„Es sind nationale Egoismen, die europäische Lösungen verhindern…“

Radweltmeister Täwe Schur und Martina Michels auf dem Landesparteitag, 20.10.2018 | Foto: Ulrich Lamberz

Rede von Martina Michels auf dem Landesparteitag in Bernburg, Sachsen-Anhalt am 20.10.2018

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde!

Die Europawahlen im Mai 2019 finden zu einem Zeitpunkt statt, in dem die Zukunft der EU grundsätzlich auf dem Spiel steht. Es stimmt: Wenn wir über Europa reden, dann sprechen wir über viele ungelöste Probleme, über Missstände, die immer offensichtlicher werden, weil das System nicht stimmt – das System EU, das nicht in der Lage ist, gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Da ist der BREXIT, das Flüchtlingsdrama, der Handelskrieg USA-EU u.v.m., was die öffentliche Debatten bestimmt. Das macht Ihr ja auch in eurem Antrag deutlich.

Zurzeit erleben wir, wie die Nationalstaaten in Europa versuchen, sich vor den Folgen der eigenen Politik abzuschotten und vor allem eine gemeinsame und an die Ursachen gehende Lösung zu verhindern. Übrig bleiben der Ausbau Europas zur Festung, das unerträgliche Sterben im Mittelmeer und in den nordafrikanischen Wüsten und die Kriminalisierung von Menschen, die vor Ort helfen.

Derzeit trifft der Europäische Rat sich ständig zu Sondersitzungen. Er ignoriert oder blockiert dabei sogar Beschlüsse des Europäischen Parlaments. Am Ende erleben wir immer wieder ein Ping Pong Spiel zwischen den Mitgliedstaaten, die egoistisch Lösungen blockieren und gleichzeitig im Chor rufen, Europa möge es doch richten. Innenpolitische Sichtweisen werden zum Maßstab der Europapolitik gemacht.

Deshalb sollten wir als Linke in der anstehenden Europadebatte im Wahlkampf benennen, was da wirklich gerade passiert: es ist nicht vornehmlich Europa, dass Lösungen blockiert. Es sind vor allem die nationalen Egoismen, die Lösungen verhindern. Die Bundesregierung zeigt sich europafreundlich und redet bspw. von Steuertransparenz und blockiert gleichzeitig seit Jahren die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und blockiert die Steuertransparenz, wenn immer es geht.

Wir wissen, dass es auch unter uns Linken eine harte Auseinandersetzung um die Frage Stärkung des Nationalstaatlichen oder der Konzentration auf das Europäische gibt.  Ihr benennt auch das in eurem Antrag. Ich glaube gar nicht mal, dass es dabei nur um ein Entweder-Oder geht. Aber wir Linke müssen uns doch an der Realität orientieren und nicht am Wunschbild der Gesellschaft:

Und da leben wir eben in einer Weltwirtschaft, es agieren europäische Konzerne und  die globale ökologische Klima- und Nachhaltigkeitskrise vor der wir stehen, ist generell nur noch international und nicht national lösbar. Die großen Konzerne und Banken haben inzwischen auch die soziale Frage auf eine globale Ebene gehoben. Sie beschäftigen ArbeitnehmerInnen zu miesen Konditionen, lagern Firmen aus, um ihr Gewinnspiel um die Profitmaximierung voranzutreiben. Und die einzige Antwort der Regierenden lautet Abschottung.

Wenn die Linke einen Wert haben will, muss sie doch eine andere Antwort auf die soziale Frage als Menschheitsfrage suchen und finden.

Unser Markenzeichen als Linke war und ist der Internationalismus. Und da frage ich: bekämpfe ich nur Armut in meiner Gesellschaft oder weltweit? Kann ich überhaupt von sozialer Gerechtigkeit sprechen, wenn sie an der eigenen Landesgrenze Halt macht? Ist der Internationalismus nicht eine zwingende Voraussetzung, wenn man für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit eintritt? Ja, auch rechte Bewegungen thematisieren die soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit nach ihrem Bilde und mit populistischen Mitteln – das erleben wir ja gerade. Aber sie gehen dabei nie über die nationale Grenze hinaus. Und deshalb glaube ich, ist die Frage des Internationalismus für uns als Linke eine Kernfrage.

Wir müssen uns entscheiden, welche zentrale Botschaft wir für den Weg zur Umsetzung unserer Ziele auf europäischer Ebene vermitteln wollen. Wollen wir primär die Verteidigung der nationalstaatlichen Souveränität gegen die EU? Wollen wir einen „linken Neustart“ der EU unter Zerstörung des Alten (und wenn ja, wie soll das gehen) oder begreifen wir die existierende EU als unser Feld der politischen Auseinandersetzung?

Der Europawahlkampf hat längst begonnen und die Rechtspopulisten sind hellwach, ja sogar auf dem Vormarsch. Kürzlich gab es in Paris ein Treffen von Marine Le Pen mit anderen europäischen Rechtspopulisten. Die sammeln sich gerade. Dabei wurde eines deutlich: In ihrem Aufruf gibt es jetzt keineswegs eine Einengung auf Flüchtlingspolitik sondern eine stärkere Konzentration auf sogenannte weiche Themen, wie Bildung, Medien, Kultur, Frauen- und Familienpolitik. Das sollte uns zu denken geben.

Und der Skandal um das Verbot des Auftritts der Band „Feine Sahne Fischfilet“, den ihr zu Recht heute thematisiert habt, fällt genau in dieses Schema. Ich finde es unglaublich, dass hier die öffentliche Seite vor den Rechten eingeknickt ist, die Meinungs- und Medienfreiheit opfert.

Eine Herausforderung gerade in Sachsen- Anhalt ist die Verbindung der Europawahl mit den Kommunalwahlen. Ihr wisst aus unserer Zusammenarbeit, dass für mich die EU immer konkret ist. Sie ist nicht irgendwo, in Brüssel. Sie wirkt vor Ort und ist mit der Stärkung der Kommunen verbunden. Das ist auch mein Leitmotiv im Regionalausschuss bei der derzeitigen Verhandlung um den kommenden EU-Haushalt und die neue Förderperiode ab 2020. Wir brauchen hier eine starke kommunalpolitische Stimme! Die vielen Erfahrungen, die ich hierzu in Sachsen-Anhalt sammeln konnte und die aufgebauten Netzwerke, sind mir dabei eine wertvolle Stütze.

Liebe Genossinnen und Genossen,

Ich blicke nunmehr mit euch gemeinsam auf eine fruchtbare Zusammenarbeit der letzten 5 Jahre. Ihr seid ein toller europäisch denkender Landesverband und ich sage an dieser Stelle : Danke!

Ich würde mich natürlich freuen, wenn ihr meine erneute Kandidatur für das Europaparlament unterstützen würdet. Nach einer Legisaturperiode finde ich aus meiner Sicht eine Fortsetzung wünschenswert. 

Deshalb möchte ich eines abschließend ganz klar sagen:

Wir brauchen jetzt keinen Überbietungswettbewerb, wer kritisiert die EU am lautesten und am schärfsten. Da könnte ich übrigens in viele Kritiken sofort einstimmen.

Entscheidend ist für mich und am Ende für die Menschen, die ihr Kreuz bei der Linken machen sollen: was hat die Linke zu bieten, damit die EU mit den Bürgerinnen gemeinsam umgekrempelt wird, wo sind Anknüpfungspunkte, wie in der Regional- oder in der Gleichstellungspolitik und wo muss sich von Grund auf etwas ändern,

  • statt Rüstung eine Arbeitslosenversicherung,
  • statt Binnenmarktfixierung eine Digitalsteuer,
  • statt dem Vormarsch von Fake news und Hassbotschaften eine echte Europäische Medienöffentlichkeit.

Und dazu brauchen wir  – übrigens auch bei der Kandidatenaufstellung – vor allem breite Fachkompetenz in einer starken neuen linken Fraktion! Ich würde gern weiter dazu beitragen.

Danke!

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.