Martinas Woche 1 bis 3 – 2024

Besucher*innengruppe in Straßburg - Atrium im Parlament | Foto: Jörg Bochmann

Auf ein Neues… im Jahr der Europawahlen!

Lage in Gaza – Europäische Investitionspolitik – Energiepolitik – Demokratiebewegung in Deutschland

Martina Michels, Konstanze Kriese

Das Jahr 2024 hat schon eine Plenarwoche in Straßburg hinter sich und startet mit einer wachsenden Demokratiebewegung in Deutschland gegen den Aufschwung der rechtsextremen AfD. Zugleich spaltet sich die Linke nun amtlich und der Verein BSW startete am 27. Januar 2024 mit seiner Parteigründung. Dies verlangt einen strategisch forcierten Parteiaufbau in der LINKEN, der durch die Arbeit der aktiven Mandatsträger*innen in den Parlamenten auf ihre eigene Weise unterstützt wird. Wir, als linke Delegation im Europaparlament, haben uns für die kommenden Monate noch allerhand vorgenommen, z. B. wird Martina am 22. Februar 2024 gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Kulturausschuss zu Bildung gegen Rassismus eine Konferenz in Brüssel abhalten. Ganz unmittelbar stehen wir vor der diesjährigen Prämierung der Filme für den LUX-Filmpreis. Auch dazu wird es am 31. Januar 2024 eine gesonderte Veranstaltung in Berlin geben. Dann folgen im Februar gleich zwei von den insgesamt noch fünf Plenarwochen des ersten Halbjahres.

Die Linke im Europaparlament

Doch zuerst wollen wir in gewohnter Weise vom Jahresauftakt berichten, den ersten Entscheidungen in Brüssel und Straßburg und euch allen ein Gutes Jahr 2024 wünschen! Darüberhinaus möchten wir – angesichts der weit über Deutschland hinaus ermunternden Demonstrationen am vergangenen Wochenende gegen den Aufstieg der AfD – auf den gerade erschienen Artikel von Alban Werner zur Debatte um das AfD-Verbot verweisen (siehe letzter Abschnitt).

Geschichte einer Resolution für einen Waffenstillstand in Israel

Screenshot MARTINA MICHELS IM INTERVIEW

Immerhin: Die linke Fraktion legte in der vergangenen Woche erstmalig eine eigene, gemeinsam getragene Positionierung zur Lage im Gaza-Streifen vor. Abgestimmt wurde dann eine Positionierung mehrerer Fraktionen, an der wir mitgearbeitet haben, sie am Ende aber nicht mittrugen. Warum?

„Das Europäische Parlament fordert einen dauerhaften Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und der Hamas. Endlich? Ja, aber: Nur, wenn Voraussetzungen erfüllt sind, darunter, völlig richtig, die Freilassung aller Geiseln der Hamas, aber eben auch die „Zerschlagung der Hamas“ . Die Forderung nach einem Waffenstillstand würde eine deutliche Veränderung gegenüber der vorherigen Position des Parlaments vom Oktober 2023 darstellen, die nur eine humanitäre „Pause“ forderte, um die Hilfslieferungen an die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu beschleunigen. Die genannte Bedingung, eingefügt von den Rechtsaußen, Rechten und Teilen der Liberalen im Europaparlament, zögert aber potentiell einen Waffenstillstand auf den Sankt Nimmerleinstag hinaus oder doch mindestens bis die israelische Regierung ihr hauptsächliches Kriegsziel erfüllt sieht. Wohin das führen soll, daran lässt Premierminister Benjamin Netanjahu kaum noch Zweifel: Israel müsse Sicherheitskontrolle über das gesamte Territorium westliche des Jordan haben. Und wenn das mit der Idee von Souveränität kollidiere? Tja, da könne man nichts machen.“, 

so weit die Einschätzung von Martina Michels und Nora Schüttpelz. Die zweite Bedingung für den so dringenden Waffenstillstand war de facto ein vergiftetes Geschenk, eine politische Forderung, deren Durchsetzung derzeit tatsächlich in den Sternen steht, internationale Beteiligung erfordert, konkrete Politik gegen die Terrororganisation. Dies alles nicht mit vorzulegen, vereitelt am Ende die richtige Forderung nach einem Waffenstillstand, da diese Bedingung niemand in kürzester Frist wird liefern können.

Treffen des EU-Rates „Wirtschaft und Finanzen“ – kein Politikwechsel in Sicht

„In der EU wird ständig von der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gesprochen. Doch Zukunftsinvestitionen und eine aktive Industriepolitik werden durch die sogenannte Schuldenbremse, die in Wirklichkeit eine Investitionsbremse ist, und eine ungerechte Steuerpolitik, blockiert.“, 

fasste Martin Schirdewan die Signale vom Gipfeltreffen in Brüssel zusammen. Aus dem ständigen Krisenmodus scheint die EU nichts lernen zu wollen. Zwar gab es mit dem Next Generation Fonds nach der Pandemie endlich einmal erste Überlegungen über gemeinsame Schuldenaufnahme und mehr Eigenmittel in der EU, aber diese Ansätze scheinen längst dem “business as usual“ geopfert worden zu sein und die unheilige Sparideologie gegenüber öffentlichen Haushalten wird einfach fortgesetzt. Statt endlich dauerhaft eine sozial-ökologisch orientierte europäische Investitionspolitik mit Umverteilungseffekten für die öffentliche Hand anzugehen, prägen die europäischen Sparkommissare, die Finanzminister der Mitgliedstaaten mit Lindner an der Spitze erneut die europäische Wirtschaftsentwicklung, die einen enormen Investitionsstau einerseits und eine absolut ungleiche Vermögensverteilung nach sich zieht. Mit einer „Politik der Kürzungen, Privatisierungen und Lohnzurückhaltung“ werden wir auch die Ressourcen für solidarisches Handeln in unseren Gesellschaften weiter beschädigen. Dieser falsche Wettbewerbsansatz ist am Ende auch ein Problem für die Stabilität demokratischer Dialoge in Europa und Wasser auf die Mühlen rechter Heilsversprechen in den kommenden Wahlkämpfen.   

