„Da erhob Manolis seine Stimme…“

Martina Michels und Manolis Glezos 2015 | Foto: Ulrich Lamberz

Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag von Manolis Glezos

Die Veranstaltung fand am 28. September 2022 in Brüssel im Europaparlament statt. Das Programm ist hier zu finden und später auch die Aufzeichnung.  Manolis Glezos wäre am 9. September 100 Jahre alt geworden. Zu den Gästen und Redner*innen der Veranstaltung gehörte der Musiker und Holocaust-Überlebende Simon Gronowski, sowie der ehemalige Ministerpräsident Griechenlands, Alexis Tsipras, Marisa Matias von Bloco, unser Fraktionsvorsitzender Martin Schirdewan, die Fraktionsvorsitzenden der S&D und der Grünen, sowie die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.

Wir dokumentieren hier die Rede von Martina Michels, die mit Manolis Glezos 2014/2015 zusammen im Kulturausschuss saß und auch mehrere Reisen nach Berlin unternahm.  

Liebe Freunde, Genossinnen, ich freue mich, dass ich auch Tzortzia und die Enkelin von Manolis heute begrüßen kann,

erinnern wir uns: die Wogen schlugen hoch unter den Abgeordneten in unserer linken Fraktion im Europäischen Parlament. Wir schrieben das Jahr 2015

Die Troika und der Schatten des deutschen Finanzministers Schäuble diktierten einer frisch gewählten linken Syriza-Regierung ihren Sparkurs. Linke hatten die Regierungsgeschäfte in Griechenland übernommen, machten auch Fehler, waren transparent und verdienten mindestens so viel Solidarität wie Kritik. Es gab heftige Debatten in der Fraktion. Da erhob Manolis seine Stimme in der Fraktionssitzung – und mit der ihm eigenen Leidenschaft und klaren Sprache sagte er:

„Ihr müsst uns jetzt nicht erklären, was wir in Griechenland mit Syriza besser machen müssen. Macht eure Hausaufgaben als Linke bei euch zu Hause in Europa. Damit helft ihr uns. Letztlich brauchen wir uns gegenseitig und gemeinsam in Europa.“ Das hat sich mir eingeprägt bis heute.

Mit diesen Worten von Manolis Glezos, die ich jetzt hier sinngemäß wiedergeben habe, hatte er auch seinen eigenen Weg markiert.

Er schmiedete völlig unorthodox an linken Projekten in Griechenland und Europa, aber er war dabei alles andere als ein treuer Parteisoldat. 

Ja, wir hatten damals alle die Hoffnung, dass mit dem 25. Januar 2015 eine Möglichkeit entsteht, dass Europa endlich eine nachhaltige Krisenbewältigung in Angriff nimmt. Wir hofften, dass der Spardoktrin endlich erfolgreich der Kampf angesagt wird.

Wir verfluchten die idiotischste aller politischen Fesseln, den sogenannten Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt und wünschen bis zum heutigen Tag, dass er durch eine sozial-ökologische Investitionspolitik ersetzt wird.

Doch das Kräfteverhältnis in der Europäischen Politik war und ist ein anderes. Für Manolis Ungeduld war das nichts. Er suchte weiter, als Linker, als Mahner, als Mensch, mit unglaublichen Lebenserfahrungen und einer ansteckenden Leidenschaft.

Denn wenn er sich zu Wort meldete, sprach er verständlich für alle und vor allem mit dem Herzen!

Martina Michels in der Veranstaltung zum 100. Geburtstag, 28.9.2002 | Screenshot

Liebe Freunde,

Die gesellschaftliche Linke in Europa ist zersplittert wie nie und macht oft lieber die parteipolitischen Konkurrenten wie die Sozialdemokratie zum Feind als die wirklichen Feinde der Demokratie. Schauen wir nach Schweden und Italien.

Alexis hat es bereits angesprochen.

Dort haben nicht einfach so die Faschisten gewonnen, sondern auch die Schwäche der Linken haben diese Siege ermöglicht.

Diese Sicht habe ich von Manolis gelernt.

Diese Mahnung habe ich damals, 2015, wohl vernommen.

Machen wir unsere Hausaufgaben in unseren Parteien und gehen europäisch enger zusammen, das gilt heute immer noch.

Und da ich schon bei den ganz großen Vermächtnissen eines unbeugsamen Antifaschisten bin, der so viele Repressionen, Haft und Folter bis 1971 ertragen musste, so möchte ich daran erinnern, dass Manolis politische Eimischung immer auch eine große Für-Rede für Kultur und Bildung für alle war.

Seine Ungeduld führte dazu, dass Manolis nicht einfach auf die großen politischen Lösungen wartete. Er griff oft zu ganz irdischen Lösungen, um Bildung in jeden Ort zu bringen.

In unserer Erinnerung wird bleiben, wie er mit einem kleinen Säckchen ausgestattet, überall wo er auftrat für die Bibliothek in seinem Heimatort auf Naxos sammelte.

Oft durfte ich Manolis auf Veranstaltungen in Berlin begleiten.

Da hakte er sich einfach bei mir unter, wenn er zu einem Pult eilte, wie im Deutschen Bundestag oder auf eine Pressekonferenz. Das machte ihm Spaß am Arm einer Frau, wie er sagte.

Manolis Glezos im Deutschen Bundestag, Maii 2015 | Foto: Konstanze Kriese

Immer wieder forderte er Deutschland auf, die Kriegsschulden zu begleichen und eine während der deutschen Besatzung bei der Bank von Griechenland erhobene Zwangsanleihe, die heute 54 Mrd. Euro wert wäre, zurückzuzahlen. All das hätte auch in Form von Stipendien und echten Infrastrukturhilfen geschehen können.

Ihr seht schon: an kreativen politischen Vorschlägen mangelte es ihm nie. Und selbst wenn er dafür keine Mehrheiten fand, so erinnerte er mit einer unbeugsamen Haltung dabei immer wieder an die Aneignung Europäische Geschichte.

Auch deshalb genossen seine Auftritte im Europaparlament Achtung und Zustimmung, weit über die Linken hinaus.

Oft wurde er liebevoll ermahnt, wenn er wieder mal seine Redezeit gnadenlos überzog, weil er eines ganz genau wusste:

Demokratie braucht Zeit und Argumente.

Ich bin stolz, Manolis und seine liebe Frau Tzortzia kennengelernt zu haben und mit ihnen gemeinsam ein Stück des Weges gegangen zu sein.

Ich bedanke mich, dass ich heute die Gelegenheit hatte, an Manolis aus einer sehr freien und persönlichen Perspektive erinnern zu dürfen. Das Vermächtnis von Manolis werden wir weitertragen.

Und, liebe Tzortzia, Manolis bleibt für immer – nämlich hier, im Herzen!

Hintergrund: aus dem Nachruf der Delegation

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.