Was macht eine linke Fraktion, wenn sie sich Studientage nimmt?

Foto: Jörg Bochmann

Studientage der GUE/NGL-Fraktion – Finnische Linke als gute Gastgeber

Diese Woche reisten unsere Abgeordneten auf Einladung der finnischen Mitglieder der GUE/NGL-Fraktion in Finnlands Hauptstadt Helsinki. Dort fanden von Dienstag bis Donnerstag unter dem Titel „Eine sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Gesellschaft“ die Studientage statt. Das Congress Center auf der direkt am Stadtzentrum gelegenen Insel Katajanokka war ein idealer Standort, sowohl zum Tagen als auch zu kurzen Wegen am Wasser in den Pausen, bei den interessanten Gästen und dem Debattenstoff also rundum ideal.

Energie und Vergesellschaftung

Foto: Jörg Bochmann

Am Dienstagvormittag wurde mit fachkundigen Gästen der Zusammenhang von Politik und nachhaltige Energieerzeugung und -wirtschaft erläutert. Diskutiert wurden die Strategien auf dem Weg zu einer kohlenstoff-neutralen Gesellschaft. Dabei ging es um Lösungen für einen langfristigen Übergang, in dem Emissionsminderungsziele auf sozial und regional gerechte Weise erreicht werden. Es wurden auch länderübergreifende Parallelprozesse angesprochen, wie die mittelfristige Aufgabe des Kohleabbaus in Deutschland und des Torfabbaus in Finnland. Mit Vertretern aus der Wirtschaft wurde durchaus kontrovers diskutiert, insbesondere in Bezug auf Subventionen, den Einsatz öffentlicher Gelder für Forschung und Entwicklung und die Übernahme von bisher marktwirtschaftlichen Wirtschaftsbereichen durch die öffentliche Hand in Form von Re-Kommunalisierungen oder neuen Vergesellschaftungsstrategien für die öffentliche Daseinsvorsorge. 

Foto: Jörg Bochmann

Am Nachmittag ging es dann ins Energie-Wärme-Kraftwerk „Helen“ in Helsinki. Dort wurden die ehrgeizigen Pläne des Landes, der Stadt Helsinki und der Energieversorger zur Ablösung von fossilen Brennstoffen konkret. Immerhin will man bis 2030 CO2-neutral werden. Letztlich kamen dabei interessante Lösungen zu Energiespeicherung z.B. in unterirdischen ehemaligen Ölspeichern mit Heißwasser sowie die vielfältigen Möglichkeiten der alternativen Energieerzeugung in den Fokus. Im Anschluss gab es einen Rundgang durch das moderne Pellet-Heizkraftwerk.

Abends wurde mit Begeisterung der gesamten Delegation eine klassische finnische Sauna direkt am Wasser besucht, doch nur wenige Mutige trauten sich nach dem Schwitzen in die Ostsee.

Bildung und Geschlechtergerechtigkeit

Mittwochvormittag ging es um Bildung und um Kinder- und Jugendpolitik in Finnland. Nach Fachvorträgen zur aktuellen Situation wurden Lösungen zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheit von jungen Menschen diskutiert. Es wurde erörtert, wie Bildung, Beschäftigung und Ausbildung für alle gleichermaßen garantiert und Ausgrenzungen verhindert oder eingedämmt werden können. Martina Michels hob in der Diskussion die ganzheitliche Sicht des finnischen Modells im Gegensatz zum offiziellen europäischen Ansatz hervor, der Bildung fast ausschließlich zur Schaffung von Wettbewerbsfähigkeit junger Menschen festschreibt. Auch die Situation von Minderheiten am Beispiel der finnischen Samen kamen zur Sprache, sowie Probleme der Stadtentwicklung in Bezug auf sich sozial abgrenzende Viertel oder sichtbare Kinderarmut.

Foto: Jörg Bochmann

In der zweiten Themenrunde des Vormittags ging es um die Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt aus der Sicht der Linken in Finnland. Betrachtet wurden die Aufgaben der Gewerkschaften, die spezifischen sozialen Bedingungen und auftretenden Differenzen sowie die spezielle Situation von MigrantInnen. In der Diskussion wurden diese Sachverhalte mit den Situationen in den anderen Mitgliedsländern verglichen und mögliche Positionen und Ziele formuliert. Das betraf solche Themen wie Lohngleichheit und -transparenz, Geschlechtergerechtigkeit, Arbeitszeitverkürzungen, Ermöglichung eines gleichgestellten Familienlebens, Anerkennung von informeller Pflege, Rentengleichheit, Quotenregeln, Kampf gegen Hierarchien am Arbeitsplatz, Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Die Diskussion war entsprechen vielschichtig.

Parlamentsbesuch und die Ökonomie des Wohlbefindens  

Foto: Jörg Bochmann

Auf Einladung der linken Fraktion Vasemmisto innerhalb der Fünf-Parteien-Koalition im finnischen Parlament besuchte unsere Fraktion am Nachmittag das PikkuParlamentti – das kleine Parlament. Saila Ruuth, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales und Gesundheit informierte über das ehrgeizige, neue finnische Regierungsprogramm zur sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft und der Ökonomie des Wohlbefindens (wellbeeing). Angesprochen wurden verschiedene Inhalte, von klimafreundlichen Jobs und entsprechender Infrastruktur, Einflussnahme auf Banken und Industrie, Finanztransaktionssteuer, Arbeitsplatzgarantien und Aktionen auf nationaler und EU-Ebene. Ein weiterer Schwerpunkt war der Green New Deal, mit speziellem Blick auf Finnland. Li Andersson, Ministerin für Bildung und Vorsitzende der Linken Allianz, und andere sprachen in Vorträgen und in der Diskussion zu den politischen und ökonomischen Strukturen Finnlands, dem erforderlichen Wirtschaftsumbau auf dem Wege zum ersten CO2-neutralen Wohlfahrtsstaat, zu den Möglichkeiten, eine sozial gerechtere Erwerbspolitik zu erschaffen und den Einflussmöglichkeiten der Linken innerhalb der Koalition. Eingegangen wurde dabei auch auf die finnische „Kompromissfähigkeit“ innerhalb einer Fünf-Parteien-Koalition.

Der Tag wurde beschlossen mit einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant „Linnankellari“, welches sich in einem Keller eines ehemaligen Gefängnisses befindet. Nicht nur die finnische Küche begeisterte, sondern auch ein kleiner Rundgang durch das architektonisch sehr interessante Haus.

Abschied mit Fraktionssitzung

Eine Fraktionssitzung am Donnerstagvormittag beendete die Studientage. Nach einer kleinen, individuellen Besichtigung der sehr modernen, aber auch mit außerordentlich vielen, guterhaltenen Jugendstilhäusern ausgestatteten Hauptstadt ging es zurück nach Berlin. 

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.