Mitgliedsstaaten verwässern die Energieeffizienzrichtlinie und haben kein Konzept gegen die Energiepreiskrise

Brüssel im Dezembernebel | Foto: Konstanze Kriese

„Mit 40 Prozent des europäischen Energieverbrauchs ist der Gebäudesektor der ,Elefant im Raum‘. Die Trilog-Verhandlungen zur Gebäudeeffizienzrichtlinie haben zu einer deutlichen Abschwächung der Richtlinie geführt. Das Parlament und auch die Kommission hatten ambitionierte Konzepte vorgelegt, die nun durch die Mitgliedstaaten ausgehöhlt wurden. Das ist eine verpasste Chance für den Klima- und Verbraucherschutz.“,

urteilt Cornelia Ernst, unsere energie- und industriepolitische Sprecherin angesichts der Abstimmung im EP-Industrieausschuss am vergangenen Montag über die Trilog-Ergebnisse der Gebäudeeffizienzrichtlinie (EPBD).

Ebenso scheinen die Mitgliedstaaten wenig aus der Energiepreiskrise gelernt zu haben und verweigern eine europaweite Verbindlichkeit von Maßnahmen, die vor Energiearmut schützen

„Auch hinsichtlich des Schutzes von Stromverbraucher*innen bleibt Luft nach oben. In den letzten zwei Jahren wussten Millionen von Europäer*innen nicht, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen sollen, während sich Energiekonzerne die Taschen gefüllt haben. Anstatt ein allgemeines Verbot von Stromsperren zu erlassen, überlässt man es den Mitgliedstaaten, ob sie Stromsperren verbieten. Zudem sind auch Stromdrosselungen noch möglich. Wenn ich im Winter zwar Licht anmachen, aber nicht heizen oder kochen kann, dann bringt mir das herzlich wenig.“

Demokratiebewegung in Deutschland steht auf (mit taufrischem Lesetipp)

Demo gegen Rechts in Berlin am 21.1.2024 | Foto: Jörg Bochmann

Nicht nur Deutschland, auch die EU hat ein Problem mit wachsendem Rassismus, und Regierungen, die Teil des Problems einer unsäglichen europäischen Migrationspolitik sind, keine Lösungsangebote für die ökologische Krise und soziale Benachteiligen bieten, aber jede Menge populistische Lösungen und antidemokratische, nationalistische Konzepte und Rezepte propagieren und ausprobieren. Den Aufstieg der AfD in Deutschland kann sich diese offen rechtsextreme Partei nicht ganz allein auf ihre Fahnen schreiben. Eine Regierungspolitik, die chauvinistische Migrationspolitik betreibt, Angst hat, von oben nach unten umzuverteilen und bei einer verständlichen Politik zur Erreichung von Klimazielen nicht nur kommunikativ versagt, schenkt der AfD durchaus einen breiten Raum für ihre Lösungsversprechen, deren Tragfähigkeit eher Luftbuchungen gleichen. Das Geheimtreffen der AfD, auf dem de facto ethnische Säuberungen diskutiert wurden, hat nun für ein Erwachen breiter Proteste der Zivilgesellschaft gesorgt. Am Wochenende sollen bis zu 1,5 Millionen Menschen deutschlandweit auf die Straße gegangen sein, um der braunen Brut den Kampf anzusagen, um sichtbar zu machen, dass sie eine solche Republik, wie sie sich die AfD vorstellt, nicht wollen und es auch nicht länger hinnehmen werden, dass Menschen politisch von der AfD vereinnahmt werden, nur, weil sie unzufrieden mit der Ampel-Politik sind. Der Anfang ist gemacht, doch Proteste werden nicht ausreichen, die AfD zu stoppen. Tatsächliche Aufklärung und konkrete Politik sowie die besseren Vorschläge von links für ein solidarisches Zusammenleben gehören auf den Tisch und in die öffentliche Debatte! Selbstbeschäftigung und Kooperationsunfähigkeit unter Linken war gestern. Politische Verantwortung verlangt einen sichtbaren Aufbruch und dafür haben wir allerhand zu tun, ob bei den kommenden Kommunalwahlen oder bei der Europawahl, mit strategischen Ideen, wie wir die Bundes- und Europapolitik wieder mitbestimmen. 

Das Thema, Aufstieg der Neurechten und die Bedrohungen der Demokratie, beschäftigt die deutsche wie die europäische Öffentlichkeit, nicht nur vor Wahlen.  Es lohnt und ist zugleich ohnehin erforderlich, hier nicht die schnellen Antworten zu liefern, sondern das komplexe Thema sowohl sozial-ökonomisch, kulturell als auch demokratietheoretisch genauer zu verfolgen, um die politischen Antworten angemessen und nachhaltig zu gestalten. Wir empfehlen deshalb heute zur Lektüre den gerade eben erschienen Artikel von Alban Werner in der Zeitschrift Jacobin „Rufe nach einem AfD Verbot sind ein Zeichen politischer Hilflosigkeit“,selbst wenn man den Zugang nicht teilt oder auch stichhaltige Argumente für ein Verbot verteidigt.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.