Regieren oder doch lieber Opposition?

Pablo Iglesias in der Fraktionssitzung am 3.3.2020 | Screenshot: Konstanze Kriese

Martina Michels, André Seubert

THE LEFT – Fraktionssitzung diskutierte Erfahrungen aus Spanien

Diese Frage beschäftigte DIE LINKE. auf ihrem letzten – und ersten digitalen – Bundesparteitag. Doch dieses Thema bewegt nicht nur die deutschen Linken. Auch viele Parteien, die als Mitglieder der Linksfraktion THE LEFT im Europaparlament für eine bessere EU streiten, mussten sich schon mit dieser Frage auseinandersetzen. Einer, den diese Frage gerade weniger umtreibt, der aber viel dazu sagen kann, war letzte Woche in unserer Fraktionssitzung: Pablo Iglesias, Mitgründer und Chef der spanischen Linkspartei PODEMOS und seit einem Jahr Vize-Regierungschef auf der iberischen Halbinsel.

Aus seinem Madrider Büro schaltete sich Pablo Iglesias digital zu. Wie gewohnt, war er locker gekleidet – mit Pollunder über einem blaukarierten Hemd, die langen Haare zum Zopf gebunden. Wegen dieses Markenzeichens wird er in Spanien „coletas“ – Pferdeschwanz – genannt. Doch der Druck auf der Regierungsbank war ihm anzumerken. Er wirkte angespannter als wir es von ihm kannten, als er noch Europaabgeordneter in der Linksfraktion war. Darüber sprach er gleich zu Beginn: das besondere Gefühl, das ihn angesichts seiner alten Kolleg*innen und beim Blick in den Brüsseler Fraktionssaal überkommt. Denn für ihn und die Genoss*innen von Podemos begann ihr „Abenteuer Politik“ im EU-Parlament. Gerade einmal vier Monate nach ihrer Parteigründung wurden fünf Podemos-Abgeordnete im Mai 2014 ins Brüsseler Parlament gewählt, darunter Pablo Iglesias. Sechs Jahre später traten sie – zusammen mit der Vereinigten Linken (IU) – in die erste Koalitionsregierung der spanischen Geschichte ein, als kleine Partnerin des Sozialdemokraten Pedro Sanchez.

Iglesias berichtete den Brüsseler Genoss*innen von ihrer besonderen Lage in ihrem Heimatland. Ein Großteil der Medienkonzerne – eng verbandelt mit der konservativen Volkspartei (PP) – würde vehement die Linken ins Kreuzfeuer nehmen, nicht die große Partnerin Sozialdemokratie (PSOE). Daran merke man schon, dass sie Einiges richtigmachen würden, da sie offenbar als eine Gefahr für alte Strukturen gesehen würden.

Der Vize-Premier, zuständig für soziale Rechte in der Sanchez-Regierung, machte einen kurzen Abriss über ihre Arbeit im ersten Regierungsjahr. So setzte Podemos ein Moratorium für ausstehende Hypothekenzahlungen durch. Menschen, die hart von der Krise getroffen wurden, können ihre Zahlungen zeitweise aussetzen. Die Linken bremsten Zwangsräumungen und führten ein Mindesteinkommen ein. Die Höhe und Leistungen müssten noch besser werden, dafür würden sie weiter streiten, so Iglesias. Inspiriert von den Berliner Genoss*innen diskutieren sie gerade eine Art Mietendeckel, gegen den viele Medien Sturm laufen. Martina Michels fragte ihn, welchen Weg sie beim Mietendeckel einschlagen würden. Die spanischen Linken wollen verschiedene Instrumente beschließen, damit Städte bei regionalen Schieflagen besser gegensteuern können, antwortete Iglesias. Doch die Debatte in der Regierung laufe noch. Die PSOE betone die Marktlogik bei Wohnungen, die Linke erinnere diese, dass Besitz auch Pflichten mit sich bringen würde. Das Ergebnis bleibt offen.

Zusätzlich wollen sie jetzt das Arbeitsrecht reformieren, um prekäre Beschäftigung einzudämmen, und debattieren einen besseren Schutz von Kindern und Minderheiten.

Auch weitere offene Herausforderungen und Hindernisse sprach Iglesias an, besonders mit Blick auf die Europäische Union. Die spanischen Linken sind nicht gegen die EU – diese sei für die spanischen Genoss*innen eine wichtige Ebene der Politik. Aber ein Kurswechsel sei dringend nötig, um die gescheiterten Kürzungsdiktate und den Neoliberalismus zu beenden. Mit den EU-Geldern sollte besser die Gesundheitskrise bekämpft und eine grüne, digitale und vor allem gerechte Wende eingeleitet werden. Iglesias sieht ein Hauptproblem in der institutionellen Gestaltung der EU. Deshalb rief er die Genoss*innen in Brüssel auf, bei der kommenden Konferenz zur Zukunft der EU eng zusammen zu arbeiten. Damit die Wirtschaft den Menschen dient und mehr soziale Gerechtigkeit in die EU einzieht.

Pablo Iglesias betonte am Schluss, wie wichtig es für Linke sei, auch in die Regierung einzutreten, um Menschen hier und jetzt zu helfen. Podemos habe sich als Partei der Bewegung 15/M gegründet und Druck von unten sei grundlegend. Doch dieser Druck, der Kampf für eine sozialere Welt, dürfe nicht vor Parlamenten oder der Regierung haltmachen. Linke sollten alle Chancen nutzen, um ihre Ideen umzusetzen. Deshalb sei der Austausch und die enge Zusammenarbeit der Linken europaweit so wichtig und er bedanke sich deshalb für die Unterstützung und Solidarität der Brüsseler Genoss*innen. Die Linksfraktion wünschte den Genoss*innen von PODEMOS viel Erfolg, damit sie das Leben der Mehrheit der Spanier*innen verbessern können – jetzt als Teil der Regierung.

Dieser Artikel ist zuerst auf DIE LINKE. im Europaparlament erschienen.