7. Landesparteitag Sachsen-Anhalt

Landesparteitag Sachsen-Anhalt in Burg bei Magdeburg am 29.6.2019 | Foto: Peter Cichorius

Burg, am 29.Juni 2019

Die Rede von Martina Michels, MdEP

Europawahlauswertung

Liebe Genossen,

ich gratuliere allen gewählten KommunalvertreterInnen.

Es wird euch nicht verwundern, dass ich mich jetzt auf die Ergebnisse der Europawahl konzentriere.

Zunächst möchte ich mich ganz herzlich für die Wahlkampfunterstützung bedanken – und ich mache es auch persönlich: insbesondere danke ich Dagmar Zschoschke, Kerstin Eisenreich, Stephan Gebhard, Eva von Angern, Achim Bittrich und ihren jeweiligen Teams. Ebenso bei Rosi Hein, Benjamin Dietrich und mit ihm die jungen Genossen. Siewaren es, die engagiert und ideenreich und oft mit mir gemeinsam, Türen geöffnet und Aktionen quer durchs Land organisiert haben. Und ja, diesmal auch ausdrücklich beim MDR und örtlichen Journalisten, die uns in diesem Wahlkampf als LINKE wahrgenommen und begleitet haben. Das war bezogen auf Europa nicht immer so.

Soweit so gut. 

Martina Michels bei ihrer Rede zum Landesparteitag in Burg | Foto: Peter Cichorius

In der Verantwortung vor dem was vor uns liegt und in der Achtung vor uns selbst als Partei, gilt es aber, das Europawahlergebnis nicht leichtfertig und oberflächlich zu analysieren. Denn was vom Wahlabend übrig bleibt ist nüchtern betrachtet : katastrophal. Da gibt es in meinen Augen nichts zu beschönigen. Das gilt für uns deutsche Linke genauso wie für die Linke europaweit.

4 Wochen nach der Wahl zeigt ein Blick in die neue linke Fraktion im EP das ganze Ausmaß der Verluste: Nachdem sich nun eine weitere rechte Fraktion unter dem Namen „Identität und Demokratie“ gebildet hat, in der sich 67 Abgeordnete mit Rechtsextremisten wie Le Pen, Salvini und Meuthen zusammengeschlossen haben – ist unsere linke Fraktion jetzt mit 41 Mitgliedern die kleinste im EP. Noch nicht einmal die beiden Spitzenkandidaten der Europäischen Linken wurden gewählt, kein einziger Italiener gehört mehr der Fraktion an, kein linker Niederländer, Podemos hat sich halbiert, die irische Shin Fein nur noch mit einem Abgeordneten vertreten und selbst Melanchons La France insoumise ist hinter dem erwarteten Ergebnis geblieben. Wir haben eine einzige osteuropäische Abgeordnete aus Tschechien in der Fraktion. Wir selbst sind als deutsche Delegation nur noch die viertstärkste. 

Ihr ahnt sicher schon, dass das eine enorme Verschiebung der Kräfteverhältnisse bedeutet und den kritischen Zustand der Linken europaweitcharakterisiert. 

Unser Platz und unsere Rolle als kleinste Fraktion im EP ist noch nicht definiert und stellt uns vor große Herausforderungen.

Und bei dieser inhaltlichen Bandbreite der Verluste sehr verschiedener nationaler Delegationen gibt es eben auch nicht die schnelle Antwort, es hätte an zu wenig EU-Kritik, zu viel Pro-Europa oder an mangelnder Friedenspolitik gelegen, wie Manche schon am Wahlabend festgelegt hatten.

Liebe Genossen, wenn wir jetzt in die konkrete Auswertung gehen, müssen wir ehrlich miteinander umgehen. Ich behaupte, auch DIE LINKE in Deutschland hat die Europawahlen schonsehr lange vorder Europawahl verloren. 

Nicht nur ihre öffentlich zelebrierten Machtkämpfe haben viele Menschen irritiert, auch die davon betroffene Debatte um Themen, die letztlich immer wieder in Formelkompromissen absoff, hat uns nicht weitergebracht. 

Auch wenn wir aus meiner Sicht auf unserem Europaparteitag (der viel zu spät stattgefunden hat) noch ein gutes Wahlprogramm verabschiedet haben (und ich rede jetzt nicht davon, wieviel Anstrengungen es gekostet hat, aus dem ersten Entwurf eines umgeschriebenen Bundestagswahlprogramms ein europäisches Programm zu machen) – waren unsere in Bonn beschlossenen proeuropäischen Positionen in den verbleibenden 3 Monaten nicht mehr breit in die Öffentlichkeit gedrungen. Schlimmer noch: sie wurden nicht mal von der gesamten Partei getragen. Für viele Wählerinnen war unsere Haltung zur EU kaum erkennbar. Unser halbherziges „Jaein“ stieß eher auf Unverständnis. Die Wahlstrategie der Partei beschrieb unsere Rolle als sogenannter „dritter Pol“, also zwischen allen Stühlen. 

Bis heute haben wir nicht klargestellt, was wir unter unserer Definition eines Neustarts der EU überhaupt verstehen.

Ich bin mehr als irritiert, wenn ich jetzt häufig höre: es hätte überrascht, dass es diesmal ein reiner Europawahlkampf gewesen sei. Liebe Leute, die öffentliche Debatte um die Zukunft Europas war doch schon lange im Gange, nur: wir haben uns als Partei daran nicht beteiligt. Die Wähleranalysen über unser Wählerklientel lagen alle vor. Die breite Masse unserer Wähler war und ist proeuropäisch eingestellt. 

Die großen Bewegungen der Straße – von Fridays for future, Unteilbar, Seebrücke, Pulse of Europe, die Netzbewegung gegen Up load Filter, bis hin zu Housing for all – alle diese Bewegungen waren bereits europäisch angelegt. Es war doch also vorhersehbar, dass es konkret um Europa gehen wird.

Auch das Thema Klimawandel kam doch nicht überraschend. Wo aber sind wir denn offensiv mit all diesen Themen umgegangen? Warum blieb bspw. unser „Manifest mit Maßnahmen gegen den Klimanotstand“ der GUE/NGL , das wir als einzige Fraktion im EP vorgelegt hatten, weitgehend von der Partei unerwähnt? 

Es gibt zu viele offene Fragen, die so manchem Wahlkämpfer als zu schwer zu beantworten vorkam und deshalb von einem breiten offensiven Wahlkampf an den Ständen abgehalten hat. 

Der Europawahlkampf wurde mancherorts als nebensächlich und ja, auch lieblos behandelt. In manchen Gebieten hatte man den Eindruck, er fände gar nicht statt. 

Auch hier in S.-A. gab es Landstriche, da hing kein einziges Europaplakat der Linken. Die Verbindung zwischen Kommunal- und Europawahl ist uns nur schwer gelungen. Und zur Wahrheit gehört eben leider auch – gestattet mir diese kritische Anmerkung- , dass auf dem offiziellen linken Wahlauftakt in Magdeburg außer Dietmar Bartsch kein einziger Bundestagsabgeordneter aus S.-A. anwesend oder auch nur wenige Landesvorstandsmitglieder zu sehen waren. Wahlkampfmaterialien zu Europa fehlten dort übrigens gänzlich. 

Dass wir dennoch 5 Mandate erringen konnten ist den WahlkämpferInnen zu verdanken, die unermüdlich verteilt, eifrig in den Netzwerken unterwegs waren, beständig geliked haben, damit wir in den social media präsent waren. MitstreiterInnen, die Materialien gesteckt haben, was mancherorts schwierig war. Ihnen gilt der ausdrückliche Dank, vor allem der Linksjugend solid! Ich habe gerade hier in S.-A. viele engagierte GenossInnen erlebt, die mir und uns Mut machen und es verdienen, dass wir jetzt gemeinsam die Ärmel hochkrempeln um verlorenes Terrain wiederzugewinnen.

Liebe Genossen,

wir sollten aufhören, Wahlen in wichtige oder weniger wichtige einzuteilen, sonst werden wir nämlich als politischer Faktor selbst unwichtig. 

Wir sollten auch nicht dem Glauben verfallen, schnell zur Tagesordnung übergehen zu können. In so manchen Bundesstatements hat man zumindest diesen Eindruck.

Dieses Ergebnis hat weitreichende Konsequenzen, die wir ernst nehmen müssen und die uns auch mit Blick auf kommende Wahlkämpfe zum Nachdenken bringen sollten. Denn es besteht jetzt schon die Gefahr, dass wir als LINKE in den großen Konflikten kaum noch vorkommen. 

Liebe Genossen,

ich war bis jetzt eure verantwortliche Ansprechpartnerin für Europa. S.-A. ist inzwischen neben Berlin meine zweite politische Heimat geworden. Wir konnten Netzwerke aufbauen, haben gute Partnerschaften zu KommunalvertreterInnen aufbauen können. Und ich bin mir sehr bewusst, da ist noch viel Luft nach oben drin. 

Inzwischen hat S.-A. nur noch einen hier gewählten Europaabgeordneten und der kommt von der CDU. Da ist also unser Platz als Linke dringend auszufüllen. Wenn ihr es wollt, würde ich diese Aufgabe gern weiter übernehmen. Ich freue mich, dass der Landesvorstand S.-A. vorgestern den Beschluss gefasst hat, dass diese Zusammenarbeit gewünscht ist. Ich bin bereit, mit euch gemeinsam 5 weitre europäische Jahre zu gestalten.

Danke!