bei der WM 2023, und Alba Redondo, Kapitänin des Vereins Levante waren zu Gast im Plenarsaal. Und auch wenn sie die deutsche Frauenmannschaft geschlagen hatten, haben wir diesen sympathischen Akt sehr begrüßt, zumal es um viel mehr als die Würdigung von Frauen ging.  Die Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2023 ging eher mit der Öffentlichmachung von sexueller Belästigung einher (und wird uns damit mahnend im Gedächtnis bleiben), als mit der sportlichen Begeisterung am Frauenfußball. Die prominenten Sphären des Sports oder des Films sind hier auch schneller im medialen Rampenlicht als der ebenfalls oft dramatische Alltag am Arbeitsplatz, der Macht nicht selten in sexuelle Übergriffe verwandelt. Die Aufklärung ist oft schleppend und diffamiert Opfer von Übergriffen zuweilen ein zweites Mal. Deshalb war es sinnvoll, auch politisch den Internationalen Frauentag ins Parlament zu holen. 

Die Abgeordneten erörterten, ob das Parlament dem Rat seine Zustimmung zur Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation über Gewalt und Belästigung durch die Mitgliedstaaten geben wird. Das Übereinkommen ist der erste internationale Vertrag, in dem das Recht einer jeden Person auf eine Arbeitswelt ohne Gewalt und Belästigung anerkannt wird.

Und weil wir schon bei handfester Politik sind, wollen wir unbedingt erwähnen, dass bei den reproduktiven Rechten ebenfalls Vieles nachzuholen ist, auch in Deutschland. Frankreich hat es vorgemacht! Schafft endlich den Paragraph 218 ab! Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafgesetzbuch, sondern sicher begleitet und vor allem erstmal zum Einmaleins der medizinischen Grundausbildung!

Kommission strickt Strategie und Programm für die EU-Verteidigungsindustrie: Sicherheit mit Aufrüstung? 

Am 5. März 2024 hat die Kommission die erste europäische Industriestrategie für den Verteidigungsbereich (EDIS) vorgestellt und weiter oben haben wir schon angedeutet, wohin die Reise geht. Wenn kurzfristig nach Budgets für den unverhohlenen Aufrüstungsturn gesucht wird, erleben wir erneut den An-/Griff auf/in die EU-Kohäsionsfonds.  Zumindest soll schon mal Beschaffung und Rüstungsproduktion vergemeinschaftet werden ohne jede Parlamentskontrolle, denn die Verträge sehen eine derartige Europäische Außen- und Sicherheitspolitik gar nicht vor, auch wenn sie im Rahmen der strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) längst eingeleitet wurde, ganz ohne Krieg in der Ukraine.

Eine schnelle Verordnung zur Verteidigungsindustrie (EDIP, European Defence Industrial Programme) soll nun von 2025 bis 2027 1,5 Mrd. EUR aus dem EU-Haushalt mobilisieren.  

Zu diesen Ankündigungen kommentierte Özlem Demirel, unsere friedenspolitische Sprecherin, schon am gleichen Tag:

Özlem Demirel im Plenum zum Mindesteinkommen, Januar 2023

„Nicht Kriegstüchtigkeit, sondern Friedensfähigkeit, darum müsste es eigentlich gehen. Nur das würde den Bedürfnissen der Bevölkerung in Europa wirklich gerecht werden. Stattdessen wird seit Russlands Überfall auf die Ukraine aufgerüstet, was das Zeug hält. Immer mehr Milliarden in den Rachen der Rüstungsindustrie und der Vorrang der Rüstungsproduktion vor der zivilen Produktion sind der falsche Weg. Das Geld fehlt so nicht nur für soziale Ausgaben, sondern immer mehr Waffen erhöhen auch die Kriegsgefahren und Kriegsbereitschaft. Wer Angst hat vor Kriegen, sollte aufstehen für Frieden.“

Sicher hat dies nicht in des deutschen Bundeskanzlers Ohren geklingelt, als er seine beachtliche Entscheidung gegen die Lieferung der Taurus traf, oder Rolf Mützenich bewogen, das Einfrieren des Krieges im Bundestag zu thematisieren. Doch eine Exit-Strategie aus diesem grausamen russischen Angriffskrieg zu denken, der die Integrität der Ukraine anerkennt und Russland wieder international so einbindet, dass es aus seinem fossilen Pfad herausfindet und zugleich nicht den Getreidemarkt der Ukraine benötigt, um zu überleben, sollte eigentlich täglich für Politikerinnen und Politiker, die sich ernsthaft mit einem Ausweg aus der instabilen internationalen Lage beschäftigen, ganz oben auf der Agenda stehen. Mit immer mehr Rüstungsproduktionen werden wir Putins Hochgefühl nach den Wahlen nicht zerstreuen.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.