„Wahnsinn: EU-Parlament kippt Lobby-Forderungen der Internet-Konzerne“

… so titelte die deutsche Netzgemeinde auf Twitter nach der Entscheidung…

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im EU-Parlament am 3. April 2014 lagen die Nerven blank. Bis zuletzt war nicht klar, ob die Änderungsanträge gegen eine Vorfahrts-Regelung für Internet-Großkonzerne eine Mehrheit finden werden. Doch die meisten Anträge haben eine Mehrheit bekommen und die schlimmsten Passagen der Verordnung wurden entschärft. Die Änderungsanträge wurden gemeinsam von sozialdemokratischen, grünen, linken und liberalen Abgeordneten gestellt und fanden eine Mehrheit. Zwar sind nicht alle Anträge durchgekommen, das Schlimmste konnte jedoch verhindert werden.

Die Europaabgeordnete Martina Michels (Die LINKE) hat am Mittwoch bei der Aussprache das dicke Paket mit den gesammelten Unterschriften im Plenum hochgehalten. Sie appellierte an die anderen Abgeordneten, dem Appell folge zu leisten und brachte somit den Bürgerwillen direkt in das Parlament.
Campact, Verbraucherzentrale, Digitale Gesellschaft, Digitalcourage und European Digital Rights hatten zuvor einen Appell mit 153.000 Unterschriften in Brüssel an EU-Abgeordnete übergeben. Die Abstimmung war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und  ein Etappensieg. Im anschließenden Trilog müssen sich EU-Rat, Kommission und Parlament zur umsetzung einigen. Daher gilt es den Regierungen der Mitgliedsstaaten weiter auf die Finger zu schauen.

Martina Michels, MdEP DIE LINKE, Vizevorsitzende im Ausschuss für Kultur und Bildung :
„Wir begrüßen, dass das Parlament heute dem gemeinsamen Alternativtext der GUE/NGL, Grünen und S&D zugestimmt hat. Es geht hierbei um nicht weniger als die Freiheit des Internets. Netzneutralität und die Offenheit des Netzes sind ein öffentliches Gut. Der heute abgestimmte Kompromisstext ermöglicht weiterhin auch kleinen und neuen Kulturanbietern, im Internet aktiv zu werden ohne dass kommerzielle Kriterien das Internet dominieren.

Wenn unter den sogenannten Spezialdiensten Daten bevorzugt transportiert werden, bedeutet dies automatisch auch, dass andere Daten langsamer transportiert werden. Wir fordern an dieser Stelle, dass Eingriffe in die Netzneutralität in Zukunft sanktioniert werden.
Mit dieser Verordnung zum Elektronischen Binnenmarkt hatte die Kommission ein Regelwerk vorgelegt, was mehr Fragen schafft als Antworten gibt. Sicher werden weitere Vorschläge folgen.. Wir fordern, dass auf europäischer und deutscher Ebene die Netzneutralität für alles, was Internet heißt, festgeschrieben wird. DIE LINKE stelltsich auch weiterhin gegen ein Zwei-Klassen-Internet!
Nun liegt der Ball mal wieder bei den europäischen Regierungen. Jetzt müssen sie nachziehen, und ebenfalls die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger über die der großen Konzerne stellen.“

Hintergrund:

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit plante die EU-Kommission einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit: Sie wollte, dass Konzerne künftig eine bevorzugte Behandlung ihrer Fotos, Videos und Texte in Datenleitungen kaufen können. Wären die Pläne in dieser Woche unverändert durch das Europaparlament gekommen, dürften in Zukunft wenige Großunternehmen entscheiden, was wir Bürger/innen im Internet zu sehen und zu lesen bekommen.
Denn Wikipedia, unabhängige Medien und kleine Firmen können sich keine Internet-Maut leisten. Medienkonzerne hingegen schon. Nur ihre Inhalte würden dann noch verlässlich viele Menschen erreichen – und die anderer Anbieter, politischer Initiativen und Start-Ups verdrängen.

Der freie Zugang zu Informationen hängt von einem neutralen Datentransport im Internet ab. Bislang konnten kleine und große Anbieter das Internet weitgehend gleichberechtigt nutzen: Alle Informationen wurden gleich schnell durchgeleitet, egal ob nun etwa der Springer-Konzern, eine Bürgerinitiative oder eine Start-Up-Firma sie losschickte. Dank dieser so genannten „Netzneutralität“ konnten sich bis heute unzählige Nachrichtenseiten, Online-Shops, Internet-Telefonie- und Video-Dienste im Internet etablieren. Doch immer mehr Konzerne wollen Profit über Chancengleichheit und Vielfalt stellen.

Eine Lücke in der Netzneutralitäts-Verordnung der EU-Kommissarin Neelie Kroes (liberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie / Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD) hätte die Diskriminierung einzelner Angebote per Gesetz hochoffiziell zum Standard erhoben: Wäre diese Lücke nicht geschlossen worden, dürften Großunternehmen sich in ganz Europa eine schnellere Durchleitung ihrer Inhalte in Datenleitungen kaufen – auf Kosten aller anderen Informationsangebote